Die Dauerwelle ist tot. Es lebe die Dauerwelle.
Wenn ein Friseur auf YouTube mehr als 280.000 Zugriffe auf ein einzelnes Video hat, stimmt etwas nicht. Oder es stimmt eben genau alles. Im Fall von Jörg Mengel scheiden sich die Geister. Denn ausgerechnet mit einem Vorher-/Nachher-Video zum Thema Dauerwelle kassiert der Weilheimer Friseurunternehmer Jörg Mengel internationale Klicks wie kaum ein anderer. Was noch mehr verblüfft als das ist, dass Frauen aus aller Welt von seinen Lockenkünsten begeistert sind. Hater und üble Kommentare gibt’s nur aus den eigenen (Friseur-)Reihen. Simone Frieb hat den überzeugten Retro-Pionier zu den paradoxen Welten befragt.
„Es gibt sie noch, die guten Dinge“. Mit diesem Slogan wirbt die Ladenkette „Manufactum“, die für Retro-Design vom Allerfeinsten steht und sich selbst als „Warenhaus der guten Dinge“ betitelt. Im Interview mit Friseurunternehmer Jörg Mengel aus Weilheim passiert es häufig, dass ich mich an einen Text auf der „Manufactum“-Website erinnert fühle: „Wir suchen und finden Dinge für den täglichen Gebrauch, die nicht nur schön und nützlich sind, sondern an denen man auch lange Freude hat. Produkte, die hohen Ansprüchen genügen, die überraschen, die alte Ideen erhalten und neue voranbringen.“ Und das passiert ausgerechnet in einem Gespräch, in dem es um ein Branchenthema geht, das doch eigentlich auf der roten Liste steht: die Dauerwelle.
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Viraler Hit!
Welle 2.0 ©Jörg Mengel
Jörg, bereits seit ein paar Jahren hast du mit deinem Salon einen YouTube-Kanal. Zu sehen sind dort sehr viele Videos über Dauerwellen. Aus welcher Mottenkiste kommen die?
Jörg Mengel: Die Videos sind alle aktuell! Wir haben vor ca. 5 Jahren damit begonnen, auf YouTube und Instagram Videos und Tutorials zur Dauerwelle zu posten. Eines der letzten Videos wurde in den ersten 24 Stunden mehr als 1000 Mal angeklickt. Hammer.
Wie in aller Welt kamst du dazu, ausgerechnet Videos zur verpöntesten aller Friseurdienstleistungen zu machen?
Jörg: Dafür muss ein bisschen ausholen. Ich bin seit fast 30 Jahren selbstständiger Friseurunternehmer und habe ein besonders liebevolles Verhältnis zur Welle. Damals, in den 90-er Jahren, war Dauerwelle DER Umsatzträger Nummer 1 im Salon. Nicht Farbe, sondern Dauerwelle! Ob eine Frau nun Volumen, kleine Kringellocken oder Bewegung im Haar haben wollte: sie bekam eine Dauerwelle. Wir haben um die 1.000 Wellen im Jahr gemacht. Wir hatten in dieser Zeit 24 Angestellte im Salon und 9 (!) Waschbecken. Es gab Zeiten, in denen unsere 9 Becken nicht reichten, weil dort so viele Kundinnen während der Fixierung saßen… Das nur zum Hintergrund. Dann gab es plötzlich von den Modeschaffenden der Friseure das Credo: „Die Dauerwelle ist out!“. Und weg vom Fenster war sie. Das war, als hätten Bäcker beschlossen, von jetzt auf gleich keine Brötchen mehr zu backen…
Heißt das, du hast die Dauerwelle einfach weiter als Mode verkauft?
Jörg: Nein, das nicht. Auch wir haben damals immer mehr auf Farbe als Kerndienstleistung umgestellt. Bis vor wenigen Jahren haben wir – wenn es hochkam – überhaupt noch 20 Wellen im Jahr gemacht. Inzwischen machen wir im Durchschnitt wieder 3 Wellen am Tag. Tendenz steigend.
Das Problem: die Friseure!
Diese Team liebt die Welle! ©Jörg Mengel
Wie ist es dir gelungen, die Welle von den Toten zu erwecken?
Jörg: Vor 3 Jahren habe ich angefangen, umzudenken und die Dauerwelle wieder als eine klassische Friseurdienstleistung zu sehen! Wir Friseure sind doch viel mehr als nur Coloristen. Was biete ich denn einer Frau, die sich gewelltes Haar, Volumen und Fülle oder wunderschöne, natürlich wirkende Locken wünscht? Soll ich da als Profi sagen: Es gibt nichts? ICH bin schließlich der Fachmann! Wir können doch als Handwerker nicht per se eine Dienstleistung ablehnen, die Sinn macht und für die es Bedarf gibt, nur weil wir sie nicht mögen, können oder keine Lust haben. Vor allem bei einer Dienstleistung, die streng genommen die einzig wirklich friseurexklusive Dienstleistung ist! Also habe ich begonnen, diesen Frauen wieder die Welle anzuraten. Und sie sind begeistert!
Aber es gab ja Gründe dafür, dass die Wellen aus den Salons verbannt wurden. Das war ja nicht nur die veränderte Mode…
Jörg: Ja, klar! Da waren die Silikone in den Shampoos, durch die eine Welle im Haar nicht mehr hielt. Es war der schlimme Gestank im Salon. Und es waren die Vorbehalte, dass Farbe und Welle zusammen nicht funktionierten, weil die Haare kaputt gingen… Aber all das trifft ja bei den modernen Wellmitteln gar nicht mehr zu! Die Labors der Haarkosmetikhersteller haben ihre Hausaufgaben gemacht. Schaut euch die modernen Produkte doch mal an! Natürlich kann ich damit heute selbst in feines und blondiertes Haar eine Welle machen. Ich muss nur die richtige, extrem milde Flüssigkeit nehmen. Oft reicht da schon eine Einwirkzeit von 5 Minuten und ich bekomme eine Traumlocke im gesunden Haar hin, die der Fachmann nicht von einer Naturlocke unterscheiden kann. Wenn ich von einer Dauerwelle spreche, meine ich damit ein maximal individuelles Wellbild im Haar der Kundin. Wir wickeln nach Wuchsrichtung, also habe ich ein total natürliches Ergebnis, das nichts mehr mit der Pudelkrause von einst gemein hat.
Gibst du ein uneingeschränktes „Ja“ zur Welle?
Jörg: Es ist doch so: Letztlich sind es vor allem die Friseure selbst, die sich weigern, Dauerwellen zu machen! Und das aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen. Die Ausreden sind immer die gleichen: mal ist das Haar für Wellen zu dick, mal zu dünn. Dann ist es gefärbt, zu kurz oder zu lang… Dabei ist es in Wahrheit so: Die einen Friseure können Dauerwelle eh’ nicht leiden und sind froh, dass sie sie ad acta legen können. Die zweiten finden die Welle zwar cool, wissen aber nicht, wie man sie anständig macht. Und das ist klar: Junge Friseure von 25 oder 30 waren ja noch gar nicht geboren, als die Dauerwelle Trend war. Sie haben damit keine Erfahrung und können sie auch gar nicht haben. Denn die wenigsten lernen sie anständig in der Ausbildung. Bei der Gesellenprüfung wird dann eine Omiwelle durchgewinkt, die man gar nicht gut finden kann. Und das, weil viele Ausbilder die Dauerwelle als hochprofessionelle Dienstleistung mit tollem Effekt selbst nicht kennen und ablehnen. Also haben sie viele Friseure gar nicht mehr auf der Menükarte. Das ist doch nicht nachvollziehbar! Du glaubst nicht, wie viele Frauen zu mir kommen und sagen, dass sie niemanden gefunden haben, der ihnen eine Dauerwelle machen möchte…
Welche Art Kundinnen sind das?
Jörg: Klar, du denkst, dass das die alten Damen sind. Stimmt aber nicht! Es sind oft junge Frauen, die einfach lässige Beach Waves haben möchten. Oder Frauen mit dem Wunsch nach mehr Fülle, Volumen, Traumlocken oder leichter Bewegung. Wir haben viele Kundinnen, die aus ganz Deutschland zu uns kommen. Erst kürzlich hatten wir sogar eine Frau zur Dauerwelle in unserem Salon, die extra – und nur dafür – aus Alexandria in Ägypten angereist ist! Das muss man sich mal vorstellen. Sie hatte unsere Videos auf YouTube gesehen und wollte genau solche Locken haben. Allerdings fand sie zu Hause niemanden, der das konnte. Am Ende war sie mit dem Ergebnis so glücklich; das war mehr als rührend! Eure YouTube-Videos sind deshalb auf Englisch? Nein, das ist nur ein Hobby von mir. Aber es ist tatsächlich so, dass die meisten Klicks aus Deutschland, die zweitmeisten allerdings aus den USA kommen. Es ist absolut erstaunlich, wie viele Frauen sich für die moderne Art der Umformung interessieren. Die hat nämlich so gar nichts mehr von der old fashioned Pudelkrause.
Auf der Erfolgswelle
Glückliche Kundin ©Jörg Mengel
Du meinst es wirklich ernst mit der Welle, oder?
Jörg: Meine Erfahrung als Friseur und Unternehmer ist die: Die Haarfarbe konnte die Welle als Umsatzträger zu keinem Zeitpunkt ersetzen. Bis heute nicht. Trotzdem haben alle die Welle aus dem Salon verbannt und fokussieren auf Colorationen aller Art. Aber Tatsache ist doch: Strähnen und Farben machen viele Frauen daheim. Erst neulich hatte ich eine Kundin mit tollen Strähnen, die ihr ihre Freundin daheim gemacht hat. Und die ist Apothekerin! Wellen macht aber niemand zu Hause. Dass wir uns richtig verstehen: Ich habe einen absolut hohen Anspruch an unser Handwerk und mir ist es gelungen, in unserem Salon bereits 6 Azubis zu Innungsbesten auszubilden. Ich weiß also, wovon ich rede. Und ich habe jahrelange Erfahrung als Friseurmeister. Spiralwellen fangen bei uns ab 150 Euro an. Bekommt die Kundin dazu einen Haarschnitt und nimmt noch 2 Produkte mit, sind wir schnell bei 250 Euro. Das muss man erst mal umsetzen! Aber das Allerwichtigste für mich ist, wie großartig die Wellen aussehen und wie glücklich meine Kundinnen damit sind. Die Frauen sind auch nach Monaten noch restlos begeistert – und ihre Haare völlig gesund. Selbst coloriertes Haar!
Letzte Frage: Was sind die Voraussetzungen für die Aktivierung einer Erfolgswelle?
Jörg: Um Dauerwelle als Dienstleistung erfolgreich anbieten zu können, braucht es viel, viel Erfahrung. Es gibt ja bei der modernen Umformung 3 Stellschrauben: den Wicklerdurchmesser, die Einwirkzeit und die richtige Auswahl der Flüssigkeit. Diese höchst individuelle Abstimmung muss perfekt sitzen. Ich appelliere an meine Kollegen: Wir als Unternehmer sollten an die kommenden (Friseur-)Generationen denken und super ausbilden. Dann kann die Welle wieder als wirklich angesehene Dienstleistung Einzug halten. Denn Fakt ist: Viele Kundinnen möchten sie. Und wir haben endlich von der Industrie die richtigen Produkte, um das Ganze haarschonend und ästhetisch high-end umzusetzen. Als spezialisierter Handwerker mit Profi-Anspruch muss ich Umformung einfach anbieten können.