Autsch! Wahrheit tut weh!
Friseurmeister, Coach, Verkaufstrainer und FMFM Artist Jochen Becker über die Notwendigkeit, das Preisniveau im Friseurhandwerk endlich anzupassen und was Emanzipation damit zu tun hat.
Keine Frage, die Emanzipation ist in den letzten 50 Jahren gut vorangekommen – sie ist richtig und vor allem auch wichtig! Und dennoch passiert es nach wie vor viel zu häufig, dass Frauen für die gleiche Leistung deutlich weniger verdienen als ihr Genderpendant, selbst in Führungspositionen. Die Friseurbranche macht da leider keine Ausnahme, trotz des dramatischen Mangels an Fachkräften und Nachwuchs.
Es wurde bisher versäumt, die Gehälter in dieser Branche – bestehend aus bis zu 90% weiblichen Fachkräften – auf ein würdiges Niveau anzuheben. So wirkt die Errungenschaft der Emanzipation fast schon wie ein Boomerang, denn eine weibliche Fachkraft in der heutigen Zeit hat keine Lust mehr, vom Partner, Ehemann, Lebens(abschnitts)gefährten etc. abhängig zu sein. Warum auch?
Laut Tarifvertrag erhält eine ausgelernte Friseurin zu Beginn so um die 10,40 € brutto die Stunde, was netto ca. 7,50 € ausmacht. Mit einem monatlichem Nettogehalt von XXXX € sind keine großen Sprünge zu machen – und nein, Trinkgeld ist und bleibt ein persönliches Kompliment des Kunden und wird nicht dem Gehalt zugerechnet!
Die heutigen Lebensunterhaltskosten sind nun einmal schon in der Basisversorgung extrem hoch – mit zukünftiger Entspannung ist eher nicht zu rechnen! Der Traum vom Eigenheim ist schon für intakte Familien mit zwei Gehältern eine große finanzielle Hürde – geschweige denn, als alleinerziehender Mensch, eventuell mit Wunsch nach Haustieren…!
Um Menschen den Beruf als Friseurin für vier Jahrzehnte und mehr schmackhaft zu machen, reicht ein Liebesbekenntnis zum Beruf nicht aus, auch die Leidenschaft mit Herz & Seele zahlt leider keine Rechnungen! Wir können also nur hoffen, dass Mutter Natur die Tatenlosen bestraft und Daumen drücken, dass es einen selber nicht erwischt!
Oder – endlich gemeinsam als echtes Handwerk zusammenhalten und die Preise auf ein im Handwerk übliches Niveau anheben. Mindestverdienst pro Stunde brutto 60,- €, besser gleich 80,- €, um nicht kurzfristig nachzuverhandeln! 15-20 € die Stunde brutto, für jede Fachkräftin im Friseurhandwerk, wenn man als Gesellschaft Emanzipation nicht nur reden will, um als „hipp“ zu gelten!
Ja, ich bin mir sogar sicher, dass der Kunde schon längst innerlich darauf eingestellt ist und sich insgeheim wundert, warum wir Friseure seit Jahrzehnten so unglaublich günstig sind – gerade jetzt, nachdem man in Coronazeiten real mitbekommen hat, was es bedeutet, wenn einem Liebgewonnenes wie der Friseur genommen wird.
Sorry vorweg, für jeden, der sich jetzt künstlich aufregen möchte: Ein Preis, der das permanente Überleben als Friseur-Unternehmen sichert und den Beruf für vorhandene und zukünftige Kollegen attraktiv macht, wird auf jeden Fall kommen – die Frage ist nur, ob von uns als Friseur rechtzeitig gesteuert oder von den Kräften des Naturgesetzes hart umgesetzt!
Wir werden sehen – zum Glück haben inzwischen ja viele tolle Kollegen*innen auf die richtige Seite gewechselt!
Herzlichst, euer Jochen Becker
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