Von wegen, Verbände sind nicht sexy! Der Zentralverband belehrte in Berlin eines Besseren!
Mit viel Erfahrungsaustausch, konstruktiven Diskussionen, hochkarätigen Vorträgen und jeder Menge Showtime starteten der Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks (ZV) und seine über 130 Obermeister sowie Meinungsbildner der Branche am vergangenen Wochenende in Berlin ins Jahr 2017. Neue Impulse für die erfolgreiche Innungsarbeit standen im Fokus. Ein besonderes Rahmenprogramm mit einem exklusiven Dinner im Reichstag und dem Besuch der „THE ONE Grand Show“ im legendären Friedrichstadtpalast rundete das Obermeister Jahresauftakt Seminar ab. Am Sonntagnachmittag präsentierte das Modeteam des ZV erstmals seine Frühjahr/Sommer Kollektion 2017, Pure & Urban. Gabriela Contoli war vor Ort.
„Verbände werden nie sexy!“ Diese Worte ausgerechnet aus dem Mund von Jörg Müller, Geschäftsführer des Zentralverbands des deutschen Friseurhandwerks (ZV), zu hören, ließ den einen oder anderen Teilnehmer beim Obermeister Jahresauftakt Seminar in Berlin doch mal schnell durch die Zähne pfeifen. Stimmt ja eigentlich, aber ausgerechnet an diesem Wochenende präsentierte sich der ZV sexy wie nie! Und damit sind nicht nur die sündigen Latex-Ladys beim Abendprogramm im Friedrichstadtpalast gemeint oder die zauberhaften Modelle bei der Präsentation der brandneuen Haar- und Make-up Trends des ZV-Modeteams rund um Art Director Roberto Laraia! Nein, der Zentralverband zeigte sich in Berlin wohltuend jung, harmonisch, voller Tatendrang und fest entschlossen, zu neuen Ufern aufzubrechen. Das Team rund um Geschäftsführer Jörg Müller signalisierte dabei Einigkeit und Gesprächsbereitschaft.
Fotos: Zentralverband des Deutschen Friseurhandwerks
Wagen wir die Dinge so zu sehen, wie sie sind!
Harald Esser
Man müsse in unserer durch Image-, Ausbildungs- und Nachwuchsprobleme gebeutelten Branche doch an einem Strang ziehen, ließ Präsident Harald Esser immer wieder raus, der mit seinem Kölschen Charme durch die drei Tage moderierte. Und damit meinte er nicht nur den Zentralverband, sondern auch seine Landesinnungsverbände, die Innungen und Handwerkskammern. „Wagen wir die Dinge so zu sehen, wie sind“, begrüßte Esser die Teilnehmer(innen) und hielt anschließend Rückblick auf das, was die Verbände in den vergangenen Jahren alles auf den Weg gebracht haben und in den kommenden Jahren weiter umsetzen wollen. Da wäre z. B. das Bündnis gegen Schwarzarbeit und Lohndumping, das mit Unterstützung des Finanzministeriums den Zoll unlängst in einer großangelegten deutschlandweiten Razzia sensibilisieren konnte, den vielen schwarzen Schafen unserer Branche auf die Pelle zu rücken. Allerdings seien Vorgehensweise und Auswahl der besuchten Salons nicht immer ganz nachvollziehbar gewesen, wie einige zum Teil betroffene Teilnehmer bedauerten, auch wenn der Zoll durchaus seine „Erfolgsergebnisse“ hatte. Da wäre außerdem die Ethikcharta, der 10-Punkteplan für die Innungsmitglieder, der mit ethischen Grundprinzipien versehen immer wieder deutlich machen soll, wie es in einem modernen fairen Friseurbetrieb zugehen muss. Mit der Ethikcharta sollen sich Saloninhaber ganz klar zu Qualität und erstklassigem Service in ihren Betrieben bekennen. Das vor Kurzem gemeinsam vom ZV und der Handwerkskammer Koblenz gegründete Bundesleistungszentrum Haare & mehr legt den Grundstein für intensive moderne und vielseitige Weiterbildungsmöglichkeiten im Friseurhandwerk. Mit seiner modernen Homepage, einer innovativen App und dem stylishen H|MAG Magazin hat der Zentralverband in den letzten Jahren seine Kommunikationswege modernisiert und den medialen sowie digitalen Bedürfnissen der heutigen Zeit angepasst. Mit dem in 2016 erstmals durchgeführten „Unternehmerinnen-Award“ setzte der ZV mit seiner bis heute immer noch auffallend männerlastigen Struktur ein Zeichen! Eine Fortsetzung gibt es in diesem Jahr.
Alles digital, oder was?
Referent Christian Baudis
Alte Krusten scheinen also langsam aufzubrechen, die Kunst dabei ist jedoch, damit keine weiteren Wunden aufzureißen. Doch Reformen sind besonders in Verbänden leider sehr geduldig! Das Thema Digitalisierung dominierte eindeutig bei den im Rahmen des Seminars gehaltenen Vorträgen hochkarätiger Referenten wie Christian Baudis, ehemaliger Google-Chef Deutschland und Matthias Lange (Redaktion 42), die den Teilnehmern aktuelle Entwicklungen, Chancen und auch Herausforderungen durch die Digitalisierung für den Salonalltag und die Innungsarbeit aufzeigten. Willkommen in der virtuellen Realität, liebe Friseure! Wobei besonders die damit verbundenen Zukunftsvisionen schon auch ein bisschen Angst machen!
Neue Perspektiven für den Friseurberuf
Auch in Sachen Ausbildung stehen die Zeichen auf Reform. Vor allem die in die Jahre gekommene Meisterprüfungs- und Gesellenprüfungsordnungen bedürfen dringend eines zeitgemäßen Updates. Das brachte Robert Fuhs, Vorstandsmitglied und Vorsitzender des Berufsbildungsausschusses, mit lauter und klarer Stimme in seinem Vortrag „Friseurberuf 2020“ unmissverständlich zum Ausdruck. Bildungspolitik müsse zur Strukturpolitik für jeden Innungsbetrieb werden, mahnte Fuhs und machte deutlich, dass auch hier die Berücksichtigung der Digitalisierung eine Reform sicherlich erheblich erleichtern würde. Weiter verwies er auf neue Karrierechancen wie ein Berufsabitur oder den Bachelor of Beauty. Dies seien wichtige Ziele für die Branche, um attraktive Perspektiven in der Weiterbildung und für die Karriere im Friseurberuf zu schaffen.
Wir müssen unsere Betriebe stärken!
Doch bei aller Aufbruchsstimmung – für Harald Esser, Präsident des Zentralverbands, gibt es zwei Dinge, für die er alles tun wird, damit diese zum Stillstand kommen: „Ich möchte mich nicht mehr vom Mindestlohn jagen lassen“, stellt er in Berlin bestimmt in den Raum. Dass man mit dem Friseurberuf kein Geld verdienen kann, müsse dringend raus aus den Köpfen. Ein weiterer Stachel: die Zahl der Kleinstbetriebe dürfe nicht mehr weiter explodieren. Die Teilnehmer stimmen ihm irgendwie etwas müde zu, auch wenn das „Wie soll das gehen?“ trotz intensiven Diskutierens an diesen beiden Tagen leider eher unbeantwortet bleibt, was aber zu erwarten war. Rom ist schließlich auch nicht an einem Tag erbaut worden. Ein Teilnehmer schlägt im Zuge der ungeliebten Kleinstbestriebe vor, Gerechtigkeit walten zu lassen und für ALLE Salons die ersten 17.500 Euro Umsatz steuerfrei zu belassen. Klingt allerdings eher nach Trostpflaster statt nach einer Lösung des Problems. Da hört sich der Einwurf einer weiteren Teilnehmerstimme doch vielversprechender an: „Wir müssen unsere eigenen Betriebe stärken, damit uns die 17.500 Euro-Betriebe nicht stören.“
Führungskompetenzen ausbauen
Lösungswege kamen auch von Unternehmenstrainer und Branchenkenner Peter Lehmann, der in seinem Vortrag „Worte machen Leute – Führungsqualität im Friseurhandwerk“ anhand praktischer Beispiele die Notwendigkeit der richtigen Führung im Betrieb deutlich machte. Dabei ging er auch auf den viel diskutierten Lohnfaktor ein und machte keinen Hehl aus seinem Standpunkt, vor allem dem Mitarbeiter klarmachen zu müssen, dass das Lohnsystem ihm dabei helfe, mehr zu verdienen. Oder andersrum: Was ein Mitarbeiter im Salon umsetze, sei wichtiger als die Lohnfaktordiskussion, so Lehmann. Darum seien profunde und regelmäßige Mitarbeitergespräche nötig, für die sich jeder Salonunternehmer ausreichend Zeit nehmen sollte.
An der dualen Ausbildung wird nicht gerüttelt
Bei der Ausbildung kündigt Harald Esser die Einführung einer Sozialkasse als Schritt in die richtige Richtung an, diese wird jedoch unter den Mitgliedern kontrovers diskutiert. In einem Punkt sind sich Vorstand und Mitglieder jedoch offensichtlich einig: Die duale Ausbildung müsse und werde bleiben, denn sie sei die Basis, die „Grundschule“ für den Friseurberuf. Niemand habe was gegen eine begleitende oder weiterführende private Ausbildung, betont der ZV. Man müsse aber miteinander reden, nur dann könne man gemeinsam das angeschlagene Image der Branche wieder in eine richtige Richtung lenken, so Esser.
Alle sollten an einem Strang ziehen
Apropos Image! Derzeit sehen sich Verband und Mitglieder vor allem in den sozialen Medien feindseligen Äußerungen ausgesetzt, die teilweise extrem unter die Gürtellinie gehen. „Wir werden sogar mit Trump verglichen“, ärgert sich ein Obermeister. Jörg Müller ist diese traurige Entwicklung bewusst. „In den sozialen Medien gibt es nur schwarz oder weiß“, bedauert der ZV-Geschäftsführer und befürchtet, dass „Verbände leider nie sexy werden“.
Na ja, vielleicht nicht sexy, aber das verlangt doch auch niemand, oder? Und was die oben zitierten Anfeindungen betrifft, fragt man sich, warum reden diese Kritiker nicht auf einer konstruktiven Ebene und direkt mit dem ZV? Der Vorstand und die Mitglieder scheinen jedenfalls offener und gesprächsbereiter denn je! Die Vorurteile sollten an dieser Stelle mal über Bord geworfen werden. Auch hier müssen Krusten vorsichtig aufgebrochen werden, denn Harald Esser hat vollkommen Recht: Nur mit vereinten Kräften ist es zu schaffen, dem leider nach wie vor dahindümpelnden Image der Friseurbranche wieder neuen Glanz zu geben, den Friseurberuf wieder attraktiv werden zu lassen und einen fairen Wettbewerb zu gewährleisten. Dass vor Erreichung dieser Ziele noch ein langer steiniger Weg liegt, bestreitet niemand, auch der ZV nicht. Aber wie heißt es so schön, der Weg ist das Ziel. Und dass sich die Verbände auf den Weg gemacht haben, bestreitet sicherlich auch niemand, der in Berlin dabei war.