Corona als Brennglas – Schluss mit der Hexenjagd!
Klar, das Virus bestimmt, wen es trifft und wen nicht. Aber auch wir haben eine Wahl: nämlich die, ob wir in diesen herausfordernden Zeiten mit- oder gegeneinander kämpfen wollen! Simone Friebs Plädoyer für mehr (Mit-)Menschlichkeit!
Wir alle – Friseure und Nicht-Friseure – müssen derzeit eine Menge Verunsicherungen und Ängste aushalten. Furcht vor Corona-Infektion samt Spätfolgen, vor Existenzverlust, Sorge um unsere Lieben… Mancherorts liegen die Nerven blank. Wie mürbe einige Menschen sind, zeigt sich in immer hitzigeren, oft respektlosen Auseinandersetzungen auf Social Media, im TV – und inzwischen sogar innerhalb von Familien oder unter Freunden. Zudem gibt es krasse „Anti-Corona Demonstrationen“, bei denen sich viele unterschiedliche Gruppen – unter ihnen auch gewaltbereite Randgruppen – zu einer erschreckenden Melange formieren, gar Polizisten und Journalisten attackieren. Nun, in einer Demokratie müssen wir diese mitunter schräge Form des „Dialogs“ aushalten können. So weit, so gruselig.
Masken fallen. Trotz Maskenpflicht!
In dieser Woche hatte ich jedoch ein Erlebnis, bei dem meine persönliche Grenze der Toleranz deutlich überschritten wurde. Eine jüngst an Covid-19 erkrankte Friseurunternehmerin schilderte mir in einem Interview, welch üblen Angriffen und Vorwürfen sie ausgesetzt war, nachdem ihre Corona-Infektion im Umfeld bekannt wurde. Statt sich um sich, ihre Genesung und ihre seelische Gesundheit kümmern zu können, wurde sie von Mitmenschen – darunter Kunden und Nachbarn – beleidigt, belästigt und stigmatisiert. Und das, obwohl sie allein dank eigener Vorsicht, intensiver Maskennutzung und der Einhaltung strengster Hygienemaßnahmen im Salon und im Privatleben nachweislich keine ihrer Kontaktpersonen angesteckt hatte. Welch ein Glück! Statt Mona, wie ich sie nenne, mitfühlend Hilfe anzubieten, wurde sie gedisst für eine Erkrankung, die uns doch leider alle treffen kann: Chef, Mitarbeiter, Tochter, Opa, Tante… Mich erinnerten ihre traurigen Erzählungen an Hexenverbrennungen im Mittelalter und sie geben den Blick auf unfassbare menschliche Abgründe frei.
Wer wollen wir in der Krise sein? Zerstörer oder Bewahrer?
Macht es euch auch Angst, wie grob viele Menschen inzwischen miteinander umgehen, statt ausgerechnet jetzt zusammenzuhalten? Mit welch gespitzten Lanzen, welcher Wut und Schonungslosigkeit sie gegeneinander antreten, im Kampf um die vermeintliche Wissenshoheit? Wie da munter moralisiert, diskreditiert und unerträglich diffamiert wird? Maskengegner versus Maskenträger. Corona-Leugner versus Wissenschaft. Pessimist versus Optimist. Jetzt offenbar noch Covid-positiv gegen Covid-negativ… Wie weit ist es gekommen, dass Polarisierung allerübelster Manier inzwischen trauriger Alltag ist?! Ist es nicht Mahnmal genug, in wie vielen Ländern narzisstisch agierende Politiker Nationen spalten, durch fehlende Diplomatie das Weltklima verpesten und unsägliche Polemik salonfähig machen? Wollen wir unseren Kindern in einer solchen Belastungssituation mit schäbigen Fratzen vorangehen, statt ihnen genau jetzt Vorbild zu sein? Mit dem Virus als Freifahrtschein für schlechtes Benehmen? Nein, das können wir nicht wollen!
Zwischen Angst und Ohnmacht
Ich frage mich: Warum entpuppt sich die Covid-19-Pandemie so stark als Brennglas menschlicher Emotionen? Sichere Antworten habe ich nicht. Aber viele Ahnungen. Einer von sicher vielen Gründen mag die nackte Angst sein. Nichts scheint derzeit sicher. Argwöhnisch halten wir körperlichen Abstand und konzentrieren uns viel zu häufig auf all die Dinge, die momentan nicht gehen. Dabei können wir innere Nähe und gegenseitige Unterstützung immer noch leben! Nur eben anders. Lasst uns doch gemeinsam auf das fokussieren, was in Zeiten von Corona alles geht – es ist verdammt viel! Ein anderes heißes Eisen ist sicher das Gefühl von Ohnmacht, das vielerorts vorherrscht. Denn ausgerechnet diejenigen, die Covid-19 als Gefahr sehen, sind groteskerweise von der Solidarität derer abhängig, die keinerlei Ansteckung fürchten. Ja, die den Begriff „Freiheit“ und demokratische Werte sogar arg strapazieren und Widerstand provozieren. Gegen Maske tragen, gegen Abstand und gegen Hygieneregeln. Ein Paradox.
Empathie und Achtsamkeit sind gefragt
Ich kann mich nicht erinnern, wann mir Demokratie und (Mit-)Menschlichkeit in meiner Lebensgeschichte bedrohter schienen. Daher versuche ich, mich derzeit mehr denn je an eben diesen Grundwerten zu orientieren. Trotz körperlichem Abstand menschliche Nähe zu leben und den Dialog zu suchen. Im Gespräch mit Menschen anderer Meinung einen glasklaren Standpunkt zu haben, aber sachlich zu bleiben. Im Zweifel auch mal ein „Wir sind uns darin einig, dass wir uns nicht einig sind“ stehen zu lassen. Nicht immer nur das Trennende, sondern auch das Verbindende in anderen zu suchen. Der Versuchung zu widerstehen, immer weiter Öl ins Feuer zu gießen. Die Schwelle ist derzeit so niedrig, einfach mal dem eigenen Frust Raum zu geben und die Sau rauszulassen. Aber mal ehrlich, bringt uns das weiter? Ich denke nicht. Buchautor und Coach Veit Lindau drückte es kürzlich so aus: „Du erkennst die menschliche Reife deines Bewusstseins auch an deiner Fähigkeit, die Meinung eines Andersdenkenden aushalten zu können, ohne sofort in einen Angriffsmodus schalten zu müssen.“ Mensch, das ist dieser Tage eine echte Aufgabe…
Bitte bleibt gesund und (mit-)menschlich. Ich wünsche euch von Herzen das Beste!
Eure Simone Frieb
Chefredakteurin FMFM.de