„Es gibt Wege, das enorme Potential der Jugendlichen abzuschöpfen.“

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Keine Struktur, wenig Zeit und überhaupt keinen Nerv, sich dem jungen Menschen anzunehmen, der da vor einem steht – „Der Lehrlingsmangel ist eine hausgemachte Krise“, meint Oliver Gerbert, Friseurmeister und Ausbilder. Der FMFM Artist hat einen tollen Weg gefunden, das Beste aus den Auszubildenden und sich selbst herauszuholen. Welcher das ist und wie er durch dieses Ausbildungskonzept dem Nachwuchs die Liebe zum Handwerk vermittelt, erklärt er uns im nachfolgenden Interview.

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Sie diskutieren, informieren, motivieren und kritisieren: Ausbilder sind die Eckpfeiler des Handwerks – und doch haben viele diesen Pfad bereits verlassen. Zu schwierig, zu zeitaufwendig und vor allem zu stressig, die jungen Leute in den Beruf einzuarbeiten. Nicht für Oliver Gerbert. Der Saloninhaber, Ausbilder und FMFM Artist hat für die Newcomer von heute ein Ausbildungskonzept etabliert, das den Salon von morgen rettet. Damit schwimmt er ganz klar gegen den Strom „des nicht mehr ausbilden wollens“. Warum er das macht und wie dieses Konzept aussieht, verrät er FMFM exklusiv im Interview.    

Wie beurteilst Du die momentane Lehrlingskrise?

Die Lehrlingskrise ist die Ernte unserer jahrelangen Saat. Es ist eine hausgemachte Krise, dessen Startpunkt bei der (Aus-)Bildung liegt. Das vorherrschende Bildungssystem lässt kaum Raum für Kreativität. Es geht nur um die Aufnahme und Wiedergabe von Informationen. Dabei gehört die Generation von heute zu einer der kreativsten überhaupt. Man braucht sich nur auf Instagram, YouTube oder Snapchat umschauen: Sie leben hier aus, was in den Bildungseinrichtungen nicht möglich ist. Aber mit einem wichtigen Unterschied – und da liegt auch der Hund begraben: Belohnung! Man muss sich nicht anstrengen, um auf Social Media Likes zu bekommen. Eine Einstellung, die für den Auszubildenden spätestens im Salonalltag zur Stolperfalle wird. Den meisten fehlt es an Engagement und Kondition, um Ziele zu erreichen. Ich erinnere mich noch gut an meine Ausbildung. Mein damaliger Chef und Ausbilder hat mich höchstens zweimal gelobt – in der ganzen Ausbildung! Trotzdem wollte ich etwas erreichen und dafür habe ich hart gearbeitet. Ich finde es schade, dass das Friseurhandwerk nicht in der Lage ist, das enorme Kreativpotenzial der Jugendlichen von heute abzuschöpfen. Dabei gibt es gute Wege und Möglichkeiten, dies zu tun!

„Leicht fällt es mir auch nicht.“

Und genau diese hast Du gefunden: Was ist Dein Erfolgsrezept? Warum fällt Dir das Ausbilden von jungen Leuten so leicht, wo andere die Flinte ins Korn werfen?

Leicht fällt es mir auch nicht. Ich investiere viel Zeit und Arbeit, um die Azubis von heute für morgen fit zu machen. In meinem Salon halte ich es so, dass ich im ersten halben Jahr der Ausbildung keine Prüfungsvorbereitungen absolviere, sondern mich ausschließlich auf organisatorische Sachen des Salonalltags wie Rezeption, Kundenbetreuung etc. konzentriere. Und natürlich auf den richtigen Spirit der alten Schule wie Vidal Sassoon oder Pivot Point – die Grundbegriffe des Haarschneidens. Meine Auszubildenden erfahren die Geschichte der Frisuren und bekommen spielerisch die Farbtheorie beigebracht, unter anderem mit Materialien, die ich mir auf meinen Reisen oder im Netz zusammengesucht habe. Ein Farbpuzzle bzw. Farbmemory des Bauhaus Malers Johannes Itten für die ersten 150 Farben, die sie kennen müssen, eignet sich dafür perfekt. Mit Farbquiz und einem Film von Goethe über die Art, wie wir Farben wahrnehmen, runden das Kapitel Farbtheorie in meinem Salon ab. Und was soll ich sagen? Meine Azubis sind begeistert und bleiben am Ball! Blended Learning nennt sich dieser Ansatz, bei dem die Kombination von unterschiedlichen Methoden (formelles und informelles Lernen) und Medien zum Lernziel führt.

Inwiefern spielt die richtige Technik da eine Rolle?

Die spielt sogar eine große Rolle. Wie bei allen Dingen kann man die Azubis nicht alle über einen Kamm scheren. So lernt der/die eine harte Fakten besser und der/die andere kann sich Sachen eher über die kreative Schiene merken. Man muss hier definitiv individuell vorgehen. Im Großen und Ganzen macht das kreative Arbeiten, aber auch den „ITlern“ Spaß. Es ist halt ein kreativer Beruf, bei dem natürlich viel über die visuelle Erfahrung und Learning by doing läuft.

Blended Learning ist das Erfolgsrezept von Oliver Gerbert. Blended Learning ist das Erfolgsrezept von Oliver Gerbert.

„Wenn man mit Herz und Verstand ausbildet, kann man sich täglich über gute Mitarbeiter freuen.“

Wie viel sollte man Deiner Meinung nach in ein gutes Ausbildungskonzept investieren?

Tatsächlich kann man das gar nicht an Zahlen ausmachen. Es ist eine Konstante, die es gilt aufrechtzuerhalten. Ich kann die Saloninhaber*innen verstehen, die sich nicht mit dem Ausbilden von jungen Menschen beschäftigen möchten, wenn sie mehr als 250 Stunden im Monat im Salon stehen und sich mit der organisatorischen Verwaltung herumschlagen müssen. Wenn es sich dann noch um Problem-Azubis handelt, die entweder keinen Bock haben oder sich wirklich schwertun, ist das eine Mammutaufgabe, die sich keiner extra aufhalsen möchte. Tatsächlich habe ich auch zwei oder frei Jahre mal nicht ausgebildet, weil ich schlechte Erfahrungen gemacht hatte bzw. der Stress enorm war. Mir wurde aber schnell bewusst, dass ich ohne Auszubildende schnell alleine im Salon stehen würde. Denn Mitarbeiter verändern sich, wechseln den Salon oder gehen in Rente. Mitarbeiter von außen einzustellen, finde ich schwierig. Entweder haben sie nicht die richtige Einstellung oder nicht das richtige Know-how. Auszubildende kann man nach der eigenen Philosophie anlernen bzw. ihnen das Wissen vermitteln, was für den eigenen Salon gebraucht wird. Bevor ich mich aber abermals ins Abenteuer „Ausbilden“ gestürzt habe, stellte ich mir folgenden Fragen: Was stelle ich mir vor? Was möchte ich haben? Wie kann ich das erreichen? Für mich war klar, ich wollte zwei bis drei richtig gute Azubis haben, denen ich meine Passion für das Handwerk und mein Wissen über die verschiedenen Facetten des Berufs vermitteln kann. Wenn man mit Herz und Verstand ausbildet, kann man sich täglich über gute Mitarbeiter freuen. So macht das Arbeiten Spaß.

 

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Farbmemory nach Bauhaus Maler Johannes Itten. Farbmemory nach Bauhaus Maler Johannes Itten.