Mitarbeiterkrise: Sind Quereinsteiger die letzte Rettung?
Top-Stylisten sind fraglos die neuen Kronjuwelen! Nahezu ALLE Salonunternehmer können ein Lied davon singen. Wie also an gute neue Mitarbeiter kommen? Um die Ecke denken ist gefragt! Kaum jemand kann das besser als Friseurmeister, Strategieberater und FMFM Artist Peter Gress. Hier verrät er seine neue Marschrichtung, die Erfolg verspricht.
Das Thema Fachkräfte beschäftigt mich sehr. Der Markt ist leergefegt. Wer einen Job hat, gibt ihn derzeit nicht auf, weil nicht klar ist, wie es mit der Pandemie weitergeht. Gleichzeitig schwächelt das Geschäft wie nie zuvor. Bei uns ist der Umsatz im Januar 2022 um ein Drittel gesunken, gemessen am Januar 2020. Trotzdem suchen wir Mitarbeiter, denn die Situation wird sich auch wieder ändern! Bis vor kurzem waren wir in Sachen Mitarbeiterakquise gut aufgestellt: Wir bilden seit Jahrzehnten ohne Unterbrechung aus und konnten so in der Vergangenheit unsere Stammmitarbeiter aus eigener Kraft aufbauen. Zusätzlich kamen auch immer wieder Fachkräfte von außen dazu, sonst wäre unser Wachstum nicht so schnell und kontinuierlich möglich gewesen. Corona jedoch hat für uns den Zufluss von Fachkräften so gut wie zum Erliegen gebracht. Es regt sich nichts. Dennoch muss ich Wege finden, wie wir entweder neue Fachkräfte gewinnen oder eine neue Zielgruppe als Mitarbeiter ansprechen können.
Neue Wege der Akquise
Beim Thema Nachwuchs haben wir eine erfolgreiche Strategie entwickelt: Wir bilden unsere Auszubildenden als Hair & Beauty Artists mit La Biosthetique aus. Die Suche nach Bewerbern läuft über verschiedene Ausbildungsplattformen, was sehr gut funktioniert. Die Ausbildungsplätze für 2022 sind bereits in trockenen Tüchern. Das dazu. Zusätzlich habe ich beim Recruiting auch Quereinsteiger als spannendes Feld für mich entdeckt. Denn bei konsequenter und zielgerichteter Schulung können wir auch interessierte Menschen ohne herkömmliche Ausbildung als Friseur zu qualitativ hochwertigen Zuarbeitern ausbilden. In den vergangenen 40 Jahren haben wir immer wieder erfahren, dass es vor allem an der Einstellung der Menschen liegt, wie schnell sie vorankommen. Einer unserer Team Mates beispielsweise ist Thailänder. Seine Bewerbung vor acht Jahren stand auf einem Blatt Papier, das damals wirklich gar nichts ausgesagt hat. Also habe ich ihn zur Probe arbeiten lassen, obwohl er schlecht Englisch und praktisch kein Deutsch konnte. Mit Erfolg: Er ist heute einer unser konstantesten Umsetzer mit hohen Provisionen pro Monat! Eine klassische Friseurausbildung nach deutschem Muster hat er nicht. Ein weiteres Beispiel sind unsere beiden neuen Ausbildenden. Beide sind echte Joker. Sie arbeiten in manchen Bereichen bereits nach vier Monaten so sauber und schnell wie unsere älteren Azubis. Die zwei gieren nach Erfolg und geben richtig Gas. Das ist ein seltener Glücksfall! Diese Erfahrungen haben mich überhaupt erst dazu gebracht, mich mit dem Gedanken an Quereinsteiger weiter zu beschäftigen und dies in aktuellen Stellenanzeigen zu formulieren.
Durchdenken des Prozesses
Um diese Menschen mit hoher Beauty-Affinität für den Salonalltag wirklich fit zu machen, brauchen wir ein internes Stufen-Ausbildungskonzept, für das wir die Kapazität und die Qualifikation haben. Eine nachgesetzte Ausbildung zum Hair & Beauty Artist stellen wir frei und ermöglichen sie. Sicher, es ist Vorsicht geboten. Es kommt einerseits auf meinen Anspruch und meine Menschenkenntnis als Ausbilder an, andererseits auf ein System der gezielten Potentialerkennung. Ich muss zudem beachten, dass handwerkliches Lernen länger dauert als bloßes Anhäufen von Theorie. Schließlich muss das Gelernte aus dem Kopf über die Hände auf den Kopf der Kunden gebracht werden. Diesen Vorgang kann man nicht beliebig beschleunigen. Das braucht seine Zeit. Klar ist damit: Ich muss mich auf einen kleinen Ausschnitt von Leistungen beschränken. Wenn ich zu viel erwarte, verbrenne ich die Leute und demotiviere sie. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass ich unbedingt schnell herausfinden muss, wo ihre Stärken liegen, damit ich den maximalen Erfolg in kurzer Zeit erzielen kann. Mein Ziel ist ja eine hohe Arbeitsqualität und der Aufbau der Quereinsteiger als vollwertige Friseure und/oder Spezialisten.
Eine anspruchsvolle Herausforderung
2008 gab es einen Höchststand von 40.454 Auszubildenden im Friseurhandwerk. Im Jahr 2020, also zwölf Jahre später, waren es nur noch 17.800 – und damit fast 60 Prozent weniger Bewerber. Rein rechnerisch gesehen ist es klar, dass heute weniger Fachkräfte auf dem Markt sind. Woher also sollen die Fachkräfte in Zukunft kommen? Wir müssen neue Wege gehen, sonst trocknen unsere Betriebe aus. Die Ausbildung ist bei uns im Unternehmen ohnehin gesetzt, aber ohne Quereinsteiger werden wir auf Dauer nicht in der Lage sein, unseren Fachkräftebedarf zu decken. Zugegeben: Quereinsteiger sind für sich allein genommen nicht der Königsweg. Aber sie können ein Mosaiksteinchen im großen Ganzen sein. Wenn ich nicht versuche, solch neue Wege zu gehen, habe ich vielleicht eine gute Chance vergeben. Und das kann ich mir vor dem aktuellen wirtschaftlichen Hintergrund schlichtweg nicht erlauben.
Beste Grüße, Euer Peter Gress
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