„Im Auge des Sturms!“ Michael Bredtmann zwischen Ängsten und Plänen
Corona, nichts als Corona. Die letzten Tage fühlen sich an wie ein Leben im Teilchenbeschleuniger. Hirnrasen überall; Mut und Angst kommen und gehen wie Ebbe und Flut. Friseurunternehmer Michael Bredtmann macht in einem Leserbrief einen vorläufigen Kassensturz seiner persönlichen Gefühlslage. Unter der Überschrift „Im Auge des Sturms“ dürfen wir auf seiner spannenden Gedankenreise mitsegeln!
„Niemals hätte ich für möglich gehalten, Tage wie diese zu erleben. Hatte ich doch gedacht, Sturm Sabine wäre mein heftigstes Erlebnis in diesem Jahr. Beim Aufkommen von Corona war ich zunächst überrascht, später gelähmt, ungläubig, ängstlich, ratlos und letztendlich geschockt. Noch nie hatte ich es mit einer vergleichbaren Bedrohung zu tun. Zudem einer, die ich nicht zu verantworten habe und bei der ich auch keinen Plan B aus der Tasche ziehen kann. Grundsätzlich bin ich ein sehr positiver Mensch, bewege ich mich immer in die Richtung des Lichts. Aber wo ist hier jetzt das Licht?
Was mich verunsichert…
Verunsichert werde ich vor allem durch zwei Variablen, die ich nicht abschätzen kann: Erstens wissen wir nicht, mit welcher Dauer der Corona-Krise wir rechnen müssen. Auf welche Umsatzeinbrüche sollten wir uns vorbereiten? Werde ich mich jetzt von Mitarbeitern trennen müssen, um nicht von den zu hohen Kosten eingeholt zu werden? In welchem Zeitraum müssen wir denken: ein Monat, zwei Monate? Okay, das wäre zu schaffen. Aber wenn jetzt hier sogar Veranstaltungen im Juni abgesagt werden – geht’s noch? Und dann soll im Herbst nochmal eine Welle kommen? Na, super…
Zweitens bekommen wir von staatlicher Seite „grundsätzlich” und „angemessene” Entschädigung. Tolle Aktion von der Bundesregierung, uns finanziell mit zinslosen (habe ich das richtig verstanden „zinslos“? Glaube ich nicht!) Krediten zu unterstützen. Mein Vertrauen in unsere Regierung ist als Friseurunternehmer nicht sonderlich hoch. „Grundsätzlich” und „angemessen”. So oft schon fühlte ich mich vergessen, verlassen und von den Steuern ausgesaugt. Vor allem, dass diese Woche trotz allem erst einmal die Einkommens- und Umsatzsteuer eingezogen wurde, ermuntert nicht sonderlich.
Dann beschäftigt mich die Frage: Welche Entlastung bekomme ich, um diesen großzügig bewilligten Kredit zurück zu zahlen? Mehrwertsteuersenkung? Ich traue mich gar nicht, dieses Thema anzuschneiden. Aber was wäre das doch für eine tolle Entlastung, um nach der Krise wieder auf die Beine zu kommen! Oder Steuersenkung? Wie viele Jahre werde ich Zeit haben, diesen Kredit zurück zu zahlen? Ehrlich gesagt: diese Unsicherheit macht mir Angst.
Jetzt ist umdenken angesagt!
Fragen über Fragen. Klare Antworten sind eher rar. Aber Fakt ist: Ich bin jetzt der Kapitän auf dem Schiff, das sich in dem größten Sturm seiner Geschichte befindet. Eines ist sicher: Auf mich sind jetzt alle Augen meiner Mannschaft gerichtet. Ich muss Sicherheit, Kompetenz und Mut ausstrahlen. Trotz allem! Zum Glück bin ich ein positiver Mensch. Daher versuche ich derzeit vor allem, meinen Fokus auf Dinge zu richten, die mir Kraft und Energie schenken. Denn die werde ich in der kommenden Zeit dringend brauchen. Meine Wertehierarchie hat sich schon jetzt sehr verändert!
Was mir Mut macht…
Ich spüre Dankbarkeit: Ich bin dankbar, dass wir uns nicht in einem Krieg befinden. Ich bin nicht gezwungen auszuwandern, nach Asyl zu fragen. Eine neue Sprache, neue Regeln zu lernen. Ich lebe in einem Land mit dem besten Krankensystem der Welt. Wir haben gute Chancen, diese Krankheit zu überstehen!
Ich sehe Menschlichkeit: Meine Mitarbeiter wachsen zusammen, sie stehen hinter mir und wir rücken enger zusammen. Obwohl mich schon jetzt die Aussage unseres Team nervös macht: „Müssen wir in Quarantäne, dann kommen wir alle zu Euch nach Hause.“☺ Leute, ich unternehme alles, um uns als Kapitän durch den Sturm zu führen! Alles an Bord festzurren und die Mannschaft auf die Krisenzeit einschwören.
Ich begrüße Ehrlichkeit: Jetzt werden die Unternehmer belohnt, die in den letzten Jahren eine korrekte Unternehmensführung hatten. Anscheinend bekommen diese Unternehmer jetzt eine „angemessene“ (ich hasse dieses Wort!) Entschädigung. Und zwar eine, die sich nach der Höhe des zuletzt angegebenen Einkommens richtet. Bedenkt man, dass nach den Branchenzahlen die Hälfte der Friseure ein offizielles Einkommen von gerade mal 1.000 Euro hat, sehe ich eine ernste Bedrohung für manche Friseurunternehmen.
Ich empfinde Ehrgeiz: Jetzt erst recht! Ich fühle mich herausgefordert und werde alles tun, um zu überleben. Was bleibt mir auch anderes übrig? Ich bündele Stärke: Jetzt gilt es, alle meine Kräfte und meine Gedanken zu zentrieren. Negatives zur Kenntnis nehmen und mich nicht von dem allgemeinem Gejammer anstecken zu lassen!
Tatsächlich denke ich auch darüber nach: Was kann Corona mir Positives bringen? In den kommenen Tagen und Wochen werde ich sehen: Wer steht wirklich hinter mir? Wer ist wirklich mein Partner? Das ist für mich ein wirklich interessanter Punkt! Leicht ist es bereits jetzt zu sagen, wer mich NICHT wirklich unterstützt: meine Bank, manche Lieferanten. Doch toll sind gerade meine Mitarbeiter. Natürlich beobachte ich trotzdem, wem ich später besonders dankbar sein möchte, wenn wir bei schönem Wetter wieder Partys auf dem Deck feiern!
Zudem habe ich endlich mal Zeit für Dinge, die ich schon seit Monaten (Jahre?) machen wollte: Da für mich auch zwei Messen ausgefallen sind, habe ich endlich mal Zeit an meiner Internetseite zu arbeiten. Den Keller so richtig aufzuräumen, Trainingspläne zu entwerfen, vielleicht sogar zu renovieren?
Auch das Thema Neukunden angeln werde ich angehen: Kunden und eventuelle Neukunden werden ihre Zeit und Langeweile nutzen, um im Internet zu surfen. Es könnte doch eine tolle Gelegenheit für uns sein, diese Kunden im Internet zu angeln! Noch ein Grund mehr, jetzt an seiner Internetpräsenz zu basteln.
Stichwort Zeit für und mit Mitarbeitern: Vielleicht können wir ja mal in Ruhe Mitarbeiterbesprechungen und ganztägige Schulungen durchführen? Wenn uns das Gesundheitsministerium lässt. Ich werde diese Zeit jedenfalls nutzen können!
Punkt Sparsamkeit: Oft denke ich: „Mensch wir müssen echt mal darüber nachdenken, wo wir zu viel Geld ausgeben.“ Heißt: Ich werde mich hinsetzten und mal so richtig über meine Zahlen schauen. Vor allem auch privat. Wo war ich zu verschwenderisch? Wo kann ich sparen? Was macht wirklich Sinn?
Dann die Gesundheit: Sollte ich in Quarantäne kommen, möchte ich endlich auf das Rauchen verzichten. Meine Frau Denise und ich werden dann auch fasten. Eine tolle Gelegenheit. Schließlich ist es bei der schlechten Laune dann sowieso keine gute Idee unter Menschen zu kommen…
Dann die Frage: Soll ich unsere Preise noch mal erhöhen? Oder es lieber lassen? Da wir bereits vor 3 Monaten die Preise erhöht haben, war dies eigentlich kein aktuelles Thema. Aber vielleicht ist es jetzt sogar notwendig, um die Folgen der Krise abzufangen. Die Supermärkte machen es ja vor. Zumindest werde ich mal Zeit haben, dies mit meinen Friseurkollegen zu besprechen.
Was immer geht: Online Schulungen wahrnehmen oder sogar anbieten. Eine fabelhafte Gelegenheit, die Zeit zu nutzen und sich online weiterzubilden. Denise denkt jedenfalls darüber nach, eine Living-Room-Schulung für die kundenlose Zeit anzubieten. Sollten wir schließen müssen, werden alle Mitarbeiter Übungsköpfe mit nach Hause nehmen. Wir planen eine tägliche Videokonferenz mit unseren Mitarbeitern – zum Austausch, zur Online-Schulung und zur gegenseitigen Unterstützung und Motivation.
Last but not least Privatleben: Ich habe bereits meine Lieblingsbrettspiele und Bücher bereitgestellt. So viel Zeit für die Familie hatte ich schon lange nicht mehr!
Attacke! Aufgeben ist keine Option!
Es gilt für mich jetzt: Gerade stehen, lächeln, atmen, fokussieren, wertschätzend und auch dankbar in die Zukunft gehen. Jammern bringt uns allen nichts! Mein Bild: Ich bin Jonny Depp als Captain Sparrow am Steuer. Das ist mein Ziel!“