5 Minuten und ein Eis – Coronas bittersüße Geschenke

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Das Eis schmeckt, die Stimmung der Kund*innen dagegen weniger...
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Das Eis schmeckt, die Stimmung der Kund*innen dagegen weniger...

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Irgendwas schmeckt im Moment schal. Die Stimmung. Das Eis natürlich nicht. Friseurinhaber Andreas Sebastian Ehrle sieht die noch kürzlich überschäumende Wertschätzung der Kund*innen derzeit wie alten Lack abblättern. Was ist los?! Wie haben wir alle uns unter Corona verändert? Eine emotionale Bilanz mit klitzekleinem Happy End.

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Erste Frage an euch alle: Wie hat Corona dich verändert? Fühlt es sich nach dem zweiten Lockdown an wie nach dem ersten damals? Für mich definitiv nicht! Die Menschen waren nach der ersten Schließungszeit froh, durften wieder in die Geschäfte, in die Stadt, einfach raus und auch zum Friseur. Also auch zu uns, ab in den Stuhl. Sie brachten Geschenke mit, umarmten uns – auch wenn es nicht wirklich erlaubt war -, freuten sich auf einfach wieder schöne Haare und gaben uns zum Teil sogar das doppelte Geld für unsere Leistung. Als Anerkennung, als Hilfe für den vielen fehlenden Umsatz und aus Liebe zu uns. Dankbarkeit war spürbar.

Alles auf Anfang

Und es fühlte sich schön an, wieder das zu machen, was mir so fehlte. Haare zu schneiden und eben Menschen dabei glücklich zu machen. Klar war ich finanziell sehr getroffen; es war ein wenig wie damals vor 20 Jahren, als ich meinen Salon eröffnete. Ich hatte nichts (also nichts außer Angst) und gleichzeitig den Willen, es zu packen. Meine Firma zu dem zu machen, was sie dann wurde. Ein Erfolgskonzept eben. Durch Arbeit und Leidenschaft. Genau hier stand ich nun wieder. 20 Jahre später, 20 Jahre älter. In den nächsten Monaten motivierten mich die Freude, die Dankbarkeit und das Positive der Kund*innen. Es machte so Spaß, wieder arbeiten zu dürfen. Das Geld kam auch langsam wieder rein, wir waren auf dem richtigen Weg. Ich konnte wieder besser schlafen.

Zwischen Elend & Hype

Dann der Dezember, Lockdown Nummer zwei. Was nun? Fast drei Monate war ich daheim, der Laden geschlossen. Heftig, die Angst nahm zu. Meine Psyche war im Keller. Irgendwann wurde der Druck auf die Regierung zu groß – die Menschen forderten, die Friseurläden zu öffnen. Sie wollten etwas Normalität zurück. Es fühlte sich an wie ein „Bonbon“ vom Staat, als dann der Tag kam, an dem Kolleg*innen sogar um Punkt Mitternacht ihre heiligen Hallen öffneten. Ich wartete bis zum nächsten Tag. Denn ich wusste, dass die nächsten Wochen für mein Team und mich der Orkan nach der Ruhe werden würde. Ich wollte uns nicht gleich zu Beginn verheizen. Die Nachrichten waren voll von Öffnungsszenarien, jeder Sender berichtete. Auf einmal fühlte ich mich als Friseur echt wichtig; wir waren im Gespräch und die Menschen stürmten in die Salons. Jeder, der nicht schon davor illegal zum Schnitt war, musste nun sofort drankommen. Hm, aber warum waren wir dann noch nicht geimpft? Wir Friseure in Deutschland, das geht doch schnell! Die Regierung stellte unsere Arbeit auf Prioritätsstufe eins. Macht auf, alle müssen sofort euren Service bekommen! Aber kein Impfangebot? Verstehe ich nicht… . Das fühlte sich nicht wirklich nach Wertschätzung an. Wieder mal fehlte unsere Lobby. Egal, das kennen wir ja langsam schon. Die Kunden kamen und waren happy. Vielen wurde bewusst, dass unser Haarschnitt ein guter ist. Über drei Monaten ohne Schnitt – aber die Form passte noch. Das ist eben Qualität und ihr Geld wert. Hier wurde mir selbst bewusst, dass ich es halt kann.

Dann drehte sich die Stimmung

Diese Dankbarkeit ging eine Runde durch. Beim zweiten Termin war es dann irgendwie anders – und ich wusste nicht, wo auch immer das herkam. Ich habe mit vielen Kolleg*innen gesprochen, viele haben Ähnliches berichtet und bei vielen war es noch um einiges schlimmer als bei uns. Was war plötzlich los? Ausgemachte Termine wurden nicht abgesagt, die Kund*innen kamen einfach nicht. Der Stuhl war somit leer. Dieses Phänomen häuft sich bis heute leider. Ich kannte das so nicht. In Tübingen haben wir sogar noch das Glück, dass wir ein zahlungskräftiges und intellektuelles Publikum haben. In anderen Städten ist es heftiger. Die Kunden rufen an und wollen sofort heute einen Termin. Sie sind gereizt und genervt. Vielen fehlt die Freude im Stuhl. Etliche reden schon vom nächsten Lockdown im Herbst, aber gleichzeitig ist die City voll mit Menschen ohne Maske. Es ist schade, was mit der Gesellschaft im Moment passiert! Es ist schade, dass die Chancen, die uns gegeben werden, nicht gesehen werden. Wir leben in Deutschland, und hier geht es uns allen noch relativ gut. Doch vielleicht ist ja genau das das Problem. Der Jugend kann man keinen Vorwurf machen. Sie hat nun eineinhalb Jahre kein wirkliches Leben gehabt. Also raus mit euch. Ihr habt es mehr als verdient zu feiern.

Hat der Wert, zum Friseur zu gehen, verloren?

Ist es der Frust, den viele im Moment in sich tragen? Ist es die Freiheit, die wir zurückbekommen, aber nicht sehen? Wie immer im Leben ist es vielleicht auch so: Die Dinge werden normal, der Mensch vergisst und der Frust kommt zurück. Ich dachte, dass es gerade nach Corona anders werden könnte. Dass wir die Dankbarkeit in uns halten, das Leben und die Freiheit dauerhaft fühlen und auch mal mit weniger zu unserem Glück kommen. Ich dachte, dass dies nach Corona so klappen könnte. Nun sind wir Menschen aber noch mit Corona schon wieder auf einem anderen Weg. Der Weg fühlt sich manchmal schlimmer an als der davor.

Was zeigt mir das?

Auch wenn ich im Moment wirtschaftlich jeden Cent brauche – der Stuhl, der nicht besetzt war, ist auch nicht mehr aufzuholen -, sollte mein Terminbuch zumindest die Kunden tragen, die eben auch drinstehen. Bedeutet soviel wie: Ja, es ist scheiße, wenn Leute einfach nicht kommen und das Geld fehlt. Trotzdem hat sich etwas in mir selbst geändert. Früher war der leere Stuhl mein Feind, ich konnte es nicht akzeptieren, wenn mal weniger los war. Es war auch nie so bei mir, da ich alles Mögliche dagegen unternommen habe. Heute ist der leere Stuhl mein Stuhl, in dem ich Platz nehme, meine Auszeit. Irgendwas hat sich in mir geändert. Es hält mich locker. Ich werde nicht mehr so unruhig. Im Gegenteil. Ich setzte mich raus in die Sonne in meinen Liegestuhl und gönne mir ein Eis. Manchmal auch zwei oder auch drei am Tag. Je nachdem, wie viele eben nicht kommen. Eins ist aber auch klar: Bei Anruf gibt’s am nächsten Tag keinen Ersatztermin. Lernen sollten man schon.

Ich habe aus dieser Nummer auch gelernt und viel gespürt. Grau ist mein Bart durch die Sorgen geworden, und es fühlt sich manchmal an wie nach dem Sturm. Wenn du etwas leisten musst, machst du das bis über die Grenze hinaus. Wenn dann aber etwas Ruhe einkehrt in dir, bricht es aus. Der Schmerz, das Denken überhäufen dich. Bei mir stehen tatsächlich jetzt Dankbarkeit, Ehrfurcht, Respekt und mehr Pausen oben an. Und Eis mag ich nun auch… . Corona ist eine Bitch, aber es hat mir auch geholfen, besser auf mich selbst aufzupassen und zu genießen, wenn genießen dran ist.

Wie steht es eigentlich um den Friseur-Beruf? Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“