„Wir machen Quereinsteiger innerhalb kürzester Zeit erfolgreich!“
Mit diesem Statement hat Heiko Schneider kürzlich für Aufsehen in der Branche gesorgt. Besingt er damit das Ende des dualen Systems? Und wo bleibt da noch die Qualität? Im Gespräch mit FMFM-Redakteurin Daniela Hamburger erläutert der Friseurunternehmer, welche Chancen er in Quereinsteiger*innen sieht und wie Ausbildung seiner Meinung nach aussehen muss, um die Zukunft des Handwerks zu sichern.
Lieber Heiko, wie soll das gehen – jemanden innerhalb eines Jahres fit als Friseur*in zu machen?
Klar, das hört sich erstmal überspitzt an. Dennoch stehe ich zu dieser Aussage. Hintergrund ist der, dass ich ja selbst als Quereinsteiger in den Friseurberuf gekommen bin und auch Quereinsteiger in meinen beiden Unternehmen beschäftige. Ich finde, wenn jemand wirklich in eine Beruf erfolgreich sein möchte, darf man ihn nicht zwingen, drei Jahre zur Berufsschule zu gehen. Mit großem Engagement ist es möglich, innerhalb kürzerer Zeit die Basics so gut zu lernen, dass Kunden bedient werden können. Ich muss aber auch sagen: Der Fachkräftemangel ist der Motor für solche Ideen. Hätten die Unternehmen genug Mitarbeiter, müssten sie sich natürlich keine Gedanken über andere Varianten als die klassische Ausbildung machen. Doch die aktuelle gesellschaftliche Situation zwingt zum Umdenken.
„Es geht sehr wohl ohne Gesellenbrief“
Aber ist es denn wirklich möglich, die Inhalte von drei Jahren Ausbildung auf ein Jahr abzukürzen? Solche im Schnellverfahren geschulte Mitarbeiter können doch unmöglich alle Dienstleistungen beherrschen, oder?
Schauen wir uns doch mal in anderen Branchen um. Generalisten gibt es doch kaum noch. Nur wir Friseure denken, wir müssten alles selber machen: Haare schneiden, färben, Haarverlängerungen einarbeiten, kassieren, Produkte verkaufen, Termine vergeben… Wenn wir uns andere Handwerke anschauen, fällt auf: Da sind Experten auf ihren Gebieten im Einsatz, keine Allrounder. So machen einige Elektriker fast nur noch PV-Anlagen, die anderen nur noch Hausinstallationen. Und für Termine ruft man im Büro an oder bei einem Servicecenter – siehe zum Beispiel Stadtwerke. Es muss nicht jeder alles können, und vor allem braucht es für diese Teilgebiete nicht zwingend für alle einen Gesellenbrief. Zwar gibt es mit der Meisterin oder dem Inhaber meist schon noch einen, der „alles kann“ – oder können sollte. Doch bei den Mitarbeitern brauchen wir Experten für bestimmte fachliche Teilgebiete. Der Spruch „Ohne Gesellenbrief geht nicht“ ist definitiv nicht mehr up to date. Denn die Realität zeigt: Es geht sehr wohl. Auch wenn es uns anders lieber wäre.
„Mentoren und Seminare sind wichtiger als drei Jahre Sport- und Deutschunterricht“
Damit würden wir aber unserer dualen Ausbildung immer mehr den Rücken kehren, einer Ausbildung um die uns so viele Länder beneiden…
Ist das denn wirklich so? Wir denken immer, die anderen beneiden uns, aber ich habe es tatsächlich noch nie von jemandem aus dem Ausland gehört. Ich selber bin ja auch ein Beispiel dafür, dass es auch ohne „klassische“ Friseurausbildung geht. Als ich Friseur als meinen zweiten Beruf gelernt habe, war das keine klassische dreijährige Ausbildung. Ich habe aber zusätzlich und auf eigene Kosten Friseurschulen besucht, Seminare gebucht und mich so innerhalb kurzer Zeit fit gemacht für die Kundenwünsche. Und ich glaube, sagen zu können: Ich bin erfolgreich damit geworden. Ich denke: Wer Friseur werden will, braucht einen Mentor, einen guten Salon, der ihn pusht und gute Seminare statt drei Jahren Schule mit Sport- und Deutschunterricht! Auch wenn beides wichtig fürs Leben ist!
„Ausbildung muss in Zukunft auf verschiedenen Wegen möglich sein“
Also Adieu duales System?
Nein, das duale System wird schon noch eine Weile existieren. Aber ich sehe, dass es in Zukunft einfach verschiedene Wege der Ausbildung geben muss. So individuell wie die Menschen sind, so individuell sollte die Möglichkeit einer Ausbildung sein. La Biosthétique zum Beispiel bietet schon einige Jahre eine private Friseurausbildung, die Intercoiffure bietet seit diesem Jahr eine Zusatzausbildung, die unsere Azubis schneller fit für den Salonalltag macht. Aktuell kommen weitere zusätzliche Ausbildungmodelle auf den Markt. Die Ausbildung muss einfach flexibler werden und das passiert ja auch gerade. Eine interessante Statistik zum Beispiel besagt, dass rund 30 Prozent der Friseurlehrlinge älter als 22 Jahre sind. Diese zukünftigen Experten unserer Branche kann ich doch nicht mit 16-/17-Jährigen in die Berufsschule schicken. Dadurch verlieren sie zu schnell die Lust am Beruf. Da sind einfach andere Varianten nötig.
Du sagst, der Fachkräftemangel zwingt uns, in neue Richtungen zu denken. Wie stellt sich die Mitarbeitersituation denn in Deinem Salon dar?
Bei „Haarschneider“ haben wir knapp 30 Mitarbeitende. Mir fehlen keine Leute. Aber das ist eine Frage des Mindsets schon seit vielen Jahren. Ich war schon immer offen für besondere Wege und interessante Lebensläufe. Wenn wir jemanden für unsere Unternehmen suchen, dann Menschen, die in unser Team passen. Eine meiner über Jahre besten Friseur-Umsatzträgerinnen hat zum Beispiel keinen Gesellenbrief. Wir haben ihr alles selbst beigebracht, bzw. sie in Seminaren schulen lassen und sie ist unfassbar gut. Da ich ja in verschiedenen Branchen unterwegs bin, kann ich auch sagen: Das ist in vielen Unternehmen so.
Spezialisten sind gefragt
Aber um jemanden so fit zu machen, musst Du doch sicherlich eine Menge Zeit, Energie und nicht zuletzt auch Geld in die Person investieren. Was machst Du denn, wenn die geht?
Das werde ich tatsächlich oft gefragt. Aber dieses Risiko haben wir doch alle und immer. Auch ein regulärer Azubi kostet rund 10.000 Euro im Jahr. Bis jetzt habe ich keinerlei Probleme, die über die normale Fluktuation hinausgehen. Ich habe schon immer individuell ausgebildet und schaue mir dabei genau an, was kann dieser Mensch, wo möchte er hin, was sind seine Stärken. Wenn jemand Farbdienstleistungen liebt, machen wir ihn darin fit, wenn jemand gut schneiden kann, wird er oder sie Haarschneidespezialist. Und wenn jemand gerne Haarverlängerungen macht, dann wird er oder sie der Profi in diesem Bereich. Der Bedarf an Allroundern geht klar zurück.
Und wie machst Du es dann mit der Bezahlung Deiner Leute? Bekommt ein Quereinsteiger ohne Gesellenbrief den gleichen Lohn wie eine qualifizierte Fachkraft?
Löhne werden bei uns immer individuell verhandelt, da gibt es keine Pauschalisierung. Da spielt auch eine Rolle: Wer ist die Person? Ist das eine gestandene Frau mit Familie, die auch schon über eine gewisse Lebenserfahrung und -leistung verfügt? Oder habe ich hier jemanden vor mir, der noch sehr jung ist und gerade erst ins Berufsleben startet? Entscheidend für das Gehalt oder den Lohn ist immer die Leistung!
Sehr gutes Seminarangebot in der Friseurbranche
Heißt das dann, die Berufsausbildung zum Friseur braucht es eigentlich gar nicht mehr? Hat der Beruf sich überlebt?
Nein, der Beruf an sich hat sich nicht überlebt. Aber wie gesagt – die differenzierten Varianten der Ausbildung sind „überlebenswichtig“. Wir müssen für die Menschen, die den Beruf ausüben möchten, die passende Ausbildung finden. Die Friseurbranche hat ein sehr großes, sehr gutes Angebot an Seminaren. Das müssen wir nutzen, um unsere Quereinsteiger fit zu machen! Nach wir vor kann es auch die „normalen“ Azubis noch geben, Auch dafür ist ja ein Bedarf da. Allerdings haben die Berufsschulen ein strukturelles Problem. Durch immer geringere Schülerzahlen werden Schulen zusammengelegt, die Fahrtzeiten somit für die Azubis immer länger und Wohnheimplätze, die bei Blockunterricht notwendig werden, gibt es an den meisten Standorten nicht. Also stehen die Berufsschüler um 5 Uhr morgens auf um dann um 7 oder 7:30 Uhr „hochmotiviert“ in der Berufsschule zu sitzen. Somit sind sowohl Fahrtzeiten als auch alle weiteren logistischen Bedingungen zu schlecht geworden. Ich kann jeden verstehen, der dann abwinkt. Wir haben auf der Bühne Interviews mit jungen Auzubildenden geführt. Die sagen einhellig, dass die Ausbildung zu lange dauert. Klar, ihre Aufmerksamkeitsspanne ist auch kürzer als früher. Daher kann es vorkommen, dass ich unsere Ausbildung entsprechend modifiziere – wir lehren zum Beispiel nicht mehr zwei Stunden am Stück ein Thema, sondern machen alle 20 bis 45 Minuten ein anderes Thema. Wir müssen uns anpassen. Ob uns das gefällt, ist egal. Wir brauchen Wege, junge Nachwuchskräfte zu erfolgreichen Friseuren zu machen. Deshalb, liebe Kollegen: Denkt doch zumindest mal drüber nach, ob Ausbildung nicht doch auf unterschiedlichen Wegen möglich ist.
Wenn du Quereinsteiger quasi privat fit in Dienstleistungen machst, bindest Du sie ja auch ein Stück weit an Dich, oder? Schließlich haben sie dann keinen „offiziellen“ Abschluss, mit dem sie sich gut wo anders bewerben könnten…
Das sehe ich anders, denn eigentlich sind sie gar nicht an mich gebunden. Der Gesellenbrief ist doch keine Grundlage mehr, um jemanden in seinem Unternehmen einzustellen, da zählen andere Kriterien, vor allem das eigenen Engagement und die Lust auf gemeinsamen Erfolg. Wenn sich eine ehemals bei mir beschäftigte Person woanders bewirbt, ruft der Inhaber/die Inhaberin mich sowieso meistens an und fragt, wie die Person gearbeitet hat. Ich glaube, das passiert öfters, als sich das unsere Mitarbeiter so vorstellen können. Über die Arbeitgeberreputation als Bewerbungsgrundlage wird zwar nirgends gesprochen, aber es gibt sie – und sie ist wichtiger als ein Gesellenbrief in Papierform. Der eigentliche Bewerbungsprozess im Betrieb läuft heute ja auch anders: Ich brauche im ersten Step heute zum Beispiel gar keine Bewerbung im eigentlichen Sinne mehr. Es ist doch viel besser, den Menschen, der bei mir arbeiten möchte, erstmal kennenzulernen. Meist merke ich schon im ersten Gespräch, ob das passen könnte oder überhaupt nicht. Der Zeitaufwand für das erste Kennenlerngespräch ist sowohl für den Bewerber als auch für mich sehr gering. Damit bekomme ich schneller und öfter Gespräche mit potenziellen Bewerbern.
Falls ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen kann, wird der Bewerber noch einmal eingeladen, einen Tag im Salon gemeinsam mit dem Team zu erleben. Und wenn auch das beiderseitig passt, freue ich mich über schriftliche Unterlagen. Aber da sind wir uns ja dann schon fast einig. Doch wie gesagt: Ich habe da wahrscheinlich ein anderes Mindset, weil ich selbst Quereinsteiger bin.
Aber befürchtest Du nicht auch, dass die Qualität vor die Hunde geht, wenn so viele Quereinsteiger in den Salons stehen?
Nein, das denke ich nicht. Denn die Inhalte der dualen Berufsausbildung hinken der Mode – bei allen Bemühungen – zumindest um Monate hinterher. Das sieht bei einer Schulung durch Seminare ganz anders aus. Die Industrie kann viel schneller auf Trends reagieren. Gut geschulte Quereinsteiger können daher im Salon genau das liefern, was aktuell gefragt ist.
Findest Du denn, dass Deutschland sich andere Länder zum Vorbild nehmen könnte? Es gibt ja Länder, in denen Haareschneiden innerhalb von acht Wochen per Video gelehrt wird…
Ich halte es durchaus für möglich, die theoretischen Inhalte auch online zu vermitteln. Für die Praxis braucht es aber Mentoren oder nennen wir sie einfach praktische Ausbilder. Und es kommt ganz klar immer darauf an, wer geschult werden soll. Die Fähigkeiten des einzelnen Menschen sind wesentlich entscheidender als die Schulungsmethode. Wie gesagt – individuelle Ausbildung ist der Schlüssel!
„Weniger Ausbildungsscheine, mehr Fähigkeiten“
Also ist es wirklich an der Zeit, an den offiziellen Vorgaben zu kratzen?
Ja klar. Menschen werden immer individueller, sowohl die Friseure als auch die Kunden, die kann man wirklich nicht mehr über einen offiziellen Kamm scheren. Daher ist meine Prognose, dass die Rolle der privaten Akademien und Ausbildungen in Zukunft wesentlich größer wird. Langfristig werden wir weniger Azubis haben, doch diese werden eine bessere, weil individuellere Ausbildung durchlaufen. Es wird weniger formale Ausbildungsscheine geben, dafür aber mehr Fähigkeiten. Wenn ich die Zukunft der dualen Ausbildung entscheiden dürfte, würde ich sie auf zwei Jahre verkürzen, danach dann Spezialisierungsmöglichkeiten anhängen.
Und was entgegnest Du Kollegen, die genau das Gegenteil fordern? Die sagen, ohne solide Basics ist keine Qualität möglich?
Was die Basics angeht, gebe ich ihnen vollkommen recht. Klar zahlt es sich aus, Techniken lange und gründlich trainiert zu haben. Und wer so eine Ausbildung durchläuft, ist technisch allumfänglich besser. Aber die Anforderungen in der Realität sehen einfach anders aus. Wir können es uns angesichts des Fachkräftemangels schlicht nicht erlauben, solche Ansprüche an alle Mitarbeiter im Salon zu haben. Sollten in den Salons Mitarbeiter fehlen, dann brauchen wir neue Wege um ausreichend Kollegen im Team zu haben. Wenn uns Nachwuchs fehlt, müssen wir überlegen, wie wir sehr guten Nachwuchs ausbilden. Wir haben ohnehin schon in der Ausbildung eine Abbrecherquote von 50 Prozent. Genau deswegen müssen andere Wege kommen, das ist alternativlos.
Herzlichen Dank, lieber Heiko, für das offene und ehrliche Interview und Deine Einschätzungen.