Durchstarten in der Krise. So klappt’s!
Kann Corona mehr sein, als eine schauerliche Pandemie, die nichts als Ärger und Existenzängste einbringt? Vielleicht sogar eine Chance? Wir haben mit Unternehmensberaterin Christiane Geuting gesprochen, die derzeit 30 Friseure durch die Untiefen der Covid-Krise lotst. Ihre überraschende Erkenntnis: Genau diese Zeit ist eine echte Startrampe für Veränderung!
Frau Geuting, Sie beraten derzeit rund 30 Friseure der Calligraphy Cut Community in Fragen der Unternehmensausrichtung und -stärkung. Wie hilft Ihre Wegbegleitung in dieser Corona-Phase?
C. G.: Viele Friseurunternehmer, mit denen ich arbeite, haben nach der ersten Schockstarre begriffen, dass Covid-19 neben allen belastenden Auswirkungen tatsächlich auch aus unternehmerischer Sicht eine riesige Chance sein kann. Das setzt viel Energie für Veränderung frei.
Reset für alle
Inwiefern?
Auf uns alle hat dieser Lockdown wie das Drücken eines Reset-Knopfes gewirkt: auf Friseure, aber auch auf Kunden. Wir haben in dieser Krise zum Beispiel alle am eigenen Leib gespürt, welche Bedeutung Emotionen haben. Vielen Menschen, die vorher den Friseurberuf recht oberflächlich betrachtet haben, wurde plötzlich klar, was für eine riesige Bedeutung eine vermeintlich oberflächliche Sache wie ihr Haar oder die Frisur insgesamt bekommen kann. Sie haben bemerkt, wie sehr eine schöne Frisur bzw. das Fehlen dieses persönlichen Stylings die eigenen Gefühle und den Selbstwert beeinflussen. Diese Erfahrung hat die Wertschätzung dieser wunderbaren Friseur-Handwerkskunst in der Gesellschaft enorm gesteigert! Es ist tatsächlich eine neue Bewusstheit bei Kunden entstanden.
Daher brummen die Salons seit dem Re-Opening ja auch enorm. Die Kunden kommen in Scharen – wozu braucht es da noch Unternehmensberatung?
Diese Zäsur, die wir erlebt haben, kann für uns alle eine Startrampe für Veränderungsprozesse sein. Covid-19, also etwas, was wir weder sehen noch wirklich greifen können, hat unser aller Leben sehr stark beeinflusst – und tut es noch. Das heißt, dass wir alle – natürlich jeder auf seine Art – aus dieser von Außen kommenden, scheinbar nicht beeinflussbaren Situation etwas schöpfen können. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir etwas Neues gestalten, z.B. den Betrieb und die Unternehmensführung neu ausrichten. Beratung kann helfen, unsere Stärken stärker zu machen und damit unsere Schwächen zu schwächen. Diese Gelegenheit ist ein Geschenk, sofern wir sie nutzen.
Christina Geuting, HRC
Neue Wertschätzung erhalten
Was ist dafür besonders wichtig?
In erster Linie braucht es für solche Entwicklungsprozesse Selbstreflexion und mentale Stärke. Ein Unternehmensberater bietet zusätzlich den Blick von außen. Er oder sie kann wichtige Impulse geben, bereits angestoßene Veränderungen auch kontinuierlich zu leben. Ein Beispiel: Diese neu entstandene Wertschätzung der Kunden ist eine großartige Chance für Friseurunternehmer, wenn es ihnen gelingt, dieses zutiefst positive Gefühl der Menschen gegenüber ihrer Dienstleistung zu nähren. Dass geschieht nicht nur darüber, wie gut ich mein Handwerk beherrsche oder ob ich Messer oder Schere benutze. Die Basis dafür ist die emotionale Bindung zu meinen Kunden. Damit dies gelingt, muss vieles stimmen.
Was genau ist das wichtigste Tool?
Ich nenne es „professionelle Menschenkenntnis“. Wenn es gelingt, das Thema Mensch eher sachlich zu betrachten, wird vieles klarer und ich kann gezielte Strategien entwickeln. Grundlage dafür ist, dass ich zunächst als Friseurunternehmer meine eigenen Emotionen und Motive kenne: Wie funktioniere ich? Was tue ich wie und warum? So entsteht Klarheit darüber, welche Emotion man als Inhaber, als Team, als Salon am deutlichsten lebt und nach außen ausstrahlt. Vor diesem Hintergrund kann ich analysieren, ob ich beispielsweise überhaupt die Zielgruppe bzw. Stammkunden habe, die zu mir passen. Emotional stabile Bindung wird vor allem dann gelingen, wenn meine Kunden zu mir passen. Menschen möchten klare Identitäten, suchen Charakter und Führung. Viele Unternehmer im Handwerk dagegen haben Sorge, sich klar zu positionieren, weil sie fürchten, dass sie mit klarer Kante Kunden verschrecken könnten. Ich bin aber davon überzeugt, dass ich unternehmerisch erst besonders stark bin, wenn ich weiß, wofür ich stehe. Dann ziehe ich „meine“ Kunden an.
Das Tun beim Namen nennen
Worin sehen Sie das größte Entwicklungspotenzial der Friseure?
Dass sie in Worte zu fassen lernen, was sie alles Besonderes können und tun. Man sagt ja nicht umsonst „Tue Gutes und sprich darüber“. Wie oft höre ich in der Arbeit mit Salonunternehmern so tolle Sachen, die gar keine(r) von ihren Kundinnen und Kunden weiß! Durch all diese Gespräche ist mir erst bewusst geworden, dass Friseur-Sein kein Handwerk, sondern vielmehr echte Handwerkskunst ist. Wenn Friseure lernen, über das, was sie sehen, was sie wie und warum empfehlen und umsetzen, zu sprechen, erfahren sie viel mehr Wertschätzung durch ihre Gäste! Dann erkennen ihre Kunden, welch höchst individuelle Leistung ihnen im Salon bei ihrem Lieblingsfriseur zuteil wird. Bei diesem „In-Worte-fassen“ von scheinbar Selbstverständlichem helfen zum Beispiel wir Experten.
Was raten Sie denen, die in diesem ganzen Re-Opening-Trubel all diese fundamentalen Fragen lieber auf morgen oder gar übermorgen vertagen möchten?
Der Wunsch danach, jetzt erst einmal die vollen Terminseiten abzuarbeiten, ist ja zunächst verständlich. Wichtig ist jedoch, sich durch die jetzige starke Frequenz nicht dazu verführen zu lassen und zu denken „Ist ja alles ok“. Das birgt die Gefahr, wieder in alte Strukturen zu verfallen und einfach – ich drücke es mal brutal aus – „zu satt zu sein“. Dann verpufft das, was diese Krise uns an Energie und Möglichkeiten zur Neupositionierung oder Feinjustierung bietet. Vielleicht kann auch folgende Information für viele Salonunternehmer ein Anreiz sein, gerade jetzt mithilfe von Beratern die unternehmerischen Weichen neu zu stellen: kleine, mittelständische Unternehmen und Freiberufler, die von der Corona-Krise geschädigt sind, können derzeit Unternehmensberatung im Umfang bis zu 4.000 Euro komplett ohne Eigenanteil beim BAFA (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle) beantragen. Diese Fördermittel wird es nur begrenzt geben. Es macht Sinn, sie zu nutzen.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Geuting.
Zur Person: Christiane Geuting ist geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensgruppe HRC in Münster. Die Unternehmensberaterin begleitet schwerpunktmäßig inhabergeführte Unternehmen im Mittelstand in Veränderungsprozessen.