Mein größtes Glück: Farbe und Schnitt! Ein Segen, dass es – wieder – Friseure gibt!
Heute Morgen, 7.00 Uhr. Ich wache auf und fühle mich, als wären heute Weihnachten und mein Geburtstag an einem Tag, so groß ist meine Vorfreude! Natürlich steht nichts dergleichen im Kalender, wohl aber – endlich mal wieder ein Termin! Und was für einer! Heute um 10 Uhr! Nach 7 Wochen haarigen Darbens mit gewissensgeplagten Überlegungen, DOCH den Ansatz selbst zu färben und nach dem Versprühen unzähliger Pullen Ansatzspray in Dunkelbraun darf ich meinen krisengebeutelten Schopf endlich wieder den fähigen Händen „meiner“ Friseurin überlassen. Auf dem Programm steht natürlich das volle Programm: Farbe und Schnitt!
Von Gabriela Contoli, FMFM-Redakteurin. Ich bin freudig erregt, unendlich dankbar und demütig! Letzteres deswegen, weil mir spätestens in den vergangenen Wochen knallhart bewusst wurde, welche Bedeutung die Friseurdienstleistung in meinem Leben hat. Natürlich wusste ich das als Fachjournalistin, die sich seit rund 30 Jahren mit dem schönsten aller Berufe beschäftigt, ohne selbst jemals jemandem ein Haar gekrümmt zu haben, schon immer, aber dass eine Zwangsentbehrung derartige Entzugserscheinungen mit sich bringen würde, hat mich dann doch ziemlich aus der Bahn geworfen. Und ich bin mir sicher, dass es den meisten Salonkundinnen und Kunden so geht wie mir: Wichtigkeit und Wert der Friseurdienstleistung sind „Corona sei Dank“ sowohl medial als auch gesellschaftlich von gefühlt 0 auf 100 gesprungen! Noch nie war der Friseur so begehrt, noch nie wurde sich so sehr nach ihm verzehrt!
„Hoffentlich macht ihr was draus“, bange und hoffe ich auf meinem Fußweg zu meiner Ebru im Salon Top-Stylisten in Leonberg! Ich bin übrigens bepackt mit der eigenen Wasserflasche und einer weißen Schutzmaske, die farblich 100% mit meinem mittlerweile gut 6 cm breiten – einem saftigen Vogelschiss anheimelnden – Haaransatz harmoniert.
„Wir sind froh, dass wir endlich wieder arbeiten dürfen!“
Vorbildlich „bemaskt“ trete ich durch die offene Glastür (frische Luft ist in diesen Zeiten nicht nur angesagt, sondern vorgeschrieben) und komme mir einmal mehr vor, als führte ich einen Banküberfall im Schilde. Übermütig und zum launigen Warm-up brülle ich eben dieses Wort in den mit Kunden gut besuchten Salon, als Ebru schon mit der Desinfektionsflasche auf mich zustürmt, noch bevor ich meinen Revolver zücken kann.
Im Salon Top-Stylisten wird glücklicherweise auf zwei Ebenen gearbeitet, sodass der erforderliche Mindestabstand von 1,5 m locker eingehalten werden kann. Statt der üblichen Küsschen links und rechts winken wir uns zur Begrüßung zu und freuen uns auch ohne den lieb gewonnenen Überschwang über unser Wiedersehen. Das Top-Stylisten-Team bestehend aus Ebru, Yasemin, Mellie sowie den beiden Azubis Sidney und Francesca ist heilfroh, endlich wieder arbeiten zu dürfen und entsprechend fröhlich und motiviert – und – über alle Maßen geschützt: Neben den Pflicht-Masken haben sich die fünf zusätzlich in einen weißen Ganzkörper-Schutzanzug geworfen, der mich unmittelbar und unweigerlich an jene von Pinkman und Heisenberg aus der Kultserie „Breaking Bad“ erinnert. Mit dem Unterschied, dass die darin steckend Crystal Meth statt Haarfarbe angerührt haben.
„Zum Schluss haben wir nur noch Fenster geputzt!“
Ich setze mich an den Bedienplatz ins äußerste linke Eck, der nächste Kunde rund 2,50 m von mir entfernt. Es gibt viel zu erzählen, denn auch wenn in den letzten 7 Wochen nicht viel passiert ist, ist trotzdem viel passiert. Wie die meisten Friseure sind auch die Top-Stylisten bis Mitte Mai restlos ausgebucht. „Viele Kunden haben aber immer noch Angst, sich zu infizieren und machen lieber noch keine Termine aus,“ erzählt mir Ebru besorgt. Sie und ihr Team waren dennoch erleichtert, als Frau Merkel im März im Zuge des Lockdowns auch die Zwangsschließung der Friseursalons anordnete. Viele Kunden hatten bereits in den Tagen und Wochen zuvor ihre Termine abgesagt. „Wir haben zum Schluss nur noch Fenster geputzt und unsere Beete gezupft,“ stöhnt Ebru im Nachhinein.
Die Zeit des Lockdowns hat die Friseurin intensiv zur Weiterbildung genutzt, aber auch zum Runterkommen. Den Salon Top-Stylisten gibt es nämlich erst seit knapp zwei Jahren und das waren entsprechend heftige! Dank des Kurzarbeitergeldes konnten Ebru und ihre Geschäftspartnerin Yasemin die vergangenen 7 Wochen für sich und ihre Mitarbeiterinnen einigermaßen überbrücken.
Ein bisschen Schwund ist immer…
Wir besprechen Farbe und Schnitt und Ebru trägt auf. Erstaunlich gut funktioniert das trotz Maske. Klar, rote Spritzer auf dem Gummi und vorne sind unvermeidbar, vor allem beim Abspülen der Farbe. Aber ein bisschen Schwund ist schließlich immer und das Opfer, nach meinem Friseurbesuch eine neue Maske auspacken zu müssen, ist mir dieser lang ersehnte Termin allemal wert.
Über eines muss ich staunen: Ein Kunde nach dem anderen betritt den Salon, um vor Ort einen Termin vereinbaren zu wollen. Ja, geht’s eigentlich noch? In allen Nachrichten, Magazinen und Zeitungsartikeln steht geschrieben, dass die Kunden bitteschön anrufen oder eine Mail schreiben sollen, um Friseurtermine zu vereinbaren. Mir war nicht bewusst, dass so viele den Schuss noch nicht gehört haben, sorry! Höflich bittet Ebru, sich doch lieber telefonisch zu melden. Gut so! Da nehme ich als Kundin auch gerne in Kauf, dass das Telefon häufiger klingelt als sonst und Ebru da ranmuss.
Nicht schlecht gestaunt habe ich auch, als sie mir erzählte, wie viele „unmoralische Angebote“ sie und ihre Mädls in den Zeiten der Salonschließung erhalten haben. Sogar am Wochenende wurde bei Ebru geklingelt und um einen „illegalen“ Haarschnitt gebettelt. Ich bin fassungslos! Natürlich blieb das Team standhaft: „Ich habe mir selbst erst gestern die Haare wieder gefärbt und auch meine Familie in diesen Wochen nicht versorgt“, erzählt mir Ebru. Auch gut so!
Bessere Zeiten…
„Was willst du trinken?“ fragt sie mich zwischendurch, beißt sich dabei aber sofort auf die Zunge! Die Macht der Gewohnheit! Apropos Gewohnheit! Nach 15 Minuten fühle ich mich wieder so wie immer beim Friseur, die Maske ist zwar lästig, aber bezwingbar! Worauf ich allerdings verzichte, ist die Haarkur nach der Farbe. Das dauert mir dann doch zu lange und ich nehme sie lieber mit nach Hause.
Natürlich entstand in den vergangenen 7 Wochen auch die eine oder andere „Haarspalterei“ in meinen Spitzen und der Pony ist brutal rausgewachsen. Ebru bringt mich auch hier wieder in Form und ich erlaube ihr, mich zu föhnen. Ist ja schließlich nicht verboten…Noch schnell ein nachher-Selfie und dann geht’s zur Bezahlung an die Plexiglas-Rezeption.
10-15 Minuten zeitlichen Mehraufwand benötigen Ebru und ihr Team dank Corona zwischen zwei Kunden zum Desinfizieren der Tools, Bedienplätze, dem Waschen der Umhänge etc, was natürlich bedeutet, dass noch weniger Kunden pro Tag bedient werden können bzw. jede Dienstleistung zwischen 10 und 15 Minuten länger dauert. Hoffentlich wissen das außer mir auch andere Kunden zu schätzen…und honorieren das zumindest mal mit einem großzügigen Trinkgeld…
Danke, liebe Ebru! Ich habe mich auch mit Maske und eurem neuen Astronauten-Look sehr wohlgefühlt und bin vor allem wie immer sehr zufrieden mit dem Ergebnis! Haltet die Ohren steif und haut rein! Es kommen auch wieder bessere Zeiten…Ein Segen, dass es euch (wieder) gibt!
Wie steht es eigentlich um den Friseur-Beruf? Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“
Danke, liebe Ebru! ©FMFM