Friseure und Burnout: „Das geht schon irgendwie…. Ich bin ja Chef.“

Friseure-und-Burnout-Das-geht-schon-irgendwie-Ich-bin-ja-Chef-2549-1
Schritt für Schritt. Burnout ist ein schleichender Prozess
Fotolia
Schritt für Schritt. Burnout ist ein schleichender Prozess

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Burnout und Depressionen können jeden treffen. Egal, ob Chef oder Angestellte(r). In einem schleichenden Prozess werden die Kräfte weniger, Freude und Leichtigkeit verpuffen aufgrund anhaltender Überlastung im Nichts. Das Leben wird ein anderes. Fmfm.de begibt sich auf die Spuren eines Generationen-Phänomens, das immer häufiger und bei immer jüngeren Menschen auftritt. Im ersten Teil unserer Burnout-Berichterstattung kommt Friseurunternehmer Chris Mattick zu Wort. Der Günzburger kennt Anzeichen und Auswirkungen des „Ausgebranntseins“ nur zu gut. Doch er hat einen - seinen Ausweg - gefunden. In entwaffnend ehrlichen Worten schildert er seine Geschichte.

Anzeige

Anzeige

Das geht schon irgendwie… Das denken wir uns jeden Tag. Da zieht es ein bisschen im Rücken. Am besten gehe ich einfach morgens vor der Arbeit wieder ein paar Kilometer joggen, dann passt das. Ein bisschen schwierig ist es schon für mich, über andere Sachen als die Arbeit zu reden, aber irgendwie hört immer irgendjemand zu. Wieder 5 Kilo zugenommen! Jetzt pass ich auf, was ich mir mittags zwischen zwei Kunden und der Büroarbeit im Stehen so reinhaue. Und abends esse ich weniger, dann komme ich in Form! Diese und ähnliche Gedanken verfolgen uns drei, vier Jahre! Und wir können damit umgehen! Gebetsmühlenartig sagen wir uns das jeden Morgen, wenn wir übers Waschbecken gebeugt vor dem Spiegel stehen. Wir sind nämlich Chefs! Unsere Bestimmung ist es, unbesiegbar zu sein. Und außerdem lesen wir ständig schlaue Bücher über „Work-Live-Balance“ und so. Wir schaffen das. Es fragt ja nicht wirklich jemand danach.

Noch geht es…

Chris Mattick Chris Mattick

Heimlich, eher unbemerkbar, werden über die Jahre die Leute, die uns in der Freizeit über die Arbeit sprechen hören, weniger. Und irgendwie kommt meine Freundin auch nicht mehr so easy damit klar, dass ich ständig über den Stress bei der Arbeit erzähle, über einzelne Kunden, Mitarbeiter, Preiserhöhungen, Reklamationen oder das beknackte Wetter. Irgendwie kotzt mich auch das „In-den-Urlaub-fahren“ immer mehr an. Macht ja auch keinen Spaß, wenn man den Kopf zuhause im Salon lässt. Und mein Rücken wird immer schlimmer. Wahrscheinlich, weil ich fett bin. Ich sollte wieder Yoga machen. Abends ausgehen kann ich nicht, da bin ich echt im Arsch. Aber nicht so schlimm, meine Freunde haben sich eh schon lange nicht mehr gemeldet… Oder ich? Habe ich eigentlich Freunde?

Dann wache ich morgens auf. Irgendwas ist anders! Da ist diese große, dunkle Wolke, die hinter mir ist. Die macht mich müde, die nimmt mir Kraft. EGAL, die ignoriere ich einfach…. Und dann? Dann gehst du in die Knie! Dann stehst du morgens nicht mehr enthusiastisch auf. Der erste Konflikt des Tages, den du um 6 Uhr hast, ist der mit deiner Blase, die entleert werden muss und der mit deinem Körper, der übrigens immer noch schmerzt. Und da ist diese riesige, dunkle Wolke, die sich nicht ignorieren lässt. Depressionen nennen sie das! Die habe ich aber nicht! So etwas haben nur schwache Menschen! Ich aber bin Chef!

Ich weiß nicht, ob das jemandem hilft. Ob sich jemand in meiner Geschichte wiederfindet oder ob es Quatsch ist. Aber ich will euch sagen, was mir hilft. Richtig: Gegenwart! Die geht nämlich nie wieder weg. Die Wolke wird für immer mein Begleiter sein. Ich kann nur versuchen, ein Leben mit Oberhand zu führen. Das schaffe ich, indem ich perfekt strukturiert bin. Disziplin und daraus resultierende Routinen zwingen mich durch mein Pflichtbewusstsein, am Tag teilzunehmen. Regelmäßiges Essen und Sport helfen gegen die Schmerzen. Das funktioniert allerdings nur, wenn ich mir erlaube, das Wort „NEIN“ in seiner vollen Bedeutung immer mal wieder zu verwenden. Was noch gegen diese dunkle Wolke hilft, ist Sonnenschein. Sowohl echte Sonne als auch meine Sonne, die Frau, die mein halbes Leben lang in mein Gesicht lacht, wenn ich aufwache. Die macht ganz schön was mit, ist oft 100 Mal stärker, als ich es je sein könnte. Und sie ist kein Chef. Ihre Superkraft besteht darin, immer wieder zuzuhören, zu sagen: „Wir schaffen das.“

Sie hat tatsächlich nachgelesen, wie man mit solchen Menschen wie mir umgehen sollte. Sie hat für mich entschieden, dass wir im Urlaub bis zur Erschöpfung Bewegung haben, damit mein Kopf nicht im Salon bleibt. Sie akzeptiert, wenn ich einen schwachen Tag habe, an dem die Wolke gewinnt. Sie sagt aber im selben Atemzug: „Versuche doch wenigstens mit mir rauszugehen, zum Spazieren oder so.“

Was nicht hilft, sind Pillen. Die machen dich irre. Akzeptiert eure Schwächen, wir sind leider – oder zum Glück – auch nur Menschen. Vertraut euch jemandem an, legt euch Routinen und Strukturen fest; ihr braucht einen geordneten Tagesablauf. Und verdammt nochmal: nehmt euch nicht so wichtig! Die Welt dreht sich weiter, auch wenn euer Lieblingskunde die Farbe von jemand anderem bekommt oder die stressige Alte kommt, die jeden Monat ihren Miniansatz bemäkelt und dir die Schuld dafür gibt, dass ihre Sch…haare wachsen. Gewöhnt euch ein wohldosiertes, aber sehr deutliches „NEIN“ an. Nein, jetzt komme erst mal ich. Und nehmt euch die Zeit, mit anderen Menschen Spaß zu haben. Lest Bücher, geht raus, seht die Sonne, liebt mit eurem ganzen Herzen, lächelt die Menschen an, die kein Lächeln haben. Vielleicht brauchen die das gerade auch. Und seid dankbar!“