Machen. Nicht jammern! Cihan Bulut und seine kreative Krise
Den einen hat Corona den Stecker gezogen. Andere schalten einfach den Turbo zu. Friseurunternehmer Cihan Bulat kennt beides. Nach kurzer Schnappatmung hat er die Covid-Krise als Katapult für kreative Herzensprojekte genutzt. Eine Geschichte, die Lust auf Zukunft macht.
Cihan, Du hast in Ludwigsburg zwei Salons namens „Erdbeerschnitte“, eine eigene Seminar- und Workshop-Schule, bist Business Coach und stehst regelmäßig für Tigi auf der Bühne. Während des Lockdowns hast du jetzt auf Clubhouse die Gruppe „Friseurclub Deutschland“ gegründet. Bei deinen Talks tummeln sich inzwischen viele prominente Namen der Friseurszene. Erzähl, wie kam es dazu?
C. B.: Ich hatte bereits während der ersten Salonschließung viele Talks auf Insta mit internationalen Kollegen wie Anthony Mascolo, Founder & International Creative Director von Tigi, oder auch Piero Gentile gemacht. Daran hatte ich viel Spaß und ich wollte das Ganze positiv weiterentwickeln. Vor einigen Wochen bin ich dann auf die App „Clubhouse“ gestoßen. Nachdem ich von einem Freund eingeladen wurde, habe ich dort einen Tag lang reingeschnuppert und aus einem Impuls heraus direkt die Gruppe „Friseurclub Deutschland“ gegründet. Ich hatte keine konkreten Pläne, aber irgendwas in mir sagte mir, dass ich schnell sein müsse, wenn ich damit etwas gestalten möchte. Inzwischen hatte ich schon meine 18. Talkrunde mit Kollegen. Es ist eine tolle, direkte Art, sich in Zeiten wie diesen auszutauschen und gemeinsam Zukunftsvisionen zu entwickeln.
Ein Gestalter bist du ja…
C. B.: Das stimmt. Ich gehöre tatsächlich zu denen, die immer wieder gern neue Perspektiven einnehmen und die Initiative ergreifen. Das ist mir in dieser Coronazeit sehr bewusst geworden. Zu Beginn des ersten Lockdowns hatte ich ein echtes Drei-Tage-Loch. Bis zum Tag der Verkündung im März 2020 hatte ich es nicht für möglich gehalten, dass Friseursalons geschlossen werden könnten. Doch dann kam es so – und ich war erst mal platt. Zum Glück habe ich schnell für mich erkannt: „Stopp, das will ich so nicht! Ich kann mich nicht hängen lassen. Ich muss mir irgendwie selbst helfen – und wenn es geht, auch anderen.“ Wir haben also zunächst mal den Salon renoviert. Direkt danach habe ich dann begonnen, die Talks auf Instagram zu machen. Den Blick nach vorn zu richten ist in solchen Grenzsituationen total wichtig.
Was war für dich jetzt im zweiten Lockdown anders?
C. B.: Ich habe mich mithilfe von Coaches auf die Suche nach Antworten auf Fragen und Motiven gemacht, die mich wirklich interessierten: Warum fallen manche Menschen in eine Lethargie, wenn sie Druck empfinden? Warum ergreifen andere die Initiative und werden aktiv? Mir ist es in Kontakt mit Menschen in meinem beruflichen und privaten Umfeld immer wichtig zu wissen, wo ich wen abholen kann. Und ich habe mir die Frage gestellt: Wen möchte ich überhaupt abholen? Für mich als Selbstständigen ist zum Beispiel das Thema Selbstverantwortung wichtig. Und dazu gehört, dass ich bewusst handle, im Jetzt lebe und aktiv etwas mache statt zu heulen und mir leid zu tun! Ich gehe also gern Dinge an, damit ich die Zukunft gestalten kann! Wir haben zum Beispiel in den letzten Monaten unseren Salon als klimaneutral zertifizieren lassen. Umweltbewusstsein und Nachhaltigkeit sind total wichtig – und deshalb möchte ich das Klimaprojekt auch bei Kollegen weiter voranbringen!
Mal zurück zu deiner Frage: Was hast du entschieden – wen möchtest du abholen?
C. B.: Menschen und Kollegen, die positiv denken. Die sich engagieren und nach vorn schauen! Deshalb geht es mir bei den Clubhouse-Talks auch immer darum, genau solche Themen zu besprechen, die uns als Friseure, als Ausbilder, als ganze Branche weiter nach vorn bringen. Als Unternehmer müssen wir eine Haltung entwickeln und die nach außen zeigen. So wird man dann wahrgenommen. Die grundsätzliche Entscheidung ist doch die: Warte ich bei Problemen auf externe Rettung, oder nehme ich die Sachen selbst in die Hand? Für mich fühlt es sich gut und richtig an, eigenverantwortlich aktiv zu sein.
Dazu gehört auch, dass du jetzt plötzlich der Innung beitreten willst?
C. B.: Ja, genau. Ehrlich gesagt fand ich Innungen immer Mist. Dann habe ich neulich einen Talk zu dem Thema mit vielen Kollegen aus ganz Deutschland gemacht. Das war wirklich interessant. Da habe ich gemerkt, dass es keinen Sinn macht, über Innungen herzuziehen, wenn ich selbst nichts dazu beitrage, dass es besser wird. Wir haben einen solch tollen Beruf, der es einfach verdient, dass wir ihn attraktiver für jungen Nachwuchs machen. Friseur zu sein ist ein schönes, künstlerisches Handwerk mit Fundament und Zukunft! Ich habe einen guten Zugang zu Menschen unterschiedlicher Altersklassen. Es wäre zu schade, wenn ich diese Gabe nicht nutzen würde, um selbst diese Veränderung in der Außenwirkung anzustoßen, die ich mir für den Friseurberuf so wünsche.
Wow. Das klingt sehr entschlossen und tatkräftig! Letzte Frage: Was krempelst du alles im Salon für den Re-Start in der nächsten Woche um?
C. B.: Eigentlich gar nicht viel. Bis auf den ersten Montag, den wir geöffnet haben, bleiben alle Öffnungszeiten so, wie sie vorher auch waren. Wir arbeiten nicht länger oder an zusätzlichen Tagen, weil ich weder meine Mitarbeiter noch mich verheizen möchte. Den Umsatz, den wir durch den Lockdown verloren haben, holen wir ohnehin nicht mehr rein. Ich kann ja nicht nur an meine Kunden denken; ich selbst bin ja auch jemand! Meine Kunden möchten einen gut gelaunten Friseur, der eine tolle Farbe und einen tollen Haarschnitt liefert. Sie wünschen sich schöne Erlebnisse bei uns! Die kann ich langfristig nur bieten, wenn ich auch gut für mich selbst sorge und Auszeiten habe. Auch das meine ich, wenn ich davon spreche, dass wir als Unternehmer eine Haltung haben, die wir zeigen sollten. Mir ist es wichtig, authentisch zu sein. Und ich bin überzeugt, dass meine Kunden dafür gern ein paar Tage länger warten.
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