Der Vollbart zwischen Trend und Terror
Mann trägt Bart! Der Trend ist ungebrochen, aber der Vollbart polarisiert auch in Zeiten des Internationalen Terrors. Was wird sich dauerhaft durchsetzen? Trend oder Terror? Von Gabriela Contoli
Ok, ich bin eine Frau! Und jedem Härchen, das irgendwo zwischen Nase und Dekolleté Wurzeln zu schlagen versucht, erklären meine Pinzette und ich täglich den Krieg! Anders bei den Männern. Haare im Gesicht und davon möglichst viele sind auch im Jahr 2016 Statement, sind Bekenntnis zur (gepflegten) Männlichkeit. Barbershops unterschiedlichen Niveaus schießen wie Pilze aus dem Boden. Trend ungebrochen, wie beim Messerundgang in Düsseldorf zu sehen war. Highend-Bartpflege auf der Bühne und in den „retroisierten“ Vintage-Messeständen sowie unfassbar viele Friseure im Propheten-Rauschebart-Look in den Gängen prägten das Bild. Doch bei allem modischen Hype und der virilen Sehnsucht nach dem Mann im Mann stoßen Vollbärte in Zeiten des internationalen Terrorismus nicht immer nur auf Verständnis.
Welche Männer tragen Bärte?
Vorneweg, auch wenn der Bart derzeit in aller Munde ist, in meinem will ich ihn nicht haben! Erklärung: Er sticht und piekst beim Küssen! Aber anschauen tu ich ihn gerne, sofern er profimäßig gepflegt ist! Da ist aber noch etwas Anderes, das mich beim Dauer-Hype um die intensive Gesichtsbehaarung jenseits der Wangen umtreibt: Wie kommt es, dass ausgerechnet in Zeiten, in denen der Rauschebart unbestrittenes Kennzeichen terroristisch agierender Menschen ist, dieser trendmäßig dermaßen durch die Decke geht? Wer oder was ist er denn eigentlich, der Bartträger? Ein Männlichkeitsbekenner? Ein Trendmitmacher? Ein Jetzterstrechtbartstehenlasser? Ein Vintageretronostalgiker? Oder einfach nur ein Mitbartsichschönerfühler? Ich unterstelle jetzt einfach mal, dass sich jeder Bartträger mit mindestens einem dieser Titel identifizieren kann. Fakt ist, ich persönlich kenne ausschließlich liebenswerte Rauschebärte, hinter denen sich vermutlich alles, aber keine extreme Gesinnung verbirgt. Und eines ist unbestritten: Vielen Männern stehen die Haare im Gesicht extrem gut! Und außerdem liebe ich stilvoll eingerichtete Barbershops!
Verwechslungen und Vorurteile
„Es ist die Sehnsucht nach der Vergangenheit, nach Retro, Vintage und verloren geglaubter Männlichkeit“, wurde mir auf der Messe von begeisterten Barbern und Vertretern erfolgreicher Barbershop-Anbieter der ungebrochene Trend erklärt. Des Weiteren wurde mir versichert, dass der Trend ja nun bereits einige Jahre anhielte und dabei sei, sich zu manifestieren. „Die Leute haben den Vollbart als Trend akzeptiert und bringen ihn nicht (mehr) in Verbindung mit Islamisten“, lautete der Tenor. Doch ist das wirklich so? Ich bin da skeptisch. Und bei meiner Recherche habe ich einiges gefunden, das diese These ein wenig zum Wunschdenken werden lässt. So gab das Internetportal kurier.at z. B. die Erfahrungen des österreichischen Caritas-Geschäftsführers wieder, als dieser auf den Bartwuchs-Trend aufsprang und sich alsbald als Dschihadist, Radikaler, Taliban, Hisbollahmitglied, IS-Kämpfer, Terrorist, Asylant, Sandler, Penner und Hipster beschimpfen lassen musste. Er hätte es nach eigenen Angaben nicht für möglich gehalten, was er sich da alles anhören musste, erzählte er auf Facebook. Und konnte sich nach diesen Anfeindungen gut vorstellen, was Menschen ganz generell aufgrund von bloßen Äußerlichkeiten erleiden müssen, ohne die Möglichkeit zu erhalten, sich zu erklären. Der Bart soll inzwischen jedenfalls wieder ab sein. Schade eigentlich! Aber leider kein Einzelfall!
Anderes Beispiel: Erst kürzlich ging folgendes Ereignis durch die Medien: Etwa 20 Mitglieder des schwedischen Klubs „Bearded Villains“ posierten in dunkler Kleidung, langen Bärten und mit schwarzer Flagge in der Öffentlichkeit für ein Gruppenfoto. Ein besorgter Mitbürger alarmierte die Polizei in der Annahme, es handele sich um IS-Kämpfer. Doch es kam heraus, dass die bärtigen Mitglieder keineswegs Terroristen waren, sondern ganz im Gegenteil, sie sich sogar gegen Homophobie und Rassismus einsetzen. Die einzige Gemeinsamkeit: der lange Bart und die schwarze Flagge! Vorurteil pur!
Misstrauische Blicke
Auch ich habe sie schon gesehen (und ehrlich zugegeben auch selbst schon riskiert): die misstrauischen Blicke beim Check-in am Flughafen, am Bahnsteig oder beim Sonntagsspaziergang durch den Stadtpark, wenn dunkel gekleidete Männer mit langen Vollbärten den Weg kreuzen. Die müssen sich allgemein ganz schön viel gefallen lassen, angefangen von abwertenden Blicken über böse Kommentare bis hin zu öffentlichen Anfeindungen.
Alles nur Hysterie oder verständliche Reaktionen besorgter und verängstigter Mitbürger? In Zeiten von Dschihadismus, Salafismus und Terrorismus ist es einerseits nur allzu verständlich, dass die Bartmode polarisiert. Doch muss sich Mann wirklich rechtfertigen, wenn er sich für die haarige Variante seiner unteren Gesichtshälfte entscheidet?
Die wenigsten Bartträger sind Terroristen, aber leider sind die meisten Terroristen Bartträger!
Der Bart ist definitiv modisches Statement und wäre ein Trend wie jeder andere auch, wäre er nicht gleichzeitig zum unfreiwilligen Symbol gefährlicher Terroristen avanciert. Verbrecher wie Osama bin Laden, Abu Bakr al-Baghdadi oder auch Christen, die sich plötzlich zu IS bekennen und symbolisch einen Bart wachsen lassen, verleihen dem Barttrend ein „Geschmäckle“. Und wen wundert`s, wenn sich das Klischee, „alle Islamisten haben lange Bärte“, sogar in der islamischen Welt hartnäckig hält? Natürlich stimmt es, dass der Rauschebart viele Terroristen kennzeichnet und von diesen offensichtlich dazu missbraucht wird, ihrer politischen Gesinnung Ausdruck zu verleihen, aber Fakt ist, dass nur eine geringe Minderheit aller Muslime, die Vollbart tragen, terroristisch orientiert sind. Doch reichen Fakten immer aus?
Sogar in der Türkei distanzieren sich immer mehr Bartträger von ihrer haarigen Pracht und lassen sie abrasieren, weil sie als Islamisten angefeindet werden. Das berichtet die Zeitung „Hürriyet“. So seien z. B. in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir viele Bartträger für Sympathisanten des IS gehalten und sogar von einem Mob verfolgt worden, berichtet das Blatt. Ein örtlicher Friseur erzählt: „Einige Bürger, die nichts mit dem IS oder der Hisbollah zu tun haben, sind wegen ihrer Bärte schikaniert worden. Ich mache diese Arbeit seit 15 Jahren und habe noch nie so viele Bärte rasiert“, wird er in Hürriyet zitiert.
Auf den Catwalks, in den Hochglanzmagazinen, beim Friseur und in Barbershops, überall wird er gefeiert und avanciert weiterhin zum Kult, der Bart. Doch verträgt sich dieser Trend tatsächlich mit der ungewollten Symbolkraft, die durch ihn von den derzeit gefährlichsten Menschen der Welt ausgeht? Man muss bei Google nur mal die Stichworte „IS-Kämpfer“ und „Fotos“ eingeben.
Was meint ihr, liebe Friseure und Barbiere? Wird sich der Barttrend dauerhaft durchsetzen oder droht ihm in absehbarer Zeit das politische Aus?