Andi Ehrle: „Friseursein zeigt dir, wer du wirklich bist!“

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Showtime - Andi erlebte glamouröse Momente jenseits des Salons
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Große Klappe trifft gigantisches Herz! Andreas Sebastian Ehrle weiß, was Friseursein alles bedeuten kann: Himmel und Hölle, Fame und Zweifel, Chancen und Fails, pure Leidenschaft und völlige Leere. Im zweiten Teil seiner Job-Kolumne erzählt er aus seinem krass turbulenten (Friseur-)Leben, der Suche nach sich selbst - und warum er ausgerechnet am Friseurstuhl genau das gefunden hat, wonach er so lange Ausschau gehalten hat.

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Trotz allem, was ich Euch im ersten Teil zu meinem Job als Friseur und eben auch mit der Liebe zu meinem Job als Haarschneider erzählt habe, gab es eine Zeit in meinem Leben, in der mir irgendwie so vieles fehlte. Was es genau es war, konnte ich damals nicht deuten; allerdings weiß ich heute, dass es eigentlich immer da war.

Es gab eine Zeit, da war mir die Arbeit im Salon – bei aller Liebe für den Job – trotzdem zu wenig. Ich musste aus meinem Schuhkasten raus, musste mal über den Tellerrand schauen. Aber eben auch so, dass ich jederzeit wieder zurückkonnte. Es war 2009. Ich hatte meinen Laden, war zu dieser Zeit relativ neu als Akteur bei Paul Mitchell und bekam plötzlich die Chance, mich bei einer TV-Show zu bewerben. „Top Cut“ hieß sie. Gesucht wurde Deutschlands bester Friseur. Wow, das klang echt heftig. Wie bei der Heidi mit Germany‘s Top Model. Das ist doch mal was, dachte ich mir. Ich nutze die Chance, bewarb mich und wurde nach mehreren Castings genommen. Eine/r von 15 der über 800 Bewerber*innen, die nun in die Glotze kamen. Jackpot! Der Sechser im Lotto. Die große, richtige und wahrscheinlich auch einzige Chance, mal fett was zu reißen. Hier war sie! Das war die Antwort auf mein Fragezeichen im Kopf, wenn ich dachte: Geht da noch was? Ja! Hier war das Ausrufezeichen. Sonntagabend in der Primetime auf VOX. Das war es. Aber erstmal ab nach München und abliefern. Ein Kampf war es, von Folge zu Folge. Ein Seelengef***, Hose runter bis zum Anschlag. Wo war der Gürtel? Keiner da. Dritter wurde ich damals. Ich war laut, ich war anders, ließ mir nichts sagen und schnitt mit einer Heckenschere Haare. Die Schere meines Erfolgs, das zeigte sich später. Ich weiß noch genau, wie es damals war. Sonntagabend, 19.15 Uhr. Top Cut Teil 1. Los ging’s. Von Woche zu Woche sprachen mich mehr Leute an. Auf der Straße, einfach so. Sie hatten es gesehen, hatten mich gesehen – im TV. An einem Montag in Stuttgart kam eine Asiatin auf mich zugelaufen. Mit einem Papier und Stift in der Hand. Ich fragte nach ihrem Namen und wollte ihr ein Autogramm geben. Das war von nun an normal für mich. Sie schaute mich komisch an, bis ich merkte, dass es ein Stadtplan war, auf dem ich ihr nur den Weg zeigen sollte. Peinlich war das, aber heute finde ich es witzig.

Licht & Schatten

Als ich damals aus der Castinghölle in München wieder hinter dem Stuhl in meinem Salon stand, kam der Alltag. Die Faust ins Gesicht. Ich hatte mich verloren. Irgendetwas war anders in mir, und mir fehlte so vieles. Auf einmal war das, was ich zuvor so liebte, wie ein Sumpf für mich. Zum Glück fingen mich damals meine tollen Kund*innen auf und halfen mir. Die Arbeit hinter dem Stuhl und der Salonalltag waren trotzdem zu wenig für mich. Dann klingelte das Telefon. Pro7 wollte mich für ein neues Format: „Style Attack“. Heftig. Das war die schnellste Styling-Sendung, die es gab. Kein Haarschnitt durfte mehr als zwei Minuten dauern; geschnitten wurde in den unmöglichsten Situationen wie zum Beispiel im Aufzug, in der Achterbahn, im Auto in der Waschanlage, im „Dollhouse“ während des Strips und noch so vieles mehr. Immer gegen die Zeit. Ich war crazy und genau das brauchte es dafür.

Echter Turbo

Wir tourten und drehten in zahlreichen Städten Deutschlands. Dann ging’s ab auf Pro7 „Taff“ ins TV. Wie ein Rockstar fühlte ich mich. Städte, Hotels und der Fame. Mein Bekanntheitsgrad nahm zu. Ich bekam die Chance zu einer eigenen Haarpflegeserie, die ich dann auch im Teleshopping live verkaufte. Wie bei Nachrichtensprecher*innen: 3.2.1 und live on air. Davor hatte ich immer Respekt. Nun war es mein Part. Hier lernst du echt, auf den Punkt abliefern und auch das spontane Reden. Aber auch das war dann nach rund einem Jahr vorbei. Ich versuchte es beim Drogeriemarkt Müller, bewarb mich per Telefon. Der Chefeinkäufer für Beautyprodukte erkannte mich, ohne mich persönlich zu kennen, da ich zu dieser Zeit zweimal die Woche auf „DASDING“ im Radio bei „Consi beim Friseur“ mitwirkte. Das hatte er eben immer mal wieder gehört und feierte es. Wir hatten einen Deal! Von nun an ging es ab in die Filialen des Drogeriemarkts Müller. Diese Kooperation fühlte sich damals und auch heute noch an wie ein Mega-Deal eines Fußballprofis. Tausende von Produkten gingen in LKW ab in das Müller-Lager. Alle meine und alle mit meinem Namen drauf. Krass war das: Mein Zeug stand von nun an bei den Menschen in den Bädern. Jetzt war ich bei so vielen zuhause. Der Tag begann mit mir.

Einfach loslassen

Trotzdem stimmte etwas nicht. In mir wuchs das Gefühl, diese Blase loszulassen. Ich musste mit vielem abschließen. Wurde ich einfach nur älter oder war ich es schon? Dann kam mir die Idee: Ich wollte wieder zurück auf die Live-Bühne. Die Clubs und der Duft der Nacht fehlten mir. Scissor Brothers hießen wir von nun an. Mein Kollege Tommy und ich. 40 Schnitte in 20 Minuten. Zu zweit, on Stage, mitten im Club. Dein Haar war unsere Bühne! „Mitternacht ist Stage Time“ war unser Motto. Die Pro7 Kameras im Nacken, die tobende Menge vor uns. Gänsehaut war Programm! Es fühlte sich noch einmal so gut an. Tief einatmen, dann kam die Wahrheit. Am Tag danach allerdings wieder die Leere. Ich spürte, das alles tat mir nicht gut. Zermürbte mich, aber irgendwie brauchte ich es. Mir wurde klar: Ich musste das alles auf Papier bringen, um es loslassen zu können. Nicht alles war Gold, was doch so glänzte. Ich schrieb also mein Buch. In knapp drei Wochen war es durch. „Rebellen hinterlassen Spuren“, der Titel fühlte sich in dieser Zeit richtig an.

Was will ich?

Dann passierte etwas. Ich wurde ruhiger. Hatte ich meine Hörner abgestoßen oder hatte ich sie unterwegs verloren? Ich war leer, war ausgebrannt und gleichzeitig irgendwie beseelt. Zudem hatte ich die richtige Frau gefunden. Zu dieser Zeit klingelte das Telefon erneut. Sie wollten mich wieder. Speed Makeover für „Taff“, die gleiche Idee wie damals mit „Style Attack“. Neuer Titel, der gleiche Typ. Etwas in mir sagte: Mach es. Obwohl ich wusste, dass ich mich eigentlich anders entschieden hatte. Wir drehten ein paar Folgen. Witzig war es und Spaß machte es auch. Ein paar Euro brachte es, aber für mich war die Nummer irgendwie durch. Es ist so wie in einer Beziehung. Schluss ist Schluss. Da dann wieder weitermachen und rumstochern bringt nicht wirklich was. Vielleicht war ich nun auch wirklich zu alt, wollte Ruhe, Familie und Kinder. Also beendeten wir das.

Friseur – die richtige Wahl

Ich stand wieder in meinem Salon. Etwas in mir hatte sich geändert? Ja. Ich war endlich selig, war bei mir und hatte meinen Hafen gefunden. Anna, super hübsch, jünger, eine Frau, wie keine andere für mich. Mein Geschenk. Worauf ich hinaus will: Wenn du mich heute nach all dem fragst, ob ich es wieder machen würde, dann kennst du die Antwort bestimmt schon. Ja, mit jedem Atemzug und immer Attacke nach vorne! Mein Job hat mir gezeigt, dass es sich mehr als lohnt, Friseur*in zu werden. Es gab bis heute keinen Tag, an dem ich nicht gerne zur Arbeit gegangen bin. Keinen Tag, an dem ich nicht happy war über das, was ich bewegen kann. Menschen einen neuen Look zu verpassen ist großartig und wir geben ihnen ein gutes Gefühl für ihre Psyche und Seele. Hören zu und unterhalten sie gleichzeitig. Unterm Strich sind wir die besseren Psycholog*innen. Nur billiger sind wir, und einen Haarschnitt gibt‘s obendrauf. Nun habe ich selbst Familie, Anna und unsere beiden Kinder. Meine Kinder machen mein Leben zum Leben. Ich habe nicht mehr den Druck, etwas reißen zu müssen. Beruflich meine ich.

Salon als Zuhause

Ich habe meinen Salon, mein Baby von Tag eins an. Er ist meine Base, und egal, was auch immer ich im Leben in den letzten 20 Jahren verloren habe: mein Laden war immer mein Halt, mein Zuhause und das einzige Bleibende bei mir. Mein eigenes Bartlabel und eigene Klamotten habe ich auch am Start. Das war schon immer ein Traum von mir. Zum Rapper hat es zwar nie gereicht, aber das, was ich gerissen habe, fühlt sich an vielen Stellen sehr ähnlich an. Und noch was. Egal, was auch immer ich als Friseur gemacht habe: Es war immer cool. Es war immer mit Liebe zum Haar, mit Liebe zu den Menschen und mit vollem Einsatz verbunden. Es ist immer anders, als andere es machen und es ist so, wie du es eben machst. Jede und jeder auf ihre und seine Art und genau das macht unseren Job zu dem, was er ist. Wir sind für viele „nur“ Friseur*innen, aber genau deshalb sind wir es. Wir haben verstanden, worum es geht.

Wer seid Ihr?

Damals, also eben in der Zeit, in der ich immer rot wurde, nichts konnte und nicht wusste, wo es mich hintreiben würde, hätte ich nie gedacht, dass ich mal diese Zeilen hier über mein Leben als Friseur schreiben kann. Ich dachte auch, dass ich diesen Job nie lernen werde und hättest du mir erzählt, dass ich später mal 20 Jahre einen eigenen Laden habe, hätte ich dich ausgelacht und mir gesagt: Was für ein Depp, der kennt mich nicht. Und wisst Ihr was? Ich wusste damals selbst nicht, wer ich war, habe mich durch meine Arbeit hinter dem Stuhl und vor dem Spiegel kennenlernen dürfen und meine zahlreichen Fragezeichen geklärt. Geht da noch mehr? Werdet Friseur*innen und findet es raus! Und wenn Ihr es schon seid: Genießt es, verdammt!

Euer Andi

 

Wie steht es eigentlich um den Friseur-Beruf? Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“