Gemeinsam ausbilden im Salonverbund – DIE Lösung der Zukunft?
Wie muss Ausbildung aussehen, um junge Menschen nachhaltig für den Friseurberuf begeistern zu können? Und wie werden diese zu Friseur*innen, die wirklich was können? Diese Fragen hat sich Saloninhaberin Jule Köpp gestellt. Dass das nur mit einem erheblichen Aufwand geht, war ihr schnell klar. Ihr Entschluss: „Ich eröffne meinen eigenen Ausbildungssalon.“ Wie die Ausbildung in der „Stienen Academy“ genau aussieht, was das Besondere an ihrer Herangehensweise ist und welche Rahmenbedingungen sich dringend ändern müssen, hat sie FMFM-Autorin Daniela Hamburger im Interview erzählt.
Liebe Jule, Du bist Inhaberin des „Salon Jule Stienen“ in Hamburg-Ottensen und hast mit der „Stienen Academy“ kürzlich einen Ausbildungssalon eröffnet. Wie kam es dazu?
Ich selbst wurde leider unheimlich schlecht ausgebildet, ich musste mir alles alleine beibringen. In meinem Ausbildungssalon gab es keine Struktur, niemand hatte für mich Zeit und es herrschte ein unglaublicher Umsatzdruck. Schon seit damals denke ich: Das muss doch auch anders gehen. 2010 habe ich mich selbstständig gemacht, und ich bilde schon seit der Gründung immer aus. Doch ganz zufrieden war ich auch dort nie, meine hohen Ansprüche an die Ausbildung konnte ich im laufenden Betrieb einfach nicht erfüllen. Als mein Nachbar im Oktober auszog, übernahm ich die angrenzenden Räumlichkeiten – und hatte damit nun Platz für einen Azubisalon. Aktuell bilden wir in der Stienen Academy acht Azubis aus: sechs eigene sowie montags und mittwochs zusätzlich zwei externe. Auf lange Sicht möchte ich pro Lehrjahr gerne drei eigene und zwei externe Auszubildende in der Academy haben, also insgesamt 15, das wäre optimal.
Gemeinsame Ausbildungsstrategie als Win-Win-Situation
Du bildest also nicht nur eigene Azubis aus, sondern auch von anderen Unternehmen. Wie dürfen wir uns das vorstellen? Und was hast Du denn davon, das Personal anderer fit zu machen?
Richtig, derzeit besuchen auch Azubis von zwei weiteren Hamburger Unternehmen meinen Azubisalon. Allerdings kenne ich die Chefs sehr gut und wir übernehmen die Ausbildung quasi gemeinsam, das ist also eine Win-Win-Situation für alle Seiten. Zum einen handelt es sich dabei um Henrike Körner. Sie praktiziert mit ihrem Salon in Itzehoe die Vier-Tage-Woche, kann also nicht regulär ausbilden, da die Azubis an fünf Wochentagen beschäftigt werden müssen. Henrike ist La Biosthétique Trainerin und bildet sowohl ihre als auch meine Auszubildenden in den Bereichen Make-up, Kosmetik sowie Haar- und Kopfhautpflege aus. Zum anderen sind die Azubis von Magnus Lindemann (Salon SevenSenses) mit in meinem Ausbildungssalon. Als Farbtrainer von La Biosthétique ist er für den Bereich Coloration für alle Auszubildenden zuständig.
Das heißt, aktuell läuft die Ausbildung externer Azubis auf einer Art „Tauschbasis“, richtig?
Genau, wir bündeln unsere Kompetenzen und teilen uns die Ausbildung auf. Die Azubis bekommen so die bestmögliche Wissensvermittlung und die Ausbildung wird auf mehrere Schultern verteilt. Irgendwann ist es auch denkbar, für Unbeteiligte auszubilden. Allerdings müsste ich dazu nochmal genau in mich gehen und das Konzept so anpassen, dass sich das für mich dann auch finanziell lohnt, z. B. durch eine Ausbilderpauschale. Das ist aber noch eine Zukunftsvision.
Expertenwissen deckt alle relevanten Bereiche bestens ab
Absolut professionelle Ausbilder*innen scheinen ein wichtiger Baustein Deiner Ausbildungsphilosophie zu sein…
Richtig, neben Henrike und Magnus habe ich auch meine Mitarbeiter*innen für die Ausbildung im Boot. Ali Ünler ist der Hauptausbilder der Academy und übernimmt den kompletten Schneide- und Stylingbereich. Er ist der entscheidende Mann bei diesem Projekt. Lea Schaksmeier kümmert sich mit den Azubis um Social Media, schließlich sollen diese ihre Kanäle selbst bespielen. Carina Ermers trainiert die Lehrlinge im Hochstecken, Meike Kipp vermittelt das Know-how im Bereich Salonleitung und Rezeptionstraining. Ich selbst schule die Azubis zu Themen wie Salonmanagement, Umgang mit der Kundschaft und Persönlichkeitsentwicklung. Mein Mann Marc lehrt als Buchhalter den Bereich Kosten und Preiskalkulation. Außerdem nehmen wir regelmäßig externe Schulungsangebote wahr, z. B. von der HWK oder Fachfirmen. Damit sind wir sehr gut aufgestellt, verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz und decken alle wichtigen Bereiche des Ausbildungsrahmenplans – und weit mehr – ab.
Inhaltlich perfekt – haben die Azubis denn auch schon Kundenkontakt?
Ja, früher Kundenkontakt ist essenziell! Alle Azubis sind auch in den „normalen“ Salons tätig, assistieren hier und dürfen schon von Beginn an Aufgaben übernehmen. Dafür durchlaufen sie in den ersten zwei Wochen der Ausbildung das Programm „Junior Basic“ mit einer externen Trainerin von La Biosthétique. Danach können sie sofort mitmachen. Das ist den jungen Leuten unglaublich wichtig.
Früh selbst am Stuhl zu stehen ist also eine bedeutende Komponente. Mit welchen Faktoren motivierst du Deine Azubis denn außerdem? Was ist aus deren Perspektive das Attraktive an einer Ausbildung bei Dir?
Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, meine Azubis zu motivieren. Die Motivation müssen sie schon selbst mitbringen, die muss von innen kommen, sonst hat es keinen Wert. Doch wenn sie Bock haben, bekommen sie in unserer Academy wirklich alles, was sie brauchen. Bei uns dürfen sie mit den besten Produkten und Tools arbeiten: La Biosthétique, Olivia Garden und ghd stehen als Partner an unserer Seite. Die Wissensvermittlung folgt einer klaren Struktur, trotzdem dürfen die Lehrlinge ganz viel selbstständig entscheiden und flexibel agieren. Meine Azubis sind zum Teil über 20 Jahre alt – denen kann und darf man nicht mehr alles vorschreiben.
Flexibilität und Disziplin
Viel Struktur also, aber auch viel Selbstständigkeit…
Genau. Montags und mittwochs sind die Academy-Tage, dienstags, donnerstags und freitags die Salontage. Die Kundschaft geht im Salon vor, doch ansonsten haben sie auch an diesen Tagen Zeit, ihre klaren Aufgaben zu erfüllen. Sie dürfen jedoch selbst entscheiden, wann sie diese erledigen: wann sie Dauerwelle wickeln oder hochstecken üben, wann sie ihre Reels für Social Media drehen, wann sie sich mit Kalkulation beschäftigen. Aber die Aufgaben müssen erledigt werden, das kontrollieren wir schon. Wir lassen Raum für Flexibilität, erwarten aber dafür eine gewisse Disziplin. Ab Oktober sollen die Azubis ab dem 2. Lehrjahr dann in der Academy ihre eigene Kundschaft betreuen. Zweimal wöchentlich soll die Academy dann für je sechs Stunden für Laufkundschaft geöffnet werden. Natürlich ist hier dann eine professionelle Aufsicht dabei, doch im Großen und Ganzen sollen die Azubis die Arbeitsabläufe selbst verwalten. Dieser Ansatz, der auch einen großen Vertrauensvorschuss erfordert, ist aus Ausbildersicht anstrengend und die Azubis brauchen wirklich viel Unterstützung. Aber die Mühe lohnt sich, da dadurch das Selbstbewusstsein der jungen Leute gestärkt wird, wodurch sie auch im Umgang mit der Kundschaft sicherer sind. Freitags machen wir immer unseren Wochenrückblick und bespechen, was gut, was nicht so gut gelaufen ist. Auch bekommen die Azubis durch Messebesuche und Wettbewerbe Einblick in unsere vielfältige, interessante, bunte Branche, was sie nachhaltig dafür begeistert. Als nächstes wollen wir z. B. auf der „Altonale“ eine Fashionshow mitgestalten – darauf freuen sich alle schon sehr.
Du investierst also wirklich viel Energie, Zeit und Geld in die Ausbildung. Eigentlich ja ein Traum für jeden Azubi. Gibt es denn trotzdem Abbrecher*innen?
Leider gibt es die auch bei mir, ja. Erst kürzlich hat eine Auszubildende das Handtuch geworfen, das war schon sehr ernüchternd für mich. Die 50% Abbrecherquote, die es im Friseurhandwerk gibt, muss ich leider bestätigen. Im Moment ist schon die Auswahlmöglichkeit einfach bei Null – wir hatten nur zwei Initiativbewerbungen. Wir müssen aktuell wirklich große Anstrengungen unternehmen, um Lehrlinge zu bekommen, auf allen Berufsbildungsmessen etc. präsent sein und können uns die Bewerber*innen trotzdem nicht aussuchen. Durch die intensive Ausbildung in der Academy hoffe ich aber, zukünftig weniger Abbrecher*innen zu haben. Mein Ziel ist, dass nur noch die Azubis bei mir anfangen, die wirklich Interesse haben. Dafür soll z. B. auch der Instagramkanal der Academy sorgen. Trotz allem muss ich aber sagen, dass wir insgesamt mit unserer Ausbildungsstrategie sehr erfolgreich sind – unsere Lehrlinge gehören regelmäßig zu den Innungsbesten.
Bürokratieabbau notwendig
Dein Konzept ähnelt einem „Ausbildungszentrum“, mit einem jungen, frischen Ansatz. Denkst Du, so könnte die Ausbildung der Zukunft aussehen?
Um die Ausbildung für die Zukunft aufzustellen, muss sich das duale System ändern. Das Konzept Berufsschule ist meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß, viel zu unflexibel. Ich sage das nicht gerne, da ich viele Berusschullehrer*innen kenne und schätze. Aber wir müssen zusehen, dass die jungen Leute schneller mitmachen dürfen, ihnen eine interessante Perspektive geben, statt von ihnen zu erwarten, dass sie ihre Zeit drei Jahre lang in der Schule absitzen. Vielleicht kann private Ausbildung durch qualifiziertes Personal da wirklich ein Weg sein. Ausbildung muss jedenfalls schneller vonstatten gehen und vor allem interessanter werden. Dabei müssen die Beschränkungen wirklich niedrig sein: Wer ein geiler Friseur/eine geile Friseurin werden will, soll das werden können. Ich finde, auch wenn der junge Mensch durch das System Schule durchgefallen ist, hat er eine Chance verdient. Wenn die Leidenschaft stimmt, kann eine gute Ausbildung für den nötigen Schliff sorgen. Leider werden motivierten Ausbilder*innen viele Steine in den Weg gelegt, z. B. kann ich keine Auszubildenden aus einem benachbarten Bundesland in die Academy aufnehmen, da es dort keinen Blockunterricht gibt. So wird Ausbildung leider zu einer nervigen, mühsamen Sache. Das müssen wir unbedingt vermeiden! Ausbildung muss Spaß machen – den Lehrlingen und den Ausbilder*innen, dann kann ein Wandel gelingen.
Vielen Dank, liebe Jule, für das spannende Interview und viel Erfolg bei der Ausbildung Deiner Azubis.