Ralf Steinhoff „Auch wenn es aussichtslos erscheint, es gibt immer noch einen Weg.“

Ralf-Steinhoff-Auch-wenn-es-aussichtslos-erscheint-es-gibt-immer-noch-einen-Weg-4118-1
30. November 2020In FMFM Artists, FMFM InsideVon Monika Kaiser
30. November 2020In FMFM Artists, FMFM InsideVon Monika Kaiser

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Anzeige

FMFM Artist Ralf Steinhoff

Anzeige

Anzeige

Mit welchen drei Emotionen würdest Du das Jahr 2020 beschreiben? Es gibt ja nur eine positive Grundemotion! Daher fange ich entgegen dem gegenwärtigen Trend mit dieser an: Freude! Was haben wir uns gefreut, als die Kunden nach dem 4.5. unsere Salons gestürmt haben. Was für eine Bestätigung unserer Bedeutung! Von diesen Erlebnissen profitieren wir auch während des 2. Lockdowns. Nun sind wir systemrelevant, befriedigen unentbehrliche Grundbedürfnisse und dürfen vorerst geöffnet bleiben. Freude kommt auf, wenn ich auf unser Team blicke, das nach wirklich harter Zeit zusammenhält und mit uns zusammen durch schwere See navigiert. Freude kommt auf, wenn ich auf meine Familie schaue: Unser Sohn Dorian hat geheiratet und einen erfolgreichen Solidaritätsfonds (www.handforahand.de) auf den Weg gebracht, der Freiberufler aus dem Kulturbetrieb unterstützt, die durch alle Hilfsraster fallen. Diese Initiative hat bereits über 400.000 Euro eingesammelt und wird u.a. von den Toten Hosen unterstützt. Unsere Tochter Tanja ist wie unsere Schwiegertochter Marie-Claire ebenfalls im Vorstand engagiert. Wir können uns gar nicht genug darüber freuen, dass wir als Friseure und -unternehmer es selbst in der Hand haben, die Corona-Krise einigermaßen unbeschadet zu überstehen. Es kommt Freude auf, anderen Menschen helfen zu können, indem wir ihnen eine kleine Auszeit verschaffen, sie glücklich machen. Es kommt Freude auf, wenn wir durch unsere eigene Arbeit andere Notleidende durch kleine Spenden unterstützen können. Nun wäre es Augenwischerei, wenn ich es nicht zugeben würde: Angst hat dieses Jahr emotional sehr geprägt. Der 1. Lockdown hat sicher auch etwas Traumatisches. Wie wir alle hätte ich mir niemals vorstellen können, dass unser schöner Salon behördlich für eine so lange Zeit geschlossen wird. Angst macht mir weniger das Virus selbst, viel mehr sind es die vielfältigen, manchmal komplett irrationalen Reaktionen der Mitmenschen, die mir schlaflose Nächte bereiten. Dieses Virus bekommen wir nur gemeinsam klein. An dieser Solidarität mangelt es leider sehr. Derart von anderen Menschen abhängig zu sein, das macht mir Angst. Eng verbunden mit der Emotion Angst ist der Mut. Und hier meine ich den unternehmerischen Mut. Für solche Situationen wie diese bin ich Unternehmer geworden! Jetzt kommt es darauf an, jetzt ist tatsächlich Unternehmergeist gefordert. D.h. gerade in diesen Zeiten strategisch gestalten, Konzepte bereitstellen, Mitarbeitern Sicherheit und eine strukturierte Weiterentwicklung ermöglichen u.v.m. Mutige suchen nach Lösungen, nach Innovationen, stehen wieder auf, wenn sie auf dem Boden liegen. Mutige Unternehmer fordern keine Schließung der Salons, sondern stricken besonnen Sicherheits-, Werbekonzepte, passen sich an die veränderten Gegebenheiten an. Nicht immer obsiegt der Mut über die Angst, aber ich arbeite täglich daran. Wie hast du die herausfordernde Zeit des Lockdowns im März/April erlebt? Kämpferisch Tag und Nacht am Schreibtisch … Uns hat die Krise leider auf dem falschen Fuß erwischt. Nach einem kompletten personellen Umbruch hatten wir mitten in der Konsolidierung dann drei Monate lang ein Gerüst vor dem Schaufenster (Nov. 2019-Jan. 2020). Dann kam Corona … Ich habe die Digitalisierung unseres Rechnungswesens vollendet, mich von unserem „analogen“ Steuerberater getrennt. Gefühlt kam alles auf die Prüfwaage, Corona wirkt wie ein Brennglas. Ich steckte viel Arbeit in eine tagebuchähnlichen Facebook und Instagram-Kampagne. Wir waren ja schließlich nicht weg! Letztendlich schrieb ich jeden Tag eine Fotogeschichte auf Facebook, Insta und Google My Business, nach dem Restart nochmals eine 100 Tage Story … Wenn ich zwischendurch in den Salon ging, beschlich mich ein unheimliches Gefühl, so unwirklich erschien die Situation. Und ich schäme mich nicht: Es kamen mir die Tränen, schien doch unser Lebenswerk den Bach runter zu gehen. Umso schöner, dass wir im ersten halben Jahr nach dem Restart das beste Betriebsergebnis seit Firmengründung eingefahren haben! Ein kleines Wunder! Hat die Coronakrise auch irgendwelche positiven Auswirkungen auf dich persönlich? Irgendwie fühle ich mich momentan unverletzlich … Spaß beiseite, die Krise hat mich noch einmal mehr geerdet. Ich habe gelernt, dass nichts, aber auch gar nichts selbstverständlich ist. Ich erinnere mich an den Moment bei meinem besten Marathonlauf, als ich bei KM 38 platt war und keinen Schritt mehr weiter konnte. Mit dem puren Willen lief ich die letzten 4 Kilometer dennoch so schnell weiter, dass ich das erträumte Ziel (Zeit unter 3 Stunden) erreichte. Jahre später erinnert mich die momentane Situation sehr an den damaligen Lauf. Auch wenn es aussichtslos erscheint, es gibt immer noch einen Weg. Diese Erkenntnis gibt mir sehr viel positive Energie. Das ungesunde Anspruchsdenken der Vor-Coronazeit habe ich hoffentlich hinter mir gelassen. Was ist – neben dem Ende der Pandemie – dein größter Wunsch für 2021? Persönlich wünsche ich mir endlich wenigstens für ein, zwei Wochen eine unbeschwerte Zeit mit meiner Familie. Ferner möchte ich meinen von der Schreibtischhockerei geschundenen und beschwerten Körper stählen, um noch einmal den New York Marathon zu laufen, der dann hoffentlich wieder stattfindet. Für die Branche wünsche ich mir, dass der Steilpass „Systemrelevanz“ endlich zu mehr Selbstbewusstsein bei den Friseuren und in der Bevölkerung zu mehr Wertschätzung dieses wundervollen Berufes führt. Und damit zu einem viel höherem Preis- und Lohnniveau. Ich wünsche mir, dass handwerklich erbrachte Leistungen niedriger besteuert werden, damit die Lücke zu anderen arbeitsteiligen Branchen kleiner wird. Beides zusammen könnte mit der digitalen Schubkraft „Steuerehrlichkeit“ den Weg aus der Branchenkrise ebnen.

30. November 2020In FMFM Artists, FMFM InsideVon Monika Kaiser