Ladies, die Stage braucht Euch! Wo seid ihr bloß?
Eine Branche voller Frauen – doch auf den Bühnen (fast) nur Kerle. Friseur, Rampensau und FMFM-Artist Andreas Sebastian Ehrle fragt sich in seiner neuen Kolumne, wo sich all die starken Ladies verstecken. Dabei sinniert der Gentleman mit Tattoo-Style über alte Rollenklischees und groteske Prinzessinnenrollen der Neuzeit.
Wenn ich die Friseurbranche so betrachte, dann sehe ich, dass es sehr, sehr viele Männer gibt, die Salons besitzen. Klar, die Selbstständigkeit ist da ja fast schon Pflicht. Mann und Angestellter als Friseur? Das machst du doch nur, solange du nicht sicher bist, dass du in diesem Job bleiben willst. Oder du bist Trainer, Stage-Artist oder machst noch Dinge drumherum. „Nur“ Angestellter – das wäre für die meisten Männer allein zu wenig. Eine Niederlage. Knickt dein Ego und kratzt am Selbstwertgefühl. Bei fast allen zumindest. Dasgleiche geht auf der Bühne weiter. Ich sehe sehr selten Frauen, die oben stehen – leider. Es ist so ein Männerfight, der da abgeht. Wer ist der Größte, wer ist der Beste? Auch wenn das alle klar verneinen und einen auf Miteinander und Freund machen. Am Ende wollen sie alle doch das Mic, die Presse, den Ruhm und nicht nur das Stück, sondern den ganzen Kuchen.
Letztlich ist es wie bei den Gladiatoren: Kämpfen und siegen und weiter geht´s. Liegt das im Mann-Sein oder ist das unser Komplex? Was meint ihr? Kommentare gern im Feed.
Ich finde das schade, aber ich selbst bin ein Teil dieses Games, auch wenn ich es mittlerweile an vielen Stellen lieber von außen betrachte, als weiterhin selbst Player zu sein. Wirst du älter, wirst du entspannter und ruhiger, selbst als Mann. So, aber jetzt geht’s zum Thema Ladies!
Hey, wo seid ihr?
Ladies, ihr liebt doch Haare. Im Grunde seid ihr für mich die eigentlich besseren Friseure; habt eine Ruhe und gleichzeitig die Power in euch. Begeistert uns Boys, stylt euch täglich neu und anders und gebt uns das Gefühl von Wärme und Geborgenheit. Ihr hört besser zu, könnt euch auch mal zurücknehmen und beratet mit mehr Emotion als wir Männer. Die Kundinnen sind schneller eure Freundinnen und auch das gehört zur Bindung dazu. Ihr habt so viel Personality und das Feingefühl, das uns Kerlen oft fehlt.
Warum aber stehen dann weniger Frauen auf den Bühnen? Warum suchen nun Veranstalter speziell Frauen, die die Stage rocken sollen und als Power-Frauen angeteast werden? Es ist die Zeit des Wandels. In Deutschland gendern wir alles. Studentenfutter wird bestimmt auch noch zum Student*innenfutter oder die Prinzenrolle zur Prinzen- und Prinzessinnenrolle. Frage: Müssen diese albernen Wortspiele überhaupt sein? Ist das der richtige Weg der Politik und der Medien? Oder wäre es nicht einfach besser, Frauen endlich mal die Lobby zu bieten, die sie verdient haben, nach so langer Zeit der „Unterdrückung“? Ich selbst bin nun 46, und ja, ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, dass in meiner Kindheit und auch Jugend so gut wie keine Mutter arbeiten gegangen ist. Erst als die Kids größer waren. Wenn meine Frau fertig mit ihrem Referendariat ist und Lehrerin wird, bleibe ich gerne auch mehr daheim. Ist doch super und ich freu mich mega auf die Zeit. Nur das dritte Kind kann ich leider nicht bekommen.
Warum sehen wir also so wenige Frauen der Branche im Rampenlicht? Bei denen, die Mütter sind, liegt es – denke ich – klar an der Doppelbelastung. Kind und Job ist heftig, kenne ich selbst. Ich bin nur vier Tage in meinem Salon. Nicht wegen der Work-Live-Balance, von der alle gerade quatschen. Das ist Bullshit für mich. Wer arbeiten kann, sollte auch arbeiten. Es geht schlicht im Moment nicht anders bei uns. Ich halte meiner Frau den Rücken frei, damit auch sie trotz der Kids im Job die Chance hat, was aus ihrem Leben zu machen, sich selbst aufzubauen. Und ja, vielleicht, damit sie dann mal eine ordentliche Rente bekommt. Aber was ist mit den Frauen ohne Kids? Warum gibt es da noch viel zu wenige, die einen Salon eröffnen, sich die Stage krallen oder Seminare geben?
Gründe gibt es viele. Und doch keinen.
Ich finde da keine klare Antwort. Liegt es daran, dass sie sich nicht trauen, liegt es am fehlenden Mut oder Ehrgeiz? Sind es die Gene oder ist es einfach das Gefühl, leben zu wollen und nicht für die Arbeit zu leben? Ist es der Wunsch, Kinder zu haben, denn dann klappt es mit der vielen Arbeit eh nicht mehr? Oder was ist es? Bei den Boys, die ich kenne, war jedenfalls schon immer der Fokus auf Erfolg, Weiterkommen und Geldverdienen. Am Ende vom Tag eigentlich alles total oberflächlich. Und ja: es hindert uns an der Freiheit, Dinge zu tun und Dinge zu leben. Auch hier können wir von den Ladys noch einiges lernen.
Oder liegt es daran, dass wir in unserem Job so wenig verdienen? Aber das kann ja eigentlich auch nicht der Grund sein, denn sonst wäre es doch gerade besonders so, dass Frauen auch nach oben stürmen würden. Wie ist es in anderen Handwerken? Klar, Schreiner, Gipser, Maler, KFZ-Mechaniker etc. sind sehr „männnerlastige“ Jobs. Da liegt es vermutlich eher an der körperlichen Belastung. Aber bei uns Friseuren ist es doch anders: Hier arbeiten noch immer mehr Frauen als Männer. Früher, in meiner Ausbildungszeit, waren wir nur drei Jungs in einer Klasse voller Mädels. Also Damenwahl…
Traut euch, wir sehen euch!
Also, liebe Ladies: Lasst euch von nichts und niemandem – und vor allem von keinem Mann! – beeinflussen; oder wenn, dann nur positiv! Schaut in den Spiegel und seht, wer ihr seid. Ihr seid die, die uns Männern das Leben schenken. Ihr seid die, die wir bewundern und anziehend finden. Traut euch zu, auch gegen uns in den Ring zu steigen. Schwächer zu wirken heißt noch lange nicht, schwächer zu sein. Es gibt Beispiele von supererfolgreichen Frauen, die alles zusammen gewuppt haben: Salon, die Stage und sogar noch Familie zu haben mit einem Mann, der selbst viel arbeitet.
Es gibt sogar nicht gerade wenige Frauen, die es komplett alleine rocken. Ladies, die es alleine durchziehen, das finde ich heftig! Das würde kein Mann packen: Kids und den harten Job. Für mich seid ihr stärker als wir Männer. Und ja, zu euch schaue ich auf. Ich würde mir wünschen, dass Frauen unseren Job mehr zurückerobern, nicht als Angestellte oder Teilzeitkraft, sondern dass sie den Schlüssel zu ihrem eigenen Reich haben und voller Power die Bühnen stürmen.
Mein Mic und meinen Platz bekommt ihr gerne. Ab auf die Stage mit dir!
Euer Andi
Friseurin? Stylistin? Oder gar Friseuse? Zur Etikette und Geschichte der Berufsbezeichnung Friseurin.