Mehrwert oder Werteverfall: Friseur vs Stylist?!
Top Stylist werden ohne Friseur zu sein? Ja, das geht! Findige Salonunternehmer machen es in Zeiten von Fachkräftemangel und Mitarbeiterkrise vor: in nur 6-9 Monaten bilden sie Quereinsteiger zu vollwertigen Salonkräften aus. Ohne Gesellenprüfung. FMFM geht der Frage nach, ob hier nicht etwa das Abendland in Gefahr ist...
Es gibt sie tatsächlich: Friseurunternehmer, die berufliche Quereinsteiger ohne Gesellenbrief in Premiumsalons anstellen – und dies auch noch öffentlich zugeben. Als wäre das nicht genug, nennen sie sie je nach Qualifikationsgrad Stylist oder Top Stylist, weil sie ohne Gesellenprüfung eben nicht unter der Berufsbezeichnung „Friseur“ laufen dürfen. Schließlich ist der Begriff „Friseur“ gesetzlich geschützt. Sind die Begrifflichkeiten „Stylist“ oder „Top Stylist“ ein Nachteil? Oder gar irreführend? Für diese Salons nicht. Bisweilen heißt es sogar, dass bei dem schlechten Image des Friseurs die neue Berufs-Etikette „Stylist“ durchaus von Vorteil sein könne… Uuups. Wir halten fest: Die Büchse der Pandora ist geöffnet!
Wie steht es eigentlich um den Friseur-Beruf? Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“
Ein Sakrileg
Entsetzen wird laut. Die gute alte duale Ausbildung bekäme durch die privaten Qualifikationsalternativen unwürdige Konkurrenz, die dem ganzen Berufszweig schaden könne. Ja, sogar der (Bildungs-)Ruin einer ganzen Branche stünde auf dem Spiel! Nun aber erst einmal hübsch entspannt in die Hose atmen: Punkt eins: Das Thema Quereinsteiger ist so alt wie die Haarschneideschere selbst. Punkt 2: Man braucht kein Adam Riese zu sein, um sich auszurechnen, dass in den ganzen 5-10-Euro-Spelunken kaum 1A ausgebildete Friseure am Stuhl stehen können. Bei ihnen sind ungelernte Mitarbeiter nichts als (verwerflich) billige Arbeitskräfte. Aber selbst bei hochpreisigen Konzepten legen längst nicht ausschließlich amtlich dekorierte Meisterschüler Clipper und Farbpinsel an die werte Kundschaft. Sie heißen dort allerdings Master Stylist, Color Experte oder Junior Talent. Und der wesentliche Unterschied zwischen beiden ist (wenn es gut läuft!): In solchen Läden wird in sie investiert, statt allein mit ihnen kalkuliert. Zudem werden sie entsprechend ihrer Qualifikation honoriert.
Was genau stört? Etikettenschwindel?!
Egal ob unter dem Label Friseur oder Top Stylist: Kunde und Kundin sind nur dann genervt, wenn der Haarschnitt oder die Farbe in die Binsen gehen. Anders sieht es allerdings in den eigenen Reihen aus: Am meisten sind es die (Friseur-)Kollegen selbst, die ob der Quickie-Ausbildung samt neuem (Berufs-)Titel auf die Barrikaden gehen! Aber warum eigentlich? Letztlich macht doch seit jeher nur die Qualität den Unterschied. Schon immer ist sie es, die Märkte bereinigt und die Spreu vom Weizen trennt, Gesellenbrief hin oder her. Wer in Zeiten von nahezu komplett leergefegten Fachkräfte-Märkten und zahllosen Ausbildungsabbrechern alternative und kreative Wege bei der Mitarbeitergewinnung beschreitet, hat Respekt verdient. Und sogar mehr als das! Statt zu resignieren, bilden diese Unternehmer im Hochpreissegment hochmotivierte Quereinsteiger zu engagierten Tippi-Toppi-Leuten aus, die in jedem Salon einsetzbar sind, für gute Umsätze sorgen und Kundschaft glücklich machen. Vielleicht auch irgendwann mal in euren eigenen. Wieso braucht es da zwingend den Gesellenbrief? Eine klassische Lehre zum Friseur hätten all diese Quereinsteiger ja längst machen können. Haben sie aber nicht. Und werden sie vermutlich auch nicht, weil sie da in buntgemischten Berufsschulklassen sitzen, in die sie oft weder altersmäßig noch in Sachen Motivation und Lust an der Praxis passen. Das Ganze für ein maues Lehrgehalt. Und das allein, um den Titel Friseur statt Stylist tragen zu dürfen? Fragwürdig.
Tradition oder Untergang
Es macht also – auch unternehmerisch gesehen – absolut Sinn, genau diesen Menschen mit Talent auf andere, kreative Art und mit Eigeninitiative den Steigbügel in die Beautybranche zu halten! Als Alternative und vor allem parallel zur dualen Ausbildung, versteht sich. Denn nur mal nebenbei gefragt: Wo sollen denn in Zukunft all die nötigen Mitarbeiter in den Salons herkommen, wenn kaum jemand mehr selbst ausbilden möchte und 4 von 5 Friseur-Azubis schon während der Lehre abspringen? Querdenken ist angesagt, in diesen Zeiten!