Weiblich, Mutter, selbstständig – Friseurin am Ende ihrer Kräfte

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Kommt als Unternehmerin und als Mutter an ihre Grenzen: Friseurunternehmerin Julia Kaya
Foto: Privat
Kommt als Unternehmerin und als Mutter an ihre Grenzen: Friseurunternehmerin Julia Kaya

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Sie ist Friseurmeisterin, Unternehmerin, Mutter – und „dank“ Corona“ sprichwörtlich am Limit angekommen. Seit März 2020 reißt es Julia Kaya einen Stein nach dem anderen unter den Füßen weg. Beruflich wie privat. Ein albtraumhafter Covid-19-Strudel, der vielen Frauen im Handwerk bekannt vorkommen dürfte...

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„Als leidenschaftliche Friseurin mit Familienwunsch stand für mich schon immer fest: diesen Beruf werde ich nur in lebenswürdiger Form langfristig ausüben können, wenn ich folgende Voraussetzung schaffe: dass ich ein Team um mich habe und erziehungsbedingt auch auf Entfernung arbeiten kann. Innovationen wie die Digitalisierung und Homeoffice waren daher wichtige Mittel, um das Ganze – sollte ich mal vor Ort im Salon fehlen – stemmen zu können. Schließlich war und ist es auch mein Ziel, diesen sehr komplexen und wenig wertgeschätzten Beruf immer weiter nach vorne zu bringen. Soweit meine Ausgangslage. Dann kam der März 2020. Nach Abschluss der Familienplanung, acht Jahren Salonbestehen und den ersten Schritten zum Expandieren war plötzlich alles vorbei. Inmitten einer Arbeitswoche erfuhr ich beim Abholen meiner Kinder (damals neun und zwei Jahre alt), dass mir als „nicht relevante Arbeitskraft“ keine Kinderbetreuung zustehe. Und das, obwohl wir Friseure weiterhin (ohne jeglichen Schutz) arbeiten „durften“. Innerhalb von Sekunden wurde ich zur Vollzeit-Mutter. Ich hatte noch im Januar, Februar und März in neues Personal investiert und nicht einmal die Möglichkeit auf eine Teambesprechung – von jetzt auf gleich musste ich mein durch Corona völlig verängstigtes neue Team alleine lassen, um daheim meine Kinder zu versorgen.

Lockdown Nummer 1

Mir war bewusst, dass diese Pandemie ernst zu nehmen ist. Dank eines glücklichen Zufalls und eines aufklärenden RKI-Webinars Anfang März habe ich eins und eins zusammengezählt und vorausschauend gehandelt: Zum Glück konnte ich bereits Wochen vorher medizinischen Mundschutz für das Personal, begrenzt viruzide Desinfektionsmittel sowie eine ausreichende Menge entsprechender Einmalhandschuhe ergattern. Neben der von mir angeordneten obligatorischen Haarwäsche bei jedem Kunden und dem Bestehen auf Abstandsregeln habe ich unter anderem sofort die Preise um 20% erhöht. Die Preisanpassung bezog sich nicht nur auf den erhöhten Verbrauch der auf dem Markt ausverkauften Hygieneartikel, sondern war auch als Wertschätzung und Motivation der Friseure „an der Front“ gedacht. Sie durften und mussten ja bei dem Ansturm einen „ungeschützten“ Kunden nach dem anderen bedienten.

Weiter geht’s – anders als erhofft.

Nach gefühlt ewig langem Lockdown (inklusive Familienchaos mit Kindern, zeitweise Homeoffice des Mannes und meiner Zerrissenheit) ging es im Mai wieder weiter. Ich hatte ein paar Wochenenden genutzt, um den Salon an die Pandemie anzupassen. Die Hygieneartikel waren auch zum Glück pünktlich geliefert worden. Aber externe Kinderbetreuung – bislang Fehlanzeige. Für die ersten paar Tage im Mai hatte mein Mann relativ spontan Urlaub bekommen und ich konnte für meine kleine Tochter einen Tag pro Woche eine Kita-Betreuung organisiert. Eine andere Möglichkeit zur Kinderbetreuung hatten wir leider nicht – und es war ja auch aufgrund des Virus sowieso kaum anders machbar. Schnell erkannte ich jedoch in der Praxis, dass ohne Umbau das Abstandhalten im Salon nicht funktionieren würde. Und ein Ende der Pandemie war nicht in Sicht. Also habe ich in einen Umbau investiert. Leider musste ich auch Personal entlassen. Der Rückgang der Kunden durch den Lockdown light wurde im November 2020 immer deutlicher. Mit meinen 30 Prozent Umsatzrückgang zum Vorjahr war ich schlechter dran als geschlossene Betriebe. Die hatten keine Arbeit, keine zusätzlichen Personalkosten neben der Kurzarbeit und ihnen wurden zumindest 75% Novemberhilfe versprochen.

Erdrutschartige Folgen

Mitte Dezember dann kam der zweite Lockdown, auch für Friseure – diesen Umsatzverlust brauche ich nicht zu erwähnen. Ein mühsam aufgebautes Kartenhaus aus einer vierköpfigen Familie, aus 15 Jahren Ehe, inzwischen neun Jahren Salonbestehen mit Personal und Ausbilderfunktion, bricht auf den Schultern einer Mutter gerade regelrecht zusammen. Dabei waren wir bis Corona erfolgreich: Wir haben früh ein zertifiziertes Kassensystem eingeführt, sind seit Januar 2020 ein bargeldloser Salon, sind Ausbildungsbetrieb, haben Vollzeitstellen geschaffen. In 2020 haben wir „nur“ rund sechs Prozent UMSATZrückgang gegenüber dem Vorjahr – allerdings nun 43% GewinnVERLUST…! Ich bin mit meinen Kräften am Limit! Denn nicht nur unternehmerisch, auch persönlich ist kein Stein mehr auf dem anderen. Die schulische Entwicklung meiner nun zehnjährigen Tochter ist praktisch seit Mitte 2020 stehen geblieben. Die jetzt Dreijährige entwickelt sich fast ohne weitere soziale Kontakte. Und der Zoff in der Ehe ist nicht aufzuhalten. Nicht zu vergessen: Ich muss ich das gesamte Personal inklusive Azubi verwalten und bezahlen, weil auch diese Mitarbeiter ihre Rechnungen und Sorgen haben. Es ist der Wahnsinn.

Musste es so weit kommen?

Einziger „Lichtblick“: Da ich ein recht offener Mensch bin, habe ich die Konflikte mit meinem Mann und die Trennung in der Kita kommuniziert und bekam zum Wohl meiner Kinder und unserer Zukunft die Betreuungsplätze. Soweit musste es kommen, bis ich als relevant gelten konnte? Ob ich nun unter diesen Umständen einen KfW-Kredit beantrage und bekomme, weil die Überbrückungshilfe III sowie die Wiedereröffnung meines aufwändig vorbereiteten Hygienesalons in den Sternen stehen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Zusätzlich wird sich zeigen, ob ich weiterhin eine vorbildliche Bürgerin sein werde und zukunftsorientiert wie bisher Innovationen und die Regierung unterstütze. Oder ob ich von jetzt auf gleich in die Insolvenz gehe und meine Brötchen mit meinem Wissen und Können „in einem Keller“ verdiene. Mein Empfinden schwankt fast täglich zwischen „Ich bin nur ein Tropfen auf dem heißen Stein für die Regierung, dessen Verlust leicht zu verkraften ist“ und „Ich bin einer der Grundbausteine, um eine neue Zukunft aufzubauen und Perspektiven zu schaffen.

gezeichnet: Julia Kaya geb. Eckert, 36 Jahre, leidenschaftliche Friseurmeisterin, staatlich geprüfte Kosmetikerin, Fußpflegerin, Visagistin, (noch) Saloninhaberin, (noch) Ausbilderin, Mutter, (noch) Ehefrau und (noch) treue durchschnittliche Mitbürgerin.“