Hilfe, die Kinder wollen Friseure werden!

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Was wünsche ich mir für meine Kinder? Katrin Holz hat sich die Frage gestellt.
Foto: Andra
Was wünsche ich mir für meine Kinder? Katrin Holz hat sich die Frage gestellt.

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"Mama, wir möchten deinen Salon übernehmen!" Als Katrin Holz diesen Satz von ihren Teenie-Kindern hört, verschlägt es ihr die Sprache. Klar, sie liebt ihren Job als Friseurunternehmerin. Aber sie weiß auch um all die Schmerzen, die mit der Geburt eines erfolgreichen Salon-Businesses zusammenhängen. Ist es wirklich das, was sie sich für ihre eigenen Kinder wünscht? Eine Kolumne mitten aus dem Leben.

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„Mama, wir möchten deinen Salon übernehmen.“ Als wir vor kurzer Zeit im Familienurlaub waren, hörte ich, wie sich unsere Kinder (11 und 15 Jahre) darüber austauschten, wie sie unseren Salon führen würden. Sie flüsterten. Offensichtlich sollte ich nicht hören, was sie sagten. Es klang, als würden sie vieles verändern wollen. Eine Salonübernahme durch meine Kinder! Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich kam ins Grübeln. Ist es das, was ich meinen Kindern für die Zukunft wünsche? Inflation, Energiekrise, Mitarbeitermangel… . Wer weiß, was noch kommen mag? Schließlich habe ich selbst erfahren, was einem die Selbstständigkeit abverlangt; wie es mit Vereinbarkeit von Familie und Unternehmen aussieht. Was es bedeutet, für alles allein die Verantwortung zu tragen und was zehn bis zwölf Stunden täglich arbeiten und nur fünf Tage Urlaub im Jahr bedeuten.

Rückblick

Am Anfang war alles ganz einfach: Selbstständig machte ich mich, trotz allseitigen Abratens, im Jahr 2002. Obwohl der deutsche Markt gerade auf den Euro umstellte und ich bei einem monatlichen Lohn von 550 Euro keinerlei Startkapital besaß, hatten wir, meine Geschäftspartnerin und ich, große Pläne. Wir wollten uns auf Haarverlängerungen spezialisieren. Alles begann mit einem selbstgebauten Arbeitsplatz auf Paletten. Am Wochenende begleiteten wir Tänzerinnen in die Discotheken und kümmerten uns dort um das Styling ihrer neuen Haarverlängerungen. Im Gegenzug durften wir Flyer auslegen und Banner aufhängen. So absurd es auch klingt: das war unsere Werbung, denn Social Media gab es noch nicht. Und es funktionierte. Schnell waren wir sehr bekannt in der Region. Dann verabschiedete sich meine Partnerin und zog nach Berlin, sodass ich den Salon ab 2004 alleine führte. Es war der schrägste, lauteste und wohl auch der verräuchertste (damals durfte man noch in Innenräumen rauchen) Salon, den man sich vorstellen konnte.

Einfach machen

Mein Konzept: Hauptsache anders! Und das waren wir auch. Unser Claim: „Standard gibt‘s woanders“. Ein großer Höhepunkt meiner Karriere war die Verleihung des „German Hairdressing Awards“. Mit viel Leidenschaft und Herzblut produzierten meine Freundin Andrea und ich an den Wochenenden neben der Arbeit eine Fotostrecke, mit der ich zum „Hairdresser of the Year“ gekürt wurde. Diese Zusammenarbeit hat unsere Freundschaft besonders geprägt. Ich durfte das tun, was ich an meinem Job liebe: kreativ mit Haar zu arbeiten. Diese Zeit war großartig. Es entstand ein großes Team aus zwölf Mitarbeiterinnen. Doch da kamen auch die Schattenseiten meines Berufs zum Vorschein. Denn die unternehmerische Seite war nie mein Steckenpferd. Mitarbeitergespräche oder gut organisierte Planung gab es nicht. Der Preis wurde auch nie angepasst. Bis auf den gelegentlich wechselnden Innenanstrich änderte sich nicht viel. Es fehlte die Vision. Es gab kein Konzept. Der Salon entwickelte sich nicht weiter.

Schieflage

So landete ich irgendwann im Hamsterrad, hatte weder Zeit noch Geld, staute dafür aber eine ganze Menge an Frust auf, der sich auch in meinem Team spiegelte. Wie sagt man so schön? Die Konkurrenz schläft nicht. Kunden wechselten den Salon, potentielle neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entschieden sich für einen neuen angesagten Laden um die Ecke. Das Team schrumpfte innerhalb kürzester Zeit von zwölf auf vier Mitarbeiterinnen. In dieser Phase erwartete ich mein zweites Kind. Doch Zeit für eine lange Pause konnte ich mir nicht nehmen und stand, sobald es ging, wieder im Salon. Elternzeit nahm ich nicht. Ständig ging ich an meine Grenzen, um meiner Verantwortung gerecht zu werden und mein Unternehmen zu halten. Ich weiß noch genau, wie ich mich dabei gefühlt habe: wie eine Versagerin. Heute weiß ich, dass das nicht stimmt und auch nie der Wahrheit entsprach. Es war die Angst vorm Versagen, die mich dorthin brachte. Die Angst vor einer Sache löst oft mehr Beklemmung aus als die Sache selbst – eine Erkenntnis, die ich heute in meinem Coaching weitergeben und so überlasteten Menschen helfen kann. Ich habe sie selbst sammeln müssen. Es war klar, dass es so nicht weitergehen konnte.

(Neue) Strukturen

An dieser Stelle kam mein Mann hinzu. Als ich nur noch leer und kraftlos war, entwickelte er eine Vision. Er gab uns eine neue Perspektive und sah, anders als ich in diesem Moment, eine Menge Potential. Mit unseren gemeinsamen Ideen begaben wir uns auf einen neuen Weg. Eine neue Reise. Wir ließen uns beraten, besuchten Seminare und Coachings. Wir suchten und suchten und fanden schließlich unsere Position. Eine Spezialisierung, die zu uns passt und eine gemeinsame Vision vom Leben. Wieder standen wir vor vielen Herausforderungen: Alle Dinge, die ich all die Jahre vernachlässigt hatte, mussten nun angegangen werden. Die erste Preisanpassung umfasste eine Erhöhung von 40%. Jeder in der Branche kann sich vorstellen, was das für einen Salon bedeutet. Aber es war notwendig. Das Führen unseres Unternehmens ist ein ständiger Suchprozess, ein ständiges Hinterfragen der Gewohnheiten, ein stetiges Neuausrichten. Mittlerweile ist dieser Prozess ein fester Bestandteil unserer Arbeitsweise. Flexibilität gehören für uns ebenso dazu wie Struktur und natürlich Strategie. Denn alle drei sind unsere Wunderwaffen in Zeiten des ständigen Wandels und der Unbeständigkeit geworden. Ich habe also gelernt: 1. Tu das, was du liebst! 2. Kenne deinen Wert! 3. Niederlagen machen stark! 4. Finde eine Vision, die zu deinem Leben passt! 5. Sei nicht perfektionistisch, sei flexibel!

Eigene Erfahrungen

Nun spielen also unsere Kinder lautstark mit dem Gedanken, in unsere Fußstapfen treten zu wollen. Und ich frage mich: Möchte ich das überhaupt? Ich weiß schließlich, wie hart der Weg als selbstständige/r Friseurunternehmer*in sein kann. Aber ich weiß auch, wie erfüllend es sich anfühlt, dem eigenen Herzen zu folgen und die ganz persönliche Entwicklung Schritt für Schritt voranzutreiben. Was ich an meinem Beruf so liebe, sind diese vielen unterschiedlichen persönlichen Beziehungen, die ich täglich eingehe. Erst durch sie habe ich die innere und äußere Schönheit meiner Kund*innen und die von mir selbst entdecken dürfen. Ich frage mich also: Muss ich überhaupt meine Kinder als vermeintlich kluge Ratgeberin davor schützen, damit sie nicht die gleichen Fehler begehen, die ich einst gemacht habe?

Andere Generation

NEIN, denke ich mir. Denn mir wird klar, dass ich sie damit nur einschränken würde. Was ich ihnen mitgeben kann, ist die volle Freiheit, ganz aus sich selbst heraus zu entscheiden. Sie sollen ihre eigenen Erfahrungen machen und sich selbstständig entwickeln. Ihren ganz eigenen Weg im Leben und im Job finden. Sollte es tatsächlich der Beruf Friseur*in werden: gern, ich stehe ihnen nicht im Weg und werde ihnen bei Bedarf immer den Rücken stärken. Oder natürlich auf Anfrage auch Ratschläge geben. Ich wünsche mir jedoch vor allem eines: sie sollen glücklich werden und Veränderung als einen positiven Impuls für Weiterentwicklung sehen. Also sagte ich nur: „Ich bin wirklich sehr gespannt, was ihr mal aus dem Salon machen werdet.“ „Ja“, erwidert meine Tochter. „Es wird ganz anders.“

 

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