„Sassoon ist einfach eine Friseur-Religion“
Vidal Sassoon. Die weltweite Ikone der Friseurkunst hat seit den 1960er Jahren mit seiner geometrischen Schnitttechnik mehr als nur eine Hairdresser-Generation geprägt: Bis heute hat er begeisterte Anhänger*innen auf der ganzen Welt. Was macht die Faszination Sassoon aus? FMFM-Autorin Daniela Hamburger hat mit drei von ihnen gesprochen und sich vom "Sassoon-Virus" anstecken lassen.
In einer Zeit, in der neue Trends uns quasi im Sekundentakt auf TikTok, Insta & Co. um die Ohren fliegen, grenzt es fast schon an ein Wunder, wenn sich an das, was sich ein Friseur vor 70 Jahren ausgedacht hat, überhaupt noch jemand erinnert, geschweige denn, diese Frisuren auf dem Kopf tragen will. Doch an die bahnbrechenden geometrischen Looks von Vidal Sassoon erinnert sich die Friseurszene nicht nur, sie betet sie auch nach dieser langen Zeit geradezu an. Und nicht nur unter Friseur*innen grassiert das „Sasson-Virus“ nach wie vor – auch für die Kundschaft ist der Name eine Qualitätsgarantie und ein Sassoon-Salon immer noch eine begehrte Anlaufstelle.
Neuerungen, ohne „Sassoon-Essenz“ zu verlieren
Einer, der das bestätigen kann, ist der Engländer Catrill Peters, Mit-Salonleiter des Sassoon Salons in Berlin. Catrill steht hier schon genau so lange hinter dem Stuhl, wie es den Salon gibt: seit nunmehr 30 Jahren. 30 Jahre Sassoon Berlin, 70 Jahre Sassoon London – woran liegt es, dass die Marke nach so vielen Jahrzehnten noch immer fasziniert? Für Catrill steckt hinter dem Erfolg harte Arbeit, die in die Marke investiert wird: „Wir wollen an der Spitze bleiben: Wir bieten eine Online learning Plattform, Salonseminare, Up to Date Look-Empfehlungen und Avantgarde-Modellarbeiten, ohne die Sassoon Essenz dabei zu verlieren. In Summe kommt das bei Kund*innen sowie Branchenkolleg*innen gleichermaßen gut an.“
Der Engländer erinnert sich an die Entstehungszeit des Berliner Sassoon Salons: „Unser Teil des Ku’damms entwickelte sich Anfang der 90er erst langsam in jene Richtung, für die er heute steht: für Luxury Brands und große Namen. Das Berliner Geschäft hier zu platzieren, erschien mir aus damaliger Sicht ein ziemliches Wagnis, ich war mir nicht sicher, ob Berlin bereit für uns ist.“ Für Catrill galt es, das Business hier von Null aufzubauen und ein starkes Team zu bilden. Keine leichte Aufgabe, auch die Kundenbindung ist mit Sassoon aus seiner Perspektive kein Selbstläufer: „Manche Kund*innen sind vielleicht erst nach dem dritten Besuch vollständig von der Sassoon-Welt überzeugt und dazu bereit, ihren Look in diese Richtung gestalten zu lassen. Diese Überzeugungsarbeit motiviert mich immer schon und lässt mich meinen Beruf auch nach vielen Jahren weiter sehr gerne ausüben“, so Catrill. Heute lässt sich sagen: Berlin war absolut bereit für Sassoon – den Salon gibt es noch heute an der gleichen Stelle.
Mitarbeitergewinnung und -bindung trotz großem Namen Herausforderung
Allerdings genügt es auch für Sassoon Berlin bei Weitem nicht, sich auf den großen Namen zu verlassen: „Eine Brand zu sein, die zeitgemäß und attraktiv auf junge Friseur*innen wirkt, ist tatsächlich eine riesige Herausforderung“, so Catrill. Als Mitarbeitermagnet sieht er die dreimal jährlich erscheinenden Kollektionen, die in London kreiert werden: „Sie können zwar von allen Interessent*innen angeschaut und erlernt werden – für eine Firma zu arbeiten, die diese aber selbst entwickelt und bei der man als Mitarbeitende*r sogar selbst beim Entstehen dieser dabei sein kann, hilft bei diesem Thema aber natürlich schon,“ so der Salonchef. Doch auch bei einem großen Namen wie Sassoon geht nichts ohne regelmäßige Weiterbildung, die vom Unternehmen bezahlt werden müsse, so Catrill. Auch flexible Arbeitszeitmodelle gehören heute zwingend dazu, um Mitarbeitende zu finden und zu halten. „Und Talente, die sich in Richtung Verantwortungspositionen entwickeln wollen, werden unterstützt, gefördert und gefordert“, sagt Catrill.
Leidenschaftliche Wissensvermittlung
Ein solches „Talent“ ist Sarah Khorchef, Assistant Managerin im Sassoon-Salon Berlin. Sarah entstammt einer Friseurfamilie, ihre Großeltern und ihr Vater Andreas Nuissl wurden allesamt von Sassoon geprägt. „Mich fasziniert, mit welcher Leidenschaft bei Sassoon ausgebildet und Wissen vermittelt wird.“ Entscheidend für ihren Entschluss, zu Sassoon Berlin zu gehen war, dass sie hier sowohl Managementaufgaben übernehmen als auch kreativ mitgestalten kann. „Auch eine mögliche Spezialisierung in der eigenen Passion, Haare zu schneiden oder zu färben war für mich ausschlaggebend“, sagt Sarah.
Sarah hat den 2012 verstorbenen Vidal Sassoon selbst nie live erlebt. Trotzdem ist die Begeisterung ungebrochen: „Sassoon ist meiner Meinung nach stets zeitlos und dabei immer aktuell“, sagt sie. Mit Instagramseiten wie der von Sassoon Berlin werde die Begeisterung auch an ein noch jüngeres Publikum weitergegeben. Und nicht nur an die: „Wir haben ein sehr breit gefächertes Spektrum an verschiedenen Altersgruppen, Stilen und Persönlichkeiten auf unseren Stühlen.“ Durch die Kollektionen, in die das Creative Team die neuesten Trends und Inspirationen aus Design, Architektur und Kunst mit einfließen lasse, seien die zeitlosen Kult-Schnitte doch immer topaktuell, meint Sarah.
Mit Sassoon aufgewachsen
Wie bei Sarah ist auch Charleen Bredtmanns ganze Familie Sassoon-„vernarrt“. Sowohl Vater Michael und Mama Denise als auch Onkel Jens Jochem sind „Sassooner“. Kein Wunder, dass das „Virus“ auch auf Charleen übergesprungen ist: „Für meine Eltern und meinen Onkel, der heute Creative Director bei Vidal Sassoon Düsseldorf ist, war Vidal Sassoon schon als Kind ein großes Vorbild, und das ist bis heute so geblieben. Sassoon war und ist wie eine Art „Friseur-Religion“ in unserer Familie. Seit meinem dritten Lebensjahr wurde ich jedes Jahr zu Bühnenshows mitgenommen, bei denen Vidal natürlich immer das Highlight für alle war. Trevor Sorbie hat eine meiner Schlüsselerinnerungen geschaffen, die meine Liebe zum Beruf geformt hat“, schwärmt Charleen. Die Friseur-Religion führt auch dazu, dass Bredtmanns an Heiligabend zusammen Diashows anschauen, über die neuesten Kollektionen sprechen, sich gegenseitig die stolzesten Werke zeigen und erklären, wie diese entstanden sind.
Durch Sassoon wurde Haare machen zur Kunst
Ihre Eltern haben Charleen „in das Herz der Friseurbranche gebracht und mich nicht nur ohne Zwang vom Beruf überzeugt, sondern mich mit ihrer Leidenschaft für den Beruf angesteckt.“ Allerdings habe es auch andere Einflüsse und Vorbilder gegeben als Sassoon: „Als Baby lag ich in den Armen von Patrick Cameron oder sah die großartigen Shows von Wella, mit denen wir damals zusammenarbeiteten.“ Auch Toni&Guy haben eine große Rolle für Charleens Werdegang gespielt. Dennoch nimmt Vidal eine Sonderstellung ein: „Für mich ist Vidal heute wie damals Kunst. Haare machen ist Kunst, die so nah am Menschen ist wie keine andere. Sassoon hat Techniken in die Salons weltweit gebracht, mit denen wir noch besser, mutiger und kreativer wurden.“
Sassoon-Techniken geben Sicherheit
Charleens Favorites sind One-line-Bobs, Mullets und Pixie-Cuts. Haare zu schneiden ist für sie wie ein Hobby, wie Bilder, die sie zuhause malt. Doch schränken einen bei der Ausübung dieser Kunst die streng vorgegebenen Sassoon-Techniken nicht ein? „Nein, absolut nicht“, meint Charleen. „Die Techniken sind für mich eher eine Sicherheit. Mein Onkel sagte einmal zu mir: „Kontrolle gibt dir Freiheit.“ Für manche mag das paradox klingen, aber ich gebe ihm recht. Durch die klaren Regeln und Techniken, die man lernt, kontrolliert man das Haar und kann einen Haarschnitt reproduzieren, sodass man genau weiß, wie man das gewünschte Ergebnis erzielt.“
Erst wenn das Verständnis, wie ein Haarschnitt funktioniere wirklich „sitze“ und man so viel geübt habe, dass man das Handwerk aus dem Effeff beherrsche, könne man davon abweichen und kreativ werden, sagt Charleen. Das erfordere viel Durchhaltevermögen: „Man muss lange Zeit unter jemandem arbeiten, der einen immer wieder darauf hinweist, wo noch verbessert werden kann. So sieht man es auch irgendwann. Das Auge wird meist schneller besser als die Hände, sodass die Diskrepanz immer da ist. Man ist also nie zufrieden und will sich stetig verbessern. Eine Sucht.“ Für Charleen ist es ein großer Traum, auch einmal wie die Vorbilder schneiden zu können. Wie viel Ehrgeiz dabei in Charleen steckt, merkt man, wenn sie Angelo Seminaras Worte zitiert: „Auf der Bühne des Bolschoi Theaters siehst du zwar die beeindruckenden Tänze und Tänzer, aber nicht die Arbeit und Übung, die dahinterstecken.“
Sassoon-Community als Teil der Faszination
Doch es sind nicht nur die ikonischen Looks und die ausgefeilten Techniken, die die Sassoon-Begeisterung ausmachen: „Die Sassoon-Community ist definitiv ein wesentlicher Teil der Faszination. Es ist inspirierend, so engagierte und leidenschaftliche Vorbilder zu haben, zu denen man aufschauen kann, die alle ein hohes Niveau an Exzellenz und Innovation anstreben. Und mit Menschen zusammenzuarbeiten, die ebenso diese große Faszination nachempfinden und sich gegenseitig inspirieren. Es fühlt sich an wie eine große Familie, in der jeder bestrebt ist, die Grenzen der Friseurkunst zu erweitern und sich ständig weiterzuentwickeln. Dieser Kreis motiviert mich, mein Bestes zu geben und ständig Neues zu lernen“, schwärmt Charleen. „Aber ich bin noch jung bzw. fühle mich noch so, als hätte ich noch viel, viel zu lernen, bis ich sagen könnte, ich gehöre wirklich dazu“, ergänzt Charleen bescheiden.
Herz schlägt höher
„Wenn ich darüber nachdenke, wie es ohne Vidal Sassoon wäre, weiß ich, mein Herz würde nicht so hoch schlagen, wie es das heute tut“, sagt Charleen. Diese Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit fürs Handwerk hat sie wohl mit dorthin gebracht, wo sie heute steht: als erfolgreiche Stylistin auf Fotoshootings und Produktionen wie „Let’s dance“. Gerade ist sie frisch nach Köln gezogen und überlegt, wie es nach ihrer Meisterprüfung für sie weitergehen soll. Eines ist wohl sicher – es wird sie dorthin treiben, „wo mein Herz schlägt“. Und das ist – auch wegen Sassoon – auf jeden Fall weiterhin ein Platz im Friseurbusiness.