„Ich fühle mich total im Stich gelassen“
Salonverbot für Minister Olaf Scholz – kein Witz. Achim Rothenbühler, Geschäftsführer J.7, ist sauer auf die Bundesregierung und vor allem auf den Bundesfinanzminister und seine Absage an die 7% Mehrwertsteuer für Friseurdienstleistungen. Was den Unternehmer sonst noch aufregt, sagt er im FMFM Interview.
Achim Rothenbühler ist seit über 30 Jahren selbstständiger Unternehmer. Wir kennen ihn als Rocker unter den Friseuren, der seine Meinung frei heraus kundtut. Nun platzt ihm immer häufiger der Kragen, wenn es um politische Entscheidungen für seine Branche geht. FMFM hat nachgefragt, was ihm alles gegen den Strich geht.
FMFM: Was ist Deiner Meinung nach während Corona alles schief gelaufen für die Friseurunternehmer?
Achim Rothenbühler: Es hat sich bei mir so viel aufgestaut: Wir haben Darlehen genommen, Sparkonten und Lebensversicherungen aufgelöst. Und die Politik ist nicht in der Lage, professionelle Programme zu erarbeiten, die zeitnah und zielgerichtet bei den Unternehmern ankommen. Warum konnte nicht anhand der Bilanzen der vorherigen Jahre eine Abschlagszahlung ausgezahlt werden, und der Rest dann mit Prüfung etwas später? Nach 30 Jahren Selbstständigkeit fühle ich mich das erste Mal so richtig im Stich gelassen.
Und bitte nicht missverstehen: Ich verstehe die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen – damit meine ich den Lockdown und die Hygienemaßnahmen – und trage sie auch mit. Ich bin sehr dankbar in einem Land zu leben, wo es Hilfen und finanzielle Unterstützung für Betroffene gibt. Aber: Viele Friseurunternehmer stehen nach einem Jahr mit fast vier Monaten Betriebsunterbrechung und starken Umsatzeinbußen mit dem Rücken zur Wand. In den ersten Betrieben können die Löhne nicht mehr pünktlich oder gar nicht bezahlt werden.
Was wäre Dein Masterplan?
Achim Rothenbühler: Wie in vielen anderen Bereichen hat diese Krise knallhart Defizite aufgezeigt. Die Friseurbranche war schon in einer schweren Depression vor Corona. Fachkräftemangel und immer schwächere Renditen waren davor schon ein großes Problem. Ich wünsche der Branche, dass sie mit einem anderen Bewusstsein in die Zukunft geht. Flächendeckende Preiserhöhungen und damit einhergehende steigende Löhne unserer Mitarbeiter sind für mich ein MUSS, um in der Zukunft als Beruf noch attraktiv zu sein.
Welche Erfahrungen hast Du mit der Auszahlung der Soforthilfen und des Kurzarbeitergeldes gemacht?
Achim Rothenbühler: Ein großes Problem ist, dass die Hilfspakete nicht branchenspezifisch erstellt sind. Friseurbetriebe erwirtschaften niedrige Renditen, dafür sind die Hilfsprogramme nicht angepasst. Aus diesem Grund erhalten die meisten Unternehmen (obwohl die Salons ab dem 16.12.20 geschlossen wurden) für Dezember keine Hilfen. Die Hilfen von Januar und Februar können erst seit letzter Woche beantragt werden. Und dann führen sie auch nur zu einer Abschlagszahlung – ich schätze, die kommt nicht vor März.
Das Kurzarbeitergeld vom November ist für meine Salons am 26.Januar eingegangen. Ich rechne also mit dem Januar-Kurzarbeitergeld auch nicht vor März. Die Unternehmer haben allerdings Kosten wie Miete, Versicherungen, Finanzamt/Umsatzsteuer, Krankenkassen, Löhne, Strom, Leasingraten und vieles mehr zu begleichen und keinerlei Einnahmen. Abgesehen davon bezahlt ein Einzelunternehmer aus dem, was übrig bleibt, auch seinen Lohn. Ich denke, es ist nachvollziehbar, dass viele Monate ohne privates Einkommen für viele Haushalte unzumutbar ist.
Du hast die Initiative 7% Mehrwertsteuer im Friseurhandwerk zu Deinem Thema gemacht. Was forderst Du?
Achim Rothenbühler: Mir geht es zum einen um das Einlösen eines Versprechens im Sinne von „SCHNELL und UNBÜROKRATISCH“ helfen. Zum anderen aber auch um eine Perspektive, die uns ermöglicht, die Schulden, die wir im letzten Jahr aufgebaut haben, die nächsten Jahre wieder abzubauen. Ein Mittel, das mir viel Perspektive bieten würde, wären die 7% Mehrwertsteuer auf Dienstleistungen, die im ersten Lockdown in der Gastronomie eingeführt wurden. Vor wenigen Tagen kam die Absage von Bundesfinanzminister Olaf Scholz zu den 7 % Mwst. für Friseurbetriebe mit einer haarsträubenden Argumentation. Zitat Scholz: „Wir sind einen weitreichenden, sehr teuren Schritt gegangen, was die Frage Gastronomie und Hotellerie betrifft…“ Eine entsprechende Steuererleichterung auch für Friseurbetriebe sei eine „dauerhafte Komplikation für die Staatsfinanzierung, die wir nicht gut hinbekommen können.“ Mal im Ernst: Nachdem man bei der Gastro und Hotellerie mit über zwei Millionen Mitarbeitern im letzten Frühjahr als Hilfe die 7% eingeführt hat und jetzt nochmal ein Jahr verlängert hat, soll das gleiche Prinzip in der Friseurbranche mit rund 230 000 Mitarbeitern zu teuer sein?
Du bekommst viel Zuspruch unter den Kollegen. Wirst Du Dich offiziell als Interessenvertreter Deiner Zunft einsetzen?
Achim Rothenbühler: Ich bin in keinen Verbänden oder offiziellen Gremien aktiv. Die scheinen auch mehr damit beschäftigt zu sein, sich über frisch gestylte Fußballer aufzuregen. Ich bin aber grundsätzlich der Meinung, dass die Größeren ihren Einfluss und ihre Reichweite nutzen müssen, um für die Branche einzutreten. Ich hatte inzwischen mehrere politische Gespräche auf Landes- und Bundesebene. Ich werde auch dranbleiben, da für mich die Probleme noch lange nicht verschwunden sind, nur weil wir wieder öffnen. Ich würde mir allerdings auch mehr Engagement von den Industriepartnern und Lieferanten wünschen.
Olaf Scholz würde bei Dir keinen Friseurtermin bekommen – wer hätte bei Dir noch Salonverbot?
Achim Rothenbühler: Ach, das möchte ich nicht pauschalisieren…Aber: Ja! Der Frust auf die politischen Entscheider ist groß. Ich habe den Eindruck, wir haben zu viele Pädagogen und Doktoren in der Politik und zu wenig Unternehmer. Ich weiß nicht, was sich unsere Entscheider vorstellen – wie soll ein Inhaber eines kleinen mittelständigen Unternehmens sein Leben finanzieren, wenn drei Monate kein Umsatz generiert wird und keine Hilfen ankommen? Und dann vermitteln sie einem auch noch das Gefühl, dass es ihnen egal ist.
Ein dritter Lockdown wäre…?
Achim Rothenbühler: Bei funktionierenden, branchenspezifischen und zeitnahen Hilfen nicht das schlimmste, aber wir hoffen, dass es uns erspart bleibt. Es wäre allerdings auch ein Armutszeugnis und ein weiterer Beweis für mangelnde Kreativität der Politik. Wir müssen darüber nachdenken, wie ein Leben in jetziger Form stattfinden kann, und wir nicht als einzige Alternative den Lockdown haben.