Win-Win für alle? Coworking-Vermittlung für mobile Friseur*innen
Mobiles arbeiten = Schwarzarbeit? Weit gefehlt! Neciha Karadas weiß, dass viele mobile Friseur*innen weitaus professioneller sind, als Berufskollegen vermuten. Die engagierte Unternehmerin hat mit „chairing days“ das erste Vermittlungsportal für Coworking-Spaces im Friseurbusiness gegründet. Im Gespräch mit FMFM erklärt sie, inwiefern der Chairing- bzw. Sharing-Gedanke einen Ausweg aus dem Fachkräftemangel darstellen kann und warum „Mobile Beautys“ immer wichtiger für die Friseurlandschaft werden.
„Was gibt es Trostloseres als einen leeren Salon?“, fragt Neciha Karadas. „Ein Friseursalon muss wuseln, hier muss es Traffic geben und Leben in der Bude sein.“ Im Moment sieht’s allerdings vielerorts danach leider gar nicht aus: Durch den Fachkräftemangel nimmt die Zahl der Mitarbeiter*innen in den Salons kontinuierlich ab, die Stühle bleiben leer, weil niemand da ist, der die Kund*innen bedienen könnte. Dieses Szenario ist es, für das Neciha Karadas mit ihrer B2B-Vermittlungsplattform „chairing days“ Abhilfe schaffen möchte. Konkret bringt sie Salonbesitzer*innen mit freier räumlicher Kapazität mit mobilen Friseur*innen zusammen, die auf Zeit einen Stuhl anmieten möchten, um dort ihre eigenen Kund*innen zu bedienen.
Mit Vorurteilen zu kämpfen
Mobile Friseur*innen? Sind das nicht die, die ohnehin schwarz arbeiten? „Leider kursiert über Mobile Beautys oft immer noch dieses Bild, sowohl bei den Friseurkolleg*innen als auch bei den Kund*innen. Gegen diese negativen Vorverurteilungen kämpfen wir an, denn wir melden genauso unser Business an und zahlen Steuern wie die stationären Kolleg*innen“, so Neciha Karadas. Sie weiß, wovon sie spricht: Seit Jahren betreut sie zwei große, sehr aktive Facebook-Gruppen, in denen viele hundert mobile Friseur*innen, übrigens hauptsächlich Frauen, vernetzt sind. „Leider waren Mobile Beautys bisher oft Einzelkämpfer*innen, die bei Fragen und Problemen alleingelassen werden. Die HWKs waren ihnen meist nicht gut gesonnen, ebenso die Innungen. Das hat mir nicht gepasst“, so Neciha Karadas. „Durch die Gruppen sorgen wir jetzt dafür, dass wir uns zusammenschließen und als Einheit gemeinsam für unsere Interessen und ein besseres Image eintreten“, erläutert Neciha Karadas.
Anfangs unter Wert verkauft
Ihr Know-how hat sich die Unternehmerin durch eigene Erfahrung angeeignet: Nach 15 Jahren als Angestellte in stationären Salons beschloss sie, sich als mobile Friseurin selbstständig zu machen. „Ich fühlte meine gute Arbeit einfach nicht wertgeschätzt. Hinzu kam, dass mich die Chefs, obwohl ich einen Meistertitel hatte, zum Gesell*innenlohn beschäftigen wollten. Da hat’s mir irgendwann gereicht.“ Einen eigenen Salon wollte Neciha Karadas allerdings nicht eröffnen: „Ich habe mich vor diesem „Riesenapparat“ gescheut, vor den Kosten und davor, jeden Tag vor Ort sein und die Räume auch ausfüllen zu müssen“, schildert die Unternehmerin. Doch auch das mobile Business lief erstmal nicht problemlos: „Wie die allermeisten Kolleg*innen habe ich erstmal den Fehler gemacht, nicht lukrativ zu arbeiten. Ich verlangte viel zu geringe Preise, da ich mir einbildete, diese müssten unter Salonpreisen liegen. Obwohl ich gut ausgelastet war, blieb kaum Geld übrig.“
Mobile Dienstleistung als exklusiver Service
„Ich stellte also meine Ausgaben und meine aufgewendete Zeit auf den Prüfstand“, schildert Neciha Karadas. „Dabei ging mir auf: Ich darf nicht günstiger sein als ein stationärer Salon! Im Gegenteil, denn meine Kund*innen haben nur Vorteile: Sie müssen das Haus nicht verlassen, keine Wartezeiten in Kauf nehmen, sondern bekommen einen exklusiven Service von mir. Damit muss die Preisgestaltung wie im mittleren Salonsegment aussehen, wenn nicht sogar hochpreisiger.“ Neciha Karadas macht ihren Kunden also ihren VIP-Status bewusst und schildert ihnen darüber hinaus die höheren Ausgaben, die sich durch die Anfahrt mit ihrem Auto ergeben. Ein weiterer Grund, als Mobile Beauty höhere Preise zu verlangen sei, dass sich die Arbeit im Privathaushalt körperlich anstrengender gestalte als im Salon, wo höhenverstellbare Bedienstühle und Rückwärtswaschbecken für Ergonomie sorgen. „Wenn man dies alles vernünftig kommuniziert und natürlich erstklassige Ergebnisse liefert, sind die meisten Kund*innen bereit, gutes Geld für die mobile Dienstleistung zu bezahlen“, berichtet die Unternehmerin.
Hohe Flexibilität für Mobile Beautys
Mühsames Arbeiten, hohe Ausgaben, Risiken im Straßenverkehr… Was spricht denn dann eigentlich noch dafür, das mobile Business zu wagen? „Als Mobile Beauty ist man unheimlich flexibel, kann seine Zeit selber einteilen und hat absolut keinen Leerlauf. Falls doch, kann man die Zeit mit Freizeit, Erledigungen etc. sinnvoll füllen“, schwärmt Neciha Karadas. Sie räumt aber auch ein, bestimmte Friseurdienstleistungen in Privaträumen nur sehr schwer umsetzen zu können: „Bei großen Nassarbeiten wie aufwändigen Colorationen und Balayage leidet die Gesundheit des mobilen Friseurs oder der mobilen Friseurin. Dafür und auch um mehrere Färbearbeiten gleichzeitig betreuen und somit lukrativ arbeiten zu können, braucht man eigentlich eine professionelle Salonausstattung.“
„Keinen Stuhlmiet-Knebelvertrag“
Bei Neciha Karadas wurden vor einigen Jahren nun aber genau diese Dienstleistungen vermehrt nachgefragt. Hinzu kam, dass die Friseurmeisterin zu dieser Zeit ein Baby bekam, für das sie alleinerziehend sorgt. Warum gab sie in diesem Moment das mobile Business nicht auf, ließ sich anstellen? „Ganz ehrlich, als Alleinerziehende in Teilzeit hätte ich viel zu wenig Geld verdient“, entgegnet Neciha Karadas. „Ich wollte unbedingt selbstständig und mobil bleiben, nur musste ich meine Effizienz erhöhen. Ich merkte, dass ich lange Anfahrtswege einfach nicht mehr schaffe, wenn ich für mein Kind nur eine zeitlich begrenzte Betreuung habe.“ Neciha Karadas machte sich also auf die Suche nach Salons in ihrer Nähe, die bereit waren, Stühle zu vermieten. „Das war unglaublich mühsam und zeitraubend“, erinnert sie sich. Auch das Aushandeln der Details mit den Salonbesitzer*innen empfand Neciha Karadas als umständlich. „Ich wollte keinen klassischen Stuhlmiet-Knebelvertrag“ sagt die Unternehmerin. „Ich wollte nur zahlen, wenn ich auch wirklich da bin, stunden- oder tageweise. Deswegen mussten die Konditionen ziemlich mühsam verhandelt werden.“ Eine unbefriedigende Situation also.
Airbnb als Ideengeber
„Ich fragte mich: Warum gibt es eigentlich für Mobile Beautys keine Vermietungssalons? Für andere Jobs gibt es doch auch Coworking-Spaces?!“ erinnert sich Neciha Karadas an ihren Gedankengang. Durch Airbnb, das bekannte Online-Portal zur Buchung und Vermietung von Unterkünften, kam sie schließlich auf die Idee, selbst eine B2B-Vermittlungsplattform für das mobile Friseur- und Kosmetikbusiness zu gründen. „Ich dachte wieder: Dann mache ich das eben selber!“ lacht Neciha Karadas und erarbeitete das Business-Konzept für „chairing days“. Mit ihrem Unternehmen übernimmt sie nun die Vermittlerposition und bringt mobile Friseur*innen mit Salonbesitzer*innen zusammen. Dabei arbeitet sie mit Interviews, um herauszufinden, wie die beiden Seiten ticken und ob sie zusammenpassen könnten. Sie fragt die Mobilen und die Stationären, was ihnen jeweils wichtig ist, was zur Benutzung gebraucht bzw. zur Verfügung gestellt würde usw. So merkt Neciha Karadas, welche*r Mobile Beauty mit welchem stationären Salon zusammenpassen würde, übernimmt als neutrale Person die Verhandlungen der Details und schafft so „ein faires Ergebnis für beide Seiten“, sagt Neciha Karadas. „So werden Zeit und Nerven meiner Klient*innen geschont.“
Scheinselbstständigkeit kein Thema
Aber ist das nicht doch klassische Stuhlmiete? Mit der Nähe zur Scheinselbstständigkeit, schön an den Sozialabgaben vorbei? Neciha Karadas verneint das entschieden. „Die Unternehmer*innen würden ja gerne Mitarbeiter*innen fest anstellen, bekommen durch den Fachkräftemangel aber keine“, argumentiert sie. „Der Markt gibt es im Moment einfach nicht her.“ Stattdessen gebe es immer mehr mobile Friseur*innen, unter anderem auch dem demographischen Wandel geschuldet: „Die Zahl der Menschen, die aus körperlichen Gründen keinen stationären Salon aufsuchen können, steigt. Diese Nachfrage wird durch Mobile Beautys abgedeckt“, so die Unternehmerin. „In der Anfangszeit von chairing days habe ich Salons gezielt akquiriert. Mittlerweile ist das kaum noch nötig, da die Salons auf mich zukommen. Da sie über zu wenig Personal verfügen, müssten sie ihre Kund*innen zur Konkurrenz schicken. Da ist es den meisten lieber, die Kundschaft im Salon zu halten, auch wenn sie erstmal von der Friseurin bedient werden, die hier einen Stuhl angemietet hat. Es entsteht eine Win-Win-Situation: Der Salon bekommt Leben in die Bude und eine Zusatzeinnahme, während der oder die Mobile Beauty Neukund*innen gewinnt und sie parallel und damit effektiv bedienen kann.“ „chairing days“ übernimmt für beide Seiten darüber hinaus die rechtliche Absicherung, so dass sich niemand dem Vorwurf der Scheinselbstständigkeit stellen muss.
Information und Coaching
Neciha Karadas liegt es am Herzen, dass „ihre“ Mobile Beautys ein lohnendes Geschäft betreiben können. Auf ihrem eigenen YouTube-Kanal informiert sie deswegen ihre Kolleg*innen über alle wichtigen Fragen des mobilen Business. Und sie hat schon wieder ein neues Projekt am Start: Gemeinsam mit Friseurcoach Christian Funk vermarktet sie ein Tool, mit dem es mobilen Friseur*innen besser gelingen soll, gewinnbringend zu arbeiten. Das gab es für die Mobile Beautys bisher noch nicht. Da hat sich Neciha Karadas gedacht: „Dann mache ich auch das eben wieder selber!“
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