„Der Friseurberuf wird ein goldenes Premium-Zeitalter erleben!“

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Hotel Adlon Kempinski
André Goerner betreibt den exquisiten Salon im Hotel Adlon in Berlin und ist darüber hinaus gefragter Referent in der Friseurbranche.
Hotel Adlon Kempinski
André Goerner betreibt den exquisiten Salon im Hotel Adlon in Berlin und ist darüber hinaus gefragter Referent in der Friseurbranche.

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Der Premiummarkt scheint in den letzten Jahren in Aufruhr gekommen zu sein: Shan Rahimkhan hat seinen Salon am Gendarmenmarkt geschlossen, konzentriert sich nun auf das KaDeWe. Und auch André Goerners Unternehmen hat sich von ehemals drei Berliner Vorzeige-Salons auf nur noch einen Salon im Hotel Adlon verkleinert. FMFM-Autorin Daniela Hamburger hat mit André darüber gesprochen, was Luxus für ihn und die Branche bedeutet und darüber, warum es ein überaus erfolgreicher Weg sein kann, als Friseur*in eben nicht am, sondern im Unternehmen selbst handwerklich zu arbeiten.

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Lieber André,im Berliner Friseurmarkt ist viel Bewegung! Wie Shan Rahimkhan hast auch Du Dein Unternehmen verkleinert, unterhältst nur noch einen Salon im Hotel Adlon. Wo liegen die Gründe für diese Standort-Konzentration? 

Hier kann ich natürlich nicht für andere sprechen und die Gründe sind sicherlich vielfältig. Alle eint aber mit Sicherheit, dass vorrangig wirtschaftliche Entwicklungen in ganz Deutschland sicher geglaubte Gewissheiten zumindest in Frage gestellt haben. Die Liste derer, die ihre Strukturen daraufhin verändert haben, ließe sich noch um einiges fortsetzen, in ganz Deutschland. 

Bei mir selbst kamen mehrere Aspekte zusammen. Zum einen die erwähnten wirtschaftlichen Veränderungen, die wir alle erfahren haben und erfahren. Zum anderen wäre es bei mir das vierte Geschäft geworden und das hätte bedeutet, mehr unternehmerisch im Hintergrund tätig sein zu müssen und das wollte ich auf gar keinen Fall. Ich liebe, was ich tue und will tun, was ich liebe! Keine Kompromisse, niemals! 

Außerdem hatte ich die erfreuliche und außergewöhnliche Situation, dass sich das Hotel Adlon 20 Jahre lang darum bemüht hat, dass ich zurückkomme (ich war bereits von 1999-2004 im Adlon). Das zeigt, dass es um mehr als „nur“ um Haare schneiden geht, damals wie heute. Oscar Wilde hat gesagt: „Versuchungen sollte man nachgeben, man weiß nie ob sie wiederkommen!“ Nach 20 Jahren war die Versuchung, ganz viel Neues zu erleben, bei mir groß genug! 

„Ich vermisse nichts aber bin dankbar, so vieles ausprobiert haben zu dürfen“

Du warst mit Deinen vorigen Salons über Jahrzehnte sehr erfolgreich. Was hast Du dabei empfunden, sie zu schließen? War das mit Wehmut verbunden? Wie hält man in einer solchen Situation den Kopf über Wasser?

Wehmut? Genau das Gegenteil war bzw. ist der Fall! Das ist wie in einer Beziehung: Schön aussehen alleine reicht nicht, auch die inneren Werte müssen stimmen! Und wenn die nicht mehr stimmen, muss man sich trennen. Ich habe es geliebt und bin sehr dankbar, über viele Jahre die Chance gehabt zu haben, mit dem, was ich kann, so viele außergewöhnliche und unterschiedliche Konzepte ausprobieren zu dürfen. Ich durfte so viel mit Arbeitsstrukturen und architektonischen Überlegungen experimentieren. 2004 habe ich die „Goerner&Company“ ja als Think Tank für Friseure gestartet und wollte eigentlich nach fünf Jahren wieder schließen. Es sollte anders kommen.

Zum Beispiel wurde einer meiner Läden im Grundkonzept in Paris als Flagshipstore nachgebaut. Ich vermag gar nicht zu sagen, was mein Architekt durch Empfehlungen an interessierte Gäste verdient hat. 

Mir war und ist immer eine Atmosphäre wichtig, in der Mitarbeitende und Gäste sich sicher und  zu Hause fühlen; ein Cosy Safe Space. Das beginnt bei der Lage des Geschäftes, geht über die Architektur, die Atmosphäre, sichtbar wie unsichtbar – akustisch, visuell – und zieht sich bis in den kleinsten Winkel. So haben wir z. B. unbehandelte Hölzer verwendet, die zur olfaktorischen Reinigung des Raumes beitrugen und eine Melange aus wundervollen Düften erzeugten, mit denen wir arbeiten. Die Liste solcher Details ließe sich unendlich fortsetzen. Nichts davon vermisse ich. Aber ich bin dankbar, denn es hat mich dahin gebracht, wo ich heute bin. Und alles nimmt gerade erst wieder richtig Fahrt auf für unglaublich spannende nationale und internationale Projekte. 

Wie genau positionierst Du Deinen Salon im Adlon? Was ist der USP – abgesehen von der exquisiten Location?

Der USP sind wir, mein Team und ich. Das ist gleichzeitig der beste Kopierschutz. Der USP ist aber auch das ganz klare Bewusstsein dafür, wer wir sein wollen, wer unsere Gäste sein sollen, mit wem und wo wir erfolgreich sein können. Wer uns und das, was wir tun und wie wir es tun, will, muss zu uns kommen.

Das Ambiente, die Lage, der direkte Zugang zum 2.000 qm großen Spa-Bereich mit Massagen, Pool, Kosmetik, Restaurant, Bar etc. und die unendlichen Annehmlichkeiten, die ein 5-Sterne-Haus sonst noch zu bieten hat, tragen das Übrige dazu bei. Nicht selten nutzen unsere Gäste vor ihrem Termin diese Möglichkeiten oder gehen anschließend im Haus noch ins Restaurant oder an die Hotelbar, weil sie zu schön aussehen, um mit der neuen Farbe bzw. Frisur einfach nach Hause zu fahren. 

„Jeder Friseursalon kann Premium sein!“

Wie bewertest Du die aktuelle Situation der Premiumsalons? Was sind die größten Chancen, was die größten Herausforderungen? Wie entwickelt sich das Luxussegment?

Die Frage ist doch, was verstehen wir unter Premium oder Luxus? Ich verstehe darunter eine perfekte Dienstleistung. Handwerklich und persönlich. Wir sind ein Manufaktur-Handwerk und erschaffen täglich individuelle Einzelstücke. Jede und jeder von uns. Ganz egal, ob nun mit einem Glas Champagner, einem Bier oder Cappuccino für unsere Gäste. Wir, die Friseur*innen, sind Premium! 

Nur irgendwie und irgendwann haben viele das aus dem Blickfeld verloren. Es geht erstmal um uns als hochspezialisierte Handwerker*innen. Wer sind wir, wer wollen wir sein, wie leben wir das für uns selbst? Und vor allem: Wie leben wir das glaubhaft vor? Diese Fragen stellen sich leider immer noch viel zu wenige. Wer das weiß und kann, ist in meinen Augen Premium. Und bei dem anhaltenden Nachwuchsmangel und unter Berücksichtigung der Gesetze der Marktwirtschaft wird, bei gleichbleibender Nachfrage und immer weniger Angebot, der Friseurberuf in nicht so ferner Zukunft ein goldenes, ein Premium-Zeitalter erleben! Ich bin überzeugt, das der Friseur bald wieder als etwas ganz Besonderes wahrgenommen wird. Wir müssen nur unseren Teil dazu beigetragen und vorbereitet sein. 

Alles andere, ob das auf dem Land im wundervollen 50 Jahren alten Friseurladen oder im Luxus Hotel passiert, ist am Ende nur eine persönliche Stilfrage nach dem Anspruch an sich selbst. Jede und jeder kann Premium sein. Und wir müssen auch unseren Gästen deutlich machen, was Premium bedeutet. Wenn jemand einmal im Monat oder alle zwei Monate zum Essen geht, was bezahlt er dann? 100€? 150€? 200€? Das Problem dabei ist, man hat am nächsten Tag wieder Hunger. Das ist Luxus, so viel Geld auszugeben für ein paar Stunden. 

Wenn man bei uns 100€, 200€, 300€ oder mehr ausgibt, hat man fünf bis zehn Wochen „Ruhe“ mit dem wichtigsten und nicht austauschbaren Kleidungsstück, das wir alle haben: unseren Haaren. Das ist nicht Luxus, das ist einfach clever in sich selbst investiert: Stichwort #Selfcare! Karl Marx hat gesagt: „Das Sein bestimmt das Bewusstsein.“ Ich sage das Gegenteil: Unser Bewusstsein muss unser Sein bestimmen! 

Für Kreative ist ein uniformer Kleidungsstil fehl am Platz

Dein persönlicher Stil ist nahezu einmalig in der Friseurbranche: Du stehst mit Anzug, Krawatte und Einstecktuch am Stuhl. Welchen Stil erwartest Du von Deinen Mitarbeitenden?

Ich erwarte oder besser hoffe, dass sie sich in ihrem ganzheitlichen Auftreten genau so wohlfühlen wie ich mich in meinen Anzügen. Nur wenn ich mich wohlfühle, kann ich den ganzen Tag zu 100% performen und mein Produkt glaubhaft verkaufen. Das gleiche gilt für meine Mitarbeitenden. Wir üben täglich unsere kreative Berufung aus, da ist uniformer Kleidungsstil fehl am Platz. Für mich ist meine Kleidung auch Entscheidungshilfe für potentielle neue Gäste. Viele freuen sich über einen eher unerwarteten Auftritt, wenn sie mich sehen und finden ihre eigene Ästhetik widergespiegelt. 

Andere hingegen finden das vollkommen unnötig und albern, die ersparen dann sich und mir viel Zeit und Erklärungen. Am Ende geht es um Codes, mit denen sich, an einer ähnlich oder gleich gelagerten Ästhetik und Lebensstil, Interessierte gegenseitig erkennen. Das ist am Ende bei Punks und allen sich durch Äußerlichkeiten definierenden und dadurch abgrenzenden sozialen Gruppen nicht anders. 

Für viele Friseurunternehmer*innen läuft es darauf hinaus, dass sie langfristig mehr am, weniger im Unternehmen arbeiten. Nun hast Du gesagt, dass Du eben das nicht möchtest. Du bist mit Leib und Seele Friseur, liebst gerade das Handwerk, nicht so sehr die Beschäftigung mit Zahlen und hast diesen Unternehmensbereich externalisiert. Auffallend daran: Viele große Friseurnamen in Deutschland machten es ähnlich: Udo Walz, Marlies Möller, Gerhard Meir… Sie alle arbeiteten selbst am Stuhl. Was denkst Du – ist dieses selbst handwerklich arbeiten ein wichtiger Baustein dafür, die eigene Personenmarke zu etablieren?

Ich habe großen Respekt vor allen, die ihren Weg als Unternehmer*in sehen und gehen und dabei zum Teil gänzlich ihr Handwerk dafür aufgeben. Ich stand genau vor dieser Entscheidung und habe mich ganz bewusst dagegen und für das Handwerk entschieden. Das liebe ich, das kann ich und das ist es, was ich jeden Tag tun will. Ansonsten hätte ich BWL oder Steuerrecht studieren können. Ich bin überzeugt, dass die Sichtbarkeit des Friseurs ein unerlässlicher Teil beim Entwickeln einer Personenmarke ist.

Um eine Marke ausschließlich nur über theoretisches Image und auswechselbare Personen zu kreieren, fehlen doch den allermeisten von uns die Strukturen, mediale Reichweite und das nötige Kapital. Da kommen ganz schnell Agenturen & Co. ins Spiel, die mit einem unverhältnismäßigen Kostenfaktor einhergehen. Am Ende bin ich aber sicher, das keine künstlich generierte Marke in unserem Beruf so viel Authentizität, so viel Erlebnis und Begeisterung für unsere Gäste schaffen kann wie wir selbst, wenn wir tun, was wir lieben. Gerade in Zeiten von Overdosing Social Media ist die Suche nach dem echten Erlebnis größer denn je. Hier liegen viele Chancen. 

„Die früheren „Starfriseure“ waren nicht besser, sie haben nur lauter mit der Schere geklappert“

Deine Meinung: Gibt es überhaupt noch große Starfriseure in Deutschland oder ist diese Ära vorbei?

Nein, es gibt keine mehr und das ist auch gut so! Social Media hat hier tatsächlich für eine Demokratisierung gesorgt. Was alle „Starfriseure“ gemeinsam hatten, war, dass sie in den medialen Hotspots der Republik saßen und somit ganz andere Möglichkeiten der Multiplikation hatten. Sie waren aber sicher nicht die zwingend besseren Friseure, sie haben oft nur lauter mit ihrer Schere geklappert. Akzeptanz durch Penetranz! 

Für mich gilt: Wir sind nicht gut, weil ein bestimmtes Klientel zu uns kommt, sondern ein bestimmtes Klientel kommt zu uns, weil wir gut sind. Wenn unsere Gäste als eine Art Statussymbol damit werben, dass sie zu uns kommen, ist das völlig in Ordnung, berechtigt und gewollt. Umgekehrt würden wir niemals mit unseren Gästen Werbung machen und mit der Tatsache, dass Die oder Der zu uns kommt und für andere Gäste eine Allgemeinverbindlichkeit über unsere Qualität daraus ableiten. Dafür sind unsere Gäste zu verschiedene und individuelle Persönlichkeiten, für die es befremdlich wäre, sich an anderen zu orientieren. Es geht immer nur um den Gast, der gerade vor uns sitzt.

Was sind Deine Ziele, wo geht’s für Dich und Dein Unternehmen hin?

Think big and beautiful! Ich kann gar nicht in kurze Worte fassen, was demnächst alles bei mir und uns passiert. Es liegen 35 spannende und erfolgreiche Jahre hinter mir, und ich bin dankbar für jeden Tag! Aber das, was 2025 gerade seinen Anfang nimmt, stellt für mich alles Bisherige in den Schatten. Oder um es mit Goethes „Faust“ zu sagen: „Ich bin zu alt, um nur zu spielen, aber noch zu jung, um keine Wünsche mehr zu haben!“ Ich freue mich sehr darauf! Gerne hier demnächst mehr dazu …

Lieber André, da sind wir gespannt! Herzlichen Dank für das offene Interview.