Friseurbranche kocht im eigenen Saft! „Wir brauchen dringend den Blick von außen!“
„Wir als Branche brauchen dringend den Blick von außen“, ist Peter Gress, Friseurunternehmer und Strategieberater, überzeugt. Wie gewohnt sucht der FMFM Artist nach Lösungen, statt Branchenprobleme nur zu beweinen. Peter Gress über die Frage, warum nur ein friseurfreier Blick aufs Ganze eine wirkliche Transformation der Friseurbranche möglich macht.
Anfang Mai war ich bei der Dualen Hochschule Baden-Württemberg eingeladen, um über die Digitalisierung des Handwerks zu referieren. Das ist an sich nichts Außergewöhnliches, weil die DHBW immer wieder mal Unternehmer aus dem Handwerk einlädt, um den Studenten Praxiseinsicht zu bieten. Das Spannende daran ist vielmehr: Im Anschluss an meinen Vortrag haben die dualen Studenten das Thema „Digitalisierung des Friseurhandwerks“ in zwei Kreativsessions unter die Lupe genommen. Ihr Ansatz war der völlig friseurfreie Kundenblick von außen. Es war wirklich faszinierend zu sehen, welch nützliche Einsichten allein diese kurzen, nur rund 20-minütigen Brainstormings der Studenten gebracht haben. Nur soviel zu den Ergebnissen: auf meinem Notizzettel stehen nun einige Punkte zur näheren Prüfung!
Wir kochen im eigenen Saft
Nicht erst seit diesem inspirierenden Tag an der Hochschule frage ich mich also: Was könnte eine groß angelegte Ideenfindungs-Challenge für den Friseurberuf nicht alles erreichen? Fakt ist, dass das Friseurhandwerk seit 2008 rund 62 Prozent Bewerber verloren hat. Entsprechend mau sieht es mit Fachkräften aus. Beweint wird die Situation von der Branchenführung und allen Kolleginnen und Kollegen. Aber wo bleiben die neuen Ansätze zur Verbesserung der Situation? Bisher konnte ich keinen Ansatz für eine Transformation von offizieller Seite aus erkennen. Ich möchte nicht den Verband bashen, aber die Führung muss sich fragen lassen, was sie vorhat, um den Beruf wieder für junge Menschen interessant zu machen. Zentrale Impulse kann es für mein Dafürhalten nur von außen geben!
Unverzichtbare Impulse durch Szene-Outsider
Vor kurzem hat mich unsere Salonorganisatorin Diana Zinser auf das interessante Start-up „Xeem“ aufmerksam gemacht. Die beiden Gründerinnen von „Xeem“ haben ihr Unternehmen bei der „Höhle der Löwen“ präsentiert und gleich drei Investoren begeistert. Ihr Konzept: sie bieten ihren Kund*innen ein professionelles „Über-den Branchentellerrand-schauen“ an. Unternehmen können dort eine Ideenfindungs-Challenge beauftragen, die von einem bis fünf Teams à zehn Personen bearbeitet wird. „Xeem“ arbeitet eng mit Universitäten zusammen, was ihnen den Zugriff auf viele Hunderte kreativer Köpfe aus allen Studienbereichen verschafft. Was mich bei diesen „Xeem“-Challenges fasziniert, ist die Bandbreite der Auftraggeber: Von der Commerzbank über Evonik (Chemie), dm Drogeriemarkt, ERGO (Versicherung), crono (Digitalwirtschaft) bis hin zu BabyOne (Einzelhandel) sind nahezu alle Wirtschaftsbereiche vorhanden. Eine Challenge ist eine Aufgabe mit klar definiertem Ziel, die 90 Tage lang interdisziplinär bearbeitet wird. Es entstehen dabei nicht nur frische Ideen, sondern vermarktbare Produkt/Dienstleistungen mit kompletter Social Media-Strategie. Ich selbst habe mich von „Xeem“ in einer Online-Session beraten lassen. Meine Überzeugung ist, dass wir für das Friseurhandwerk eine Draufsicht mit angeschlossener Strategie mehr als gut gebrauchen können. Wenn Akademiker und freiberufliche Kreative auf unsere taumelnde Branche schauen und neue Ansätze für den Beginn einer kulturellen und digitalen Transformation produzieren, kann das nur hilfreich sein!
Keine Ausbildung, keine Fachkräfte
Leider ist es doch so: Die Friseurbranche ist derzeit ein Schiff im Nebel ohne eine funktionierende Ruderanlage. An sich ist es schon schlimm genug, wenn wegen der Pandemie, des Krieges und der Inflation Nebel herrscht. Aber trotzdem, oder gerade deshalb, muss mutig gesteuert werden. Wir können die Entwicklung nicht einfach so weiterlaufen lassen! Wir brauchen Konzepte, wie wir junge Menschen in den Beruf bekommen. Keine Ausbildung, keine Fachkräfte, so lautet die einfache Formel. Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit den sogenannten „Hidden Champions“ in Deutschland. Ob Unternehmen wie Fischer Dübel, Kärcher, Stihl, Liebherr, Herrenknecht, Festo oder Würth – sie alle bilden intensiv aus, weil sie ihren Fachkräftebedarf am Markt nicht decken können. Bei Fischer Dübel und Festo konnte ich mich schon persönlich davon überzeugen, wie intensiv die Auszubildenden betreut werden. Bei all diesen Hidden Champions ist das Ziel glasklar: Alle Azubis werden übernommen. Mit diesem Fokus werden sie auch behandelt. Hochqualitativ auszubilden ist bei den Hidden Champions eine grundsätzliche, strategische Entscheidung, denn der „War of Talents“ tobt in jeder Branche.
Ohne Fachkräfte gibt es weder Wachstum noch Veränderung!
Wenn der Rückgang bei uns Friseuren so weitergeht, dann trocknet unser Berufsstand aus. Wir brauchen Spitzenausbildung und eine zielgerichtete, stärkenorientierte Weiterbildung und Spezialisierung der Fachkräfte. Für große Unternehmen ist der kritische Blick von außenstehenden, unabhängigen Beratern unverzichtbar. Die wissen: Es geht nur von außen! Es reicht nicht, sich nach zwei Jahren wieder in den Arm zu nehmen, sich zu herzen und gegenseitig zu beteuern, was für einen tollen Job wir haben. Dieses Gefühl muss auch draußen bei den jungen Menschen ankommen! Das tut es aber eben nicht, sonst würden mehr junge Menschen in den Friseurberuf kommen. Dass die junge Generation hohe Ansprüche an ihre Ausbildung hat, wissen wir. Nicht auszubilden ist jedenfalls keine Option. Und bitte, bitte, nicht wieder davon anfangen, dass die jungen Leute von heute nicht mehr so sind, wie wir uns das wünschen.
Generationenkonflikte gab es immer
Diese folgenden zwei Kritiken an Jugendliche stelle ich gerne nebeneinander. Die eine ist von 1000 v. Chr.: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten“ (ca. 1000 v. Chr., Babylonische Tontafel). Und eine recht neue von 2014: „Auszubildende – faul, ohne Disziplin, kein Interesse. Jedes zweite Unternehmen klagt über mangelnde Disziplin und Belastbarkeit sowie fehlende Leistungsbereitschaft und Motivation. Jedes dritte bemängelt die Umgangsformen der Bewerber.“ (Die Welt, 21.8.2014, Zitat zur neuen DIHK Umfrage „Ausbildungsfähigkeit“). Seit tausenden von Jahren regt sich die ältere Generation über die nachwachsende auf. Abrundend zitiere ich noch Konrad Adenauer: „Nehmen sie die Menschen wie sie sind, andere gibt es nicht.“
Umdenken ist überlebenswichtig
Droht uns Friseuren überhaupt Gefahr? Ganz bestimmt. Wer hätte vor ein paar Jahren gedacht, dass Private Equity Gesellschaften deutschlandweit Augenärzte aufkaufen? In Deutschland gehören mittlerweile hunderte Praxen zu Private Equity Unternehmen. Das Prinzip dahinter ist einfach: kleine Praxen werden zu großen Unternehmen zusammengeführt. Diese werden auf Effizienz getrimmt und nach ein paar Jahren mit Gewinn weiterverkauft. Dieses Vorgehen nennt man „buy and build“ – kaufe und wachse.
Bei Friseuren ist das niemals möglich? Hätte einer von uns daran gedacht, dass Amazon mal einen Friseursalon eröffnet? Alles steht immer unter Beobachtung, jede Chance wird genutzt, solange sie einen Wettbewerbsvorteil verspricht. Ob Augenärzte oder Friseure: wenn jemand erkennt, dass mit dem richtigen Konzept Geld gemacht werden kann, wird es gemacht. Deshalb plädiere ich für eine Strategie der Außenimpulse, weil diese nicht auf Friseure, sondern auf Kunden ausgerichtet sind. Genau das brauchen wir!
Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“