„Wir müssen den Selbstzerstörungsprozess gemeinsam aufhalten“
„In 10 Jahren wird es das Berufsbild Friseur*in – so wie wir es heute kennen – nicht mehr geben. Oder sogar noch früher?!“ Branchenprofi René Krombholz, bekannt u. a. als Fachautor und Initiator von „Der faire Salon“, gab dieses provokante Statement auf Facebook ab und sorgte damit für hitzige Diskussionen unter seinen Kolleg*innen. Wir wollten es genauer wissen und haben René Krombholz und seiner These auf den Zahn gefühlt. Was es seiner Meinung nach braucht, um den Friseurberuf zu retten und wie die nahe und fernere Zukunft unserer Branche aussehen wird, hat er FMFM-Autorin Daniela Hamburger prophezeit.
Herr Krombholz, gewagte These! Warum halten Sie das Berufsbild denn für überholt?
Weil es den Anforderungen, welche die Zukunft (teils schon die Gegenwart) an uns stellt, nicht genügt.
Welche Anforderungen sind das denn?
Ich muss ein wenig ausholen: Als ich 1966 meine Ausbildung begann, bekamen wir als allererstes beigebracht, dass der Friseurberuf eine starke soziale Komponente hat. Wir lernten die verschiedensten menschlichen Charaktere und den geeigneten Umgang mit ihnen kennen. Kommunikation und Benimmregeln hatten einen höheren Stellenwert. Das braucht es meiner Meinung nach, wenn man mit Menschen arbeitet. Es sollte damit aber schon in der Schule mit Fächern wie Ethik oder soziale Kompetenz begonnen werden. (Übrigens eine Forderung des legendären Peter Polzer schon vor rund 20 Jahren!)
Wir lernten auch, dass wir die Gelder, die wir bekamen, erst einmal erwirtschaften müssen und das Ganze ein Geben und Nehmen ist. Die von der Kundschaft geschätzte Wohlfühlatmosphäre eines Salons kann es nur geben, wenn sich das Team im gemeinsamen Verständnis über betriebliche Notwendigkeiten einig ist.
Im Berufsbild, wie auch in der Ausbildung, müssten kaufmännische, wirtschaftsethische und dem Win-Prinzip zuträgliche Themenkreise hinzugefügt werden. Abgesehen davon, dass sich der digitale Wandel hier noch gar nicht wiederfindet.
Wirtschaftsethik, Digitalisierung – klingt nach großen gesamtgesellschaftlichen Anforderungen. Sind sie es, die Ihrer Meinung nach einen Wandel der Friseurbranche erzwingen?
Genau und zwar konkret folgende:
Digitaler Wandel: Bleiben wir doch direkt dabei. Die Industrie hat mit Millionenaufwand den digitalen Salon geschaffen, der unglaubliche Chancen bietet, real aber kaum Zugang in die Betriebe findet. Die Kundschaft sucht nach Informationen im Internet, in den sozialen Medien. Friseur*innen, die hier auf Modernität verzichten, wundern sich dann über sinkende Kundenzahlen.
Megatrend Nachhaltigkeit: Das betrifft nicht nur Klima und Umwelt, sondern auch die soziale Nachhaltigkeit. Als Gründer der Wertegemeinschaft „Der faire Salon“ habe ich vor wenigen Jahren mit der Initiative Verbraucherschutz EV aus Berlin zusammengearbeitet. Diese recherchierte Nachhaltigkeit im Handwerk und kam zu der Erkenntnis: im Friseurhandwerk noch lange nicht angekommen! Die Chancen und Möglichkeiten werden kaum erkannt.
Corona hat viel verändert. Sich etwas Gutes tun, ist den Menschen wichtiger geworden und sie handeln danach. Die Lufthansa hat ihre Preise um durchschnittlich 25% angehoben und die größten Gewinne der Unternehmensgeschichte erzielt, letztlich weil die Kunden ihre Bedürfnisse (Urlaub) stillen wollen und konsumieren.
Friseur*innen hingegen begrenzen ihren Blick oft auf die Einkommensschwächeren und solidarisieren sich hier. Abseits der Großstädte wird immer wieder behauptet: „Preise anheben, das geht nur in der Großstadt!“ Aber sind die Bäckereien, Metzgereien oder Discounter auf dem Land billiger?
Abwärtsspirale schon seit Jahrzehnten
Okay, das sind in der Tat große Themen, mit deren Auswirkungen aber jede Berufsbranche zu tun hat. Was macht denn gerade das Friseurhandwerk so labil? Hat hier vielleicht schon ein „Selbstzerstörungsprozess“ eingesetzt? Und falls ja, wodurch wurde dieser Ihrer Meinung nach konkret ausgelöst?
Diesen Selbstzerstörungsprozess gibt es durchaus, richtig! Der fängt mit der Verweigerung an, sich einer veränderten Gesellschaft anzupassen, also genau den Punkten, die ich eben erwähnt habe. Und das schon seit Jahrzehnten! Lassen Sie uns diese mal Revue passieren:
Wenn ich von meiner Lehrzeit und den Jahren danach spreche, dann denke ich an volle Salons. Warteplätze, die von morgens bis abends besetzt waren, Vollbeschäftigung und lange Arbeitstage. Eine gute Frisur gehörte einfach dazu, so wie Wolfgang Joop es sagte: „Der Kopf guckt überall heraus!“
Weiterentwicklung und wirkliche Innovationen stagnierten aber in dieser Zeit, während Freizeitsport, Urlaubsreisen und jeglicher Konsum an Bedeutung gewannen. Das waren die wirklichen Konkurrenten der Friseurbetriebe, die aber von den Wenigsten als solche erkannt wurden.
Kundenbesuche und Umsatzzahlen sanken schon in den 90ern von Jahr zu Jahr, bis eine großangelegte Verbraucherumfrage zur Jahrtausendwende die traurige Erkenntnis ans Tageslicht brachte:
– 59% der Kund*innen waren mit dem Frisurergebnis unzufrieden (in der Regel beim Styling)
– 69% der Kundschaft bemängelte die Preistransparenz (Schock an der Kasse)
– 26% vermissten die Möglichkeit einer Terminabsprache
Schon damals waren die Friseur*innen der Entwicklung ihrer Kundschaft und den Kundenwünschen nicht gefolgt. Sie waren auch nicht bereit, umzudenken.
Die damals vom Zentralverband und IKW groß angelegte Imagekampagne „Friseure in Aktion“ wurde von den Friseur*innen nicht mitgetragen und ein voller Flop. Das war die Chance der Discounter, die andere (zum Teil abgespeckte) Angebote mit großen Schildern und kleinen Preisen in den Markt brachten.
Den herkömmlichen Salons lief die Kundschaft weg, Mitarbeitende mussten entlassen werden und fanden in dieser Zeit mit hoher Arbeitslosigkeit bei der Agentur für Arbeit den Weg in die Ich-AG.
Die Betriebszahlen explodierten, mit dem Ergebnis, dass sich die gleichbleibende Bevölkerungszahl auf jetzt fast doppelt so viele Marktteilnehmer aufteilte und jedem Einzelnen weniger Umsatz zur Verfügung stand.
Der Wella Betriebsvergleich benennt die Fakten für den Zeitraum 2000 bis 2009:
– 19,5% Umsatzverlust führten zu einem Rückgang von
– 22,6 % bei den Beschäftigten. Zeitgleich drängten
+ 22,5 % neue Salons in den schrumpfenden Markt
Hierdurch entwickelten sich andere, unschöne Begleiterscheinungen: Für viele Unternehmer*innen wurden „kreative Umsätze“ überlebenswichtig – doch dieses Geld fehlte dann für Weiterbildung und Qualitätssicherung oder für höhere Mitarbeiterlöhne.
Diese Situation wiederum führte zum bekannten Fachkräftemangel. Dem soll entgegengewirkt werden durch Ausbildung im Schnellverfahren, wodurch dann wiederum die Qualität fraglich wird. Schließlich geht es dabei nicht nur um fachlich einwandfreie Arbeit, sondern es braucht auch Empathie und langjährige Berufserfahrung.
In der Tat also ist das ein Selbstzerstörungsprozess, hervorgerufen durch Versäumnisse, aber auch weil Ziele und Leitlinien fehlen.
„Kreative Kassenführung“ ist der Anfang vom Ende
Welche Änderungen sind Ihrer Meinung nach denn die dringendsten, um diese Abwärtsspirale aufzuhalten? Was müssen wir sofort angehen?
Das sagt uns der unter Mitwirkung der EU entstandene „Kodex für Friseure in Europa“ mit dem Untertitel „für ein besseres Miteinander“. In vielen europäischen Staaten liegt dieser jedem Arbeitsvertrag bei, in Deutschland ist er weitgehend unbekannt geblieben.
Er ist auch Grundlage für die von mir initiierte Wertegemeinschaft „Der faire Salon“ mit rund 200 Mitgliedsbetrieben in ganz Deutschland.
Der Kodex fordert neben einem guten Miteinander gute Kommunikation, Transparenz in betrieblichen Dingen, aber auch lebenslanges Lernen, hohe Qualität und ausreichende Gewinne, um gute Löhne zu gewährleisten. Vieles kann aber kaum umgesetzt werden, weil 30% der Marktteilnehmenden steuerbefreite Kleinstunternehmen sind und eine marktgerechte Preisentwicklung erschweren. Hier findet sich aber der Ansatzpunkt für alle weiteren Veränderungen.
Es ist mir bewusst, dass ich jetzt viele meiner Kolleg*innen zur Entrüstung treibe, denn jeder dritte Salon in der BRD ist inzwischen wegen vorgenannter Bedingungen steuerbefreit. Aber ich frage mich wie der zur Steuerbefreiung angegebene Umsatz von weniger als 1.880 € im Monat einen vernünftigen Lebensunterhalt, Altersvorsorge aber auch Weiterentwicklung im Unternehmen finanzieren soll. Das Handelsblatt recherchierte ein Bruttoeinkommen solcher Kleinstunternehmenden im Friseurhandwerk mit um die 1.000 € im Monat. Warum macht man das? Warum geht man das Risiko einer Selbstständigkeit ein und nimmt deutlich mehr Arbeitszeit in Kauf, wenn man doch als Mitarbeiter*in mehr verdienen könnte?
Ich befürchte, dass viele dieser Einzelunternehmer*innen mit der in der Branche bekannten Unkenntnis über wirtschaftliche Dinge und falschen Vorstellungen gestartet sind und keinen anderen Ausweg finden. Kreative Kassenführung ist ein Thema – das wissen auch die Finanzbehörden und schauen immer genauer hin. Schwarzgeld kann ich aber nicht für eine produktive Entwicklung meines Unternehmens nutzen und damit beginnt die individuelle Abwärtsspirale.
Unsere Zukunft im Friseurhandwerk wird stark davon abhängen, wie und ob wir diese Situation gemeinsam lösen können. Vielleicht mit der Hilfe von Innungen und Verbänden, die den Betrieben Hilfestellung geben, vielleicht auch mit einem neu entstehenden Berufsbild. Und gemeinsamen Anstrengungen aller – so wie es der Kodex für Friseure eigentlich vorsieht.
Anfangen müssen wir bei uns selbst. Mit Ehrlichkeit und dem Willen, ein ehrbares Handwerk wieder aufleben zu lassen. Aber auch mit dem Verständnis, dass wir alle in einem Boot sitzen und wieder zusammenfinden müssen. Nicht die Verbände oder die Industrie haben es uns schwer gemacht. Wir leiden unter den Versäumnissen unserer Branche, inzwischen aber auch unter den Lasten unserer Politik. Und wir müssen reden! Das Netz empört sich gerade gegen Berlin, weil in der Gastro 10.000 Unternehmen schließen müssen. Im Friseurhandwerk befürchtet der ZV, dass 2024 rund 15% der Salons Insolvenz anmelden werden – und keiner weiß es.
Welche Friseurbetriebe werden das denn sein, die schließen werden? Und welche haben die Chance, bestehen zu bleiben?
Wie gesagt, der ZV rechnet mit circa 15% Insolvenzen im Friseurhandwerk für 2024. Das dürften dann rund 12.000 Friseurunternehmen weniger sein.
Im Moment erkennen wir die Tendenz, dass qualitativ hochwertige Salons, aber auch preiswerte Konzepte wie Barber, an Zulauf gewinnen. Es gibt Menschen, die müssen sich im Lebensstandard beschränken und suchen die preiswerten Konzepte. Es gibt aber auch genügend Menschen, die sich gerne etwas gönnen und bereit sind, dafür auch einen entsprechenden Preis zu bezahlen.
Allerdings sind diese Kund*innen auch kritisch und sagen Nein, wenn nur die Preise angehoben werden und kein weiterer Nutzen oder Mehrwert erkennbar ist.
Puh, schwierige Aussichten! Bergen diese Veränderungen denn trotzdem auch Chancen? Wenn ja, welche?
Jede Veränderung birgt Chancen! Die Unternehmen, welche die notwendigen Veränderungen mitgehen, werden sich schon recht bald als Schönheitsberater bezeichnen können! Gut geschult werden sie mit viel Empathie den Lebensweg ihre Kund*innen begleiten. Dieses auch gut bezahlt, weil die entsprechende Kundschaft ihnen dieses ermöglicht. Ähnlich wie in der Gastronomie: Die bürgerliche Kneipe stirbt aus, Fast Food boomt und trotzdem gibt es den kleinen aber feinen Lieblingsitaliener nebenan. Dazu ist aber eine kontinuierliche Weiterentwicklung notwendig. Die kostet Geld und ist mit Schwarzgeld nicht zu finanzieren.
Frisurensimulation im Amazon-Salon der Zukunft
Wie sieht in Ihrer Vision das Berufsbild des Friseurs denn in 10 Jahren aus? Welches Zukunftsszenario sehen Sie?
Okay, schauen wir ins Jahr 2033. Nach dem Wegfall der Meisterpflicht und der Berufsqualifikation im Jahr 2028 hat das Friseurhandwerk sein Bild gewaltig verändert. Nachdem der Fachkräftemangel zu unlösbaren Problemen geführt hatte, strömen an- und ungelernte Arbeitskräfte in die Salons und die Verbraucher*innen können aufatmen: Lange Wartezeiten auf einen Friseurtermin sind Vergangenheit.
Unverändert ist seit Jahren die Zahl der Top-Salons. Neu hinzugekommen sind die neuen Angebote von Amazon und Co., die in Kooperation mit Firmen der Haarkosmetikindustrie mit innovativen Salons den Markt im Sturm erobert haben.
Die mit Millionenaufwand entstandenen und bis dahin kaum genutzten digitalen Geräte für das Friseurhandwerk begeistern mit den vielen neuen Möglichkeiten die Kundschaft im ganzen Land. Angefangen bei der Haar- und Kopfhautdiagnose per Laser und der daraus resultierenden persönlichen Haarpflege bis hin zur 100% Garantie Coloration: Die Kundschaft nimmt die neuen Angebote wahr. Erstaunlicherweise haben sich viele Kund*innen vom Niedrigpreisbereich verabschiedet, um hier, trotz einiger Euros mehr einen neuen Stammfriseur zu finden.
Besonders gefragt sind die großen Spiegel, in welchen sich Kund*innen mit jeder Haarfarbe und Frisur naturgetreu betrachten können. Frisurensimulationen gab es schon Ende des vergangenen Jahrhunderts. Heute begeistern sie in modernisierter Form die Kundschaft und zeigen, welche Veränderungen möglich sind.
Mitarbeitende werden in regelmäßigen Abständen auf einige wenige Trendfrisuren geschult, die nicht billig, aber erschwinglich sind. Familiensalons wie man sie noch vor 10 Jahren kannte, finden wir nur noch selten.
Da sind wir gespannt, ob wir in 10 Jahren tatsächlich per Laser die Köpfe unserer Kund*innen im Amazon-Salon unter die Lupe nehmen. Dass Änderungen anstehen, dürfte jedenfalls zweifellos feststehen. Wir danken Ihnen herzlich für Ihre Einschätzung, Herr Krombholz, und das offene Interview!
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