Die Empörungsgesellschaft oder: Wie unzufrieden sind wir eigentlich?

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Ist sinnloses Diskutieren leid: Andi Ehrle
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Ist sinnloses Diskutieren leid: Andi Ehrle

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„Gönn dir!“, heißt es vielfach so schön. Saloninhaber und FMFM Artist Andreas Sebastian Ehrle macht in jüngster Zeit eher die Erfahrung, dass keiner mehr keinem was gönnt. Oder etwa doch? Eine Geschichte über den Frust mit der Lust.

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Ich sitze gerade im Auto Richtung Center Parcs im Allgäu. Leider mussten wir unseren Mallorca-Trip am Tag vor der Abreise stornieren – beide Kinder krank. Da ist dann der Park im Alpenland genau das richtige Trostpflaster. Meinem Sohn Davie gefällt es da schon immer am allerbesten und dieses Mal haben wir es Lastminute zu einem super Preis bekommen. Kaum werden die neuen Pläne kommuniziert, geht es auch schon los: „Wieso habt ihr Malle denn abgesagt?“ – „Da geht doch Geld verloren!“ – „Die Kinder können doch im Flugzeug schlafen!“ – „Also ICH wäre auf jeden Fall geflogen!“. Das alles müssen wir uns von den Leuten zu unserer Entscheidung anhören.

Aber, aber, aber…

Hallo, 40 Grad Fieber und ein spuckendes Kind die Nacht davor? Muss ich denn meine Kinder quälen, nur damit ich in den Süden komme? Wenn du Kids hast, geht es ja um das Strahlen in den Augen; das ist mehr wert als jede Party oder jeder Strandurlaub. In der Pandemie haben wir eh gelernt, Autourlaub in Deutschland zu machen. Seit meiner zehnten kaputten Bandscheibe muss meine Frau immer längere Strecken fahren und das, obwohl ich Autos und das Fahren immer so geliebt habe. So ist es nun leider mal mit dem Verschleiß im Leben… Die Wochen vor dem Urlaub musste ich mir allerdings oft hinterm Stuhl anhören, wie wir uns denn in dieser Zeit noch trauen zu fliegen. Ich musste da echt etwas drüber nachdenken, wie die das meinen. Wegen des Ukraine-Krieges oder des Geldes wegen? Der Inflation etwa? Am Ende meinten sie aber wegen der Umwelt. Ja klar, das stimmt.

Und überhaupt…

Ich fahre vielleicht 6.000 km Auto im Jahr, viel Fahrrad. Das macht man so in Tübingen. Ich laufe auch sehr oft, wenn es geht. Aber ja, ich habe ein Auto. „Sie haben ein Auto?“ Ja, das haben wir. Ist das verboten? Und schon geht’s los mit dem Verteidigen: „Wissen Sie, wir brauchen eins, meine Frau und ich. Zwei Kinder, die morgens in die Kita und in den Kindergarten müssen. Anna, die oft früh Uni hat, zu der sie mit dem Fahrrad fährt, und ich, der bei Regen auf dem Fahrrad nicht wie ein nasser Dackel zur Arbeit kommen will. Das alles vor 8.30 Uhr am Morgen. Deshalb fahre ich dann auch mal Auto und nicht Fahrrad. Wie machen Sie das denn?“ Verdammt. Wieso erkläre ich das überhaupt? Warum fühle ich mich zurzeit immer gezwungen dazu? Puh.

Gönnen können

In Amerika ist es doch so: Ein Vater steht mit seinem Sohn an einer Ampel, die Ampel ist rot für die Fußgänger. Ein Ferrarifahrer kommt angerollt. Fenster offen, Musik an. Er fühlt das Leben. Die Sonne scheint. Er hält an – obwohl er fahren dürfte – und lässt beide über die Straße laufen. Der Vater bedankt sich und sagt zu seinem faszinierten Sohn: „Schau mal, der hat’s geschafft.“ Frage an euch: Was denkt ihr, was würde ein Vater zu seinem Sohn in genau derselben Situation in Deutschland sagen? Vermutlich folgendes: „Siehst du den Angeber, was für ein Affe. Laute Musik und dann noch so eine fette Karre. Wer weiß, was der für krumme Dinger dreht, dass er sich so ein Auto kaufen kann.“ Trotzdem dreht der Paps sich aber heimlich nach dem Auto um, und im Kern feiert er es und hätte es selbst gern. Genau das ist für mich das Problem in Deutschland!

Mach dein Ding

Anderes Beispiel: Ein Kunde von mir, der echt ziemlich viel Kohle hat, meinte irgendwann mal zu mir, wenn er dann fünfzig wird im Sommer, leiht er sich einen Porsche 911 für einen Tag. Das sei schon immer ein Traum von ihm. „Warum denn leihen?“, frage ich mich. Er könnte sich ein paar davon kaufen und hätte noch immer genug Geld. Und was wurde aus dem Kindheitswunsch? Am Ende hat er sich keinen gekauft und auch keinen geliehen. Er meinte, die Leute schauen da ja dann so komisch. Bämm. Wieso sind so viele von uns so gefangen? Wieso muss man sich verstecken, wenn man etwas geschafft hat? Wieso darf man sich gefühlt nichts kaufen oder sich mal was gönnen, wenn man dafür hart gearbeitet hat?

Schön klein, klein

Eine berühmte Ausnahme ist natürlich eine eigene Wohnung – oder besser noch ein Haus! Das Eigenheim. Das ist ja fast schon Pflicht bei uns und hat mich echt Jahre unter Druck gesetzt. Bis heute habe ich aber keins von beidem. Bist du erst dreißig, sollte es spätestens dann am besten schon stehen. Und natürlich mit Ehe und zwei Kindern im Gepäck. Lebenslang die volle finanzielle Verpflichtung drücken. Dann noch einen schicken Hund – und dann so alt werden. Fünfzig Jahre zur gleichen Zeit aufstehen, denselben Weg zur Arbeit, dieselbe Arbeitstasche. Derselbe Kollege, dieselbe Kollegin am Platz neben dir. Ob du die magst? Egal. Das Ganze von Woche zu Woche. Schön immer aufs Wochenende hinleben. Dann hoffen, dass der Montag nicht kommt. Aber glaub mir: Er kommt. Und weiter geht’s. Das fand ich schon immer echt heftig; aber es entspricht der Norm. Norm kommt zwar von normal, doch Norm ist eben manchmal auch unnormal.

Frust statt Lust

Warum geht das denn nicht anders? Freudvoller? Positiver? Lebensfroher? Das hier soll natürlich nicht der Aufruf sein, sich eine 20-Liter-Karre zu kaufen – bitte nicht falsch verstehen! In dieser Zeit des Klimawandels wäre das auch nicht mit gutem Gewissen vertretbar. Ich selbst denke und handle sehr grün. Alleine schon wegen meiner Kinder. Es geht mir einfach darum klarzumachen, dass das Leben eben zum Leben gemacht ist! Am Ende fehlt dir nicht das, was du gemacht hast, sondern das, was du eben nicht gemacht hast.

Selbstherrlich

Doch überall ist er: Der selbsternannte Besser-Mensch. Die Definition hierfür ist eine Art Mensch, der zuerst immer Recht hat. Der alles richtig macht und natürlich keine seiner Handlungen erklären oder rechtfertigen muss. Irgendwie ein Übermensch? Jedenfalls einer, der offenbar mehr Rechte hat als andere und jede Tür eintreten darf. Eben das Gegenteil von allen anderen. Warum gibt es seit der Pandemie so viele davon? Das kotzt mich echt an. Die machen ihre Termine im Salon. Wenn du Pech hast, eine dreistündige Sitzung mit großer Farbveränderung. Und dann: Es ist 15 Uhr – und niemand ist da. Du wartest bis 15.15 Uhr. Rufst dann an und weißt eigentlich schon, was nun kommt: Keine Lust! „Es war alles zu viel heute. Hast du für mich morgen einen Termin?“ Dieser Typ Mensch gibt uns das Gefühl, dass wir dankbar sein müssen, wenn er überhaupt noch kommt. Mich bringt das manchmal echt an die Kante. So weit, dass ich kurz davor bin, die Schere an den Nagel zu hängen. Aber das lässt natürlich meine Liebe zum Job nicht zu!

Immer was zu meckern

Ich habe in den letzten Monaten gemerkt, es liegt an dieser nervigen Empörungsgesellschaft, dass ich meine, alles immer erklären zu müssen. Ausgerechnet für Leute, die immer zuerst das Negative sehen. Scheint die Sonne, ist es zu warm, regnet es mal, dann regnet ständig. Habe ich Urlaub, dann ist eine Woche viel zu kurz. Das lohnt sich ja nicht, dann bleibt man mal am besten daheim. Wisst ihr was? Ich selbst bin dankbar für einen halben Tag. Ihr kennt diese Typen bestimmt auch. Ein weiteres Ding ist, dass alles bis weit über die Notwendigkeit hin tot diskutiert wird. Wenn der gelassene Furz schon lange nicht mehr stinkt, wird noch immer drüber philosophiert. Was wäre wenn, warum und so weiter. Ich frage mich echt oft, was eigentlich da draußen passiert ist? Wird alles wieder so unkompliziert, so frei fühlend und schön, wie es mal war, oder muss das jetzt einfach so sein? Warum sehen die Menschen nicht viel mehr, dass es uns allen hier doch noch recht gut geht? Dankbarkeit sollte großgeschrieben werden.

Freude statt Frust

Bei uns selbst ist es auch nicht so, dass das Geld im Garten wächst. Wir müssen schon drauf achten, was wir uns kaufen. Es geht nicht alles, was wir gerne hätten, und natürlich schauen wir, wo und zu welchem Kurs wir es bekommen. In der Zeit des Lockdowns habe ich etwas gemacht, was ich das letzte Mal vor vielen, vielen Jahren in meiner Zeit als Lehrling machte: Ein Haushaltsbuch führen. Mit allen Ausgaben von Monat zu Monat. Auch die Cent-Beträge. Es half mir zu sparen und machte sogar richtig Spaß. Ich bin halt so, dass ich jedem das gönne, was er hat. Ich freue mich für die anderen, wenn sie sich was leisten können und finde auch, dass man das einfach zeigen sollte, wenn es sich richtig anfühlt. Ich bin froh, dass ich kein selbsternannter Besser-Mensch und kein Empörungsmensch bin, sondern ein ganz normaler Typ. So lebt es sich zumindest in mir einfacher. Der Eine von uns lebt und erlebt, der Andere ist einfach nur verlebt. Und das hat nicht immer nur mit dem Geld zu tun, das man zum Leben braucht. Die schönsten Dinge kosten oft nichts. Oder?

Euer Andi