„Manche Frauen sind mir treuer als ihrem Mann…“
Braucht es etwa manchmal harte Zeiten, um echte Dankbarkeit in einem Winkel seines Herzens wiederzuentdecken? Andreas Sebastian Ehrle hat sie zwar nicht gesucht, aber gefunden: die tiefe Zufriedenheit mit seinem Salonalltag, der ihm lange Zeit zu eintönig erschien. Eine ganz besondere Reise zu sich selbst.
Neues Jahr und neues Glück, so fängt es zumindest bei den meisten von uns an. Ich sage immer: Die Karten werden neu gemischt. Und ja, so ist es dieses Jahr auch bei mir mal anders als zuvor. Im letzten Jahr ist viel passiert: Ein Angestellter ist mir zum Ende des Jahres weggebrochen. Klar habe ich überlegt, ob wir diesen Platz mit einer neuen Kollegin ersetzen, aber warum eigentlich? Das Arbeiten im kleinen Team finde ich besser, persönlicher und ich kann endlich die Augen einfach mal nur an meinem Platz haben und mich voll auf meine Kundin konzentrieren. Irgendwie hat da die Pandemie, die Art wie man mit uns Unternehmern umgegangen ist – sei es das Verhalten des Staats oder auch das neue Kund*innenverhalten –, etwas in mir verändert. Es hat was in mir bewegt. Es sagt mir: Es ist gut so, wie es ist, und niemand zwingt dich zu mehr. Wenn, dann nur du selbst.
Ist weniger mehr?
Aber wie wäre das früher gewesen? Hätte mir das gereicht, mit so einem kleinen Team? Niemals! Da wollte ich immer mehr und nochmal mehr. Ich habe gute 60 Stunden im Salon gearbeitet, fünf Tage die Woche. Dann, Samstag nach der letzten Kundin, eine kurze Dusche, die Taschen schnappen und ab ins Auto, ins Flugzeug oder den Zug und los zum Dreh, zum Teleshopping oder auf die Bühne. Frei hatte ich so gut wie nie. Aber ich fühlte mich frei. Das war damals mein Leben und das war das, was mir die Flügel gab. Es war das Feuer in mir, der Brand, der nicht gelöscht werden konnte. Immer wild, immer anders, immer Attacke und immer nach vorne! Der Himmel ist das Limit – aber das Limit reichte mir nicht! Damals meinte ich, genau die Dinge machen mich zu dem, der ich sein wollte und auch zu dem, der ich dadurch wurde.
Coole Zeiten
Aber mal ganz ehrlich: War das wirklich so wichtig, frage ich mich heute im Rückblick. Im TV zu sein? Die ganzen Leute, die dich erkannten? Das große Stück vom Kuchen zu bekommen? An der Oberfläche zu kratzen und nicht deuten zu können, wer es ernst mit dir meint, wer nicht? Klar passte das Honorar und alle gaben sich Mühe, dass es mir gut ging. Die Hotels waren toll und die Minibar war immer voll. Ich bekam viel Klamotten für Umme, die sich in meiner Bude stapelten. Viele davon ungetragen, noch verpackt. Ein Traum war das für einen Typen wie mich, der auf Klamotten steht. Alle waren immer nett zu mir. Das Leben war wie das eines Rockstars, immer auf der Überholspur, aber musikalisch war ich nie. Ich hätte damals nie gedacht, dass es mal so bei mir laufen würde – und genau hier ist der Punkt: Bei den Dingen, bei denen ich nichts erwartet habe, kam zwar das Geld, aber eben auch die Einsamkeit. Oft lag ich nachts wach – ich hatte mich irgendwie verloren. Der Mensch, der ich mal war, die Zufriedenheit und die Leichtigkeit fehlten mir. Mir fehlte das Atmen neben mir.
Anders sein
Meinen Salon, das ‚Déjà vu,‘ hatte ich damals schon einige Jahre am Start. Der Stuhl war immer so voll, wie ich ihn haben wollte und die Dinge liefen gut. Irgendwie reichte mir das aber nicht. Wenn das Routine wird, wird es zur Gewohnheit. Es wird zur Normalität. Normalität kommt von Norm und meine Frage an mich selbst war es schon immer: Ist es denn wichtig und richtig, normal zu sein oder stellst du dich einfach deiner Fantasie, deinen Zielen und auch Träumen und gehst deinen eigenen Weg? Eins der ersten Kinderbücher, die meine Mum mir damals vorlas, war die Geschichte vom schwarzen Schaf. Das kennt ihr alle bestimmt. In meinem Leben fühlte und fühle ich mich auch heute noch oft wie das schwarze Schaf. Ich wurde von anderen fingerzeigend angegriffen. Häufig, ohne es überhaupt mitzubekommen. Viele wussten immer alles über mich – noch besser als ich selbst. Es wurde gelästert. Die vielen Tattoos nicht akzeptiert. Vor ein paar Jahren war das noch so. Da hatte das was von: Du bist Seemann, kommst aus dem Knast oder spinnst halt total.
Was ist schon normal?
Ok, dachte ich mir. Ihr lacht über mich, weil ich anders bin, ich lache über euch, weil ihr alle gleich seid. Wenn es für euch normal ist, 40 gute Jahre zur gleichen Zeit aufzustehen, immer eine ähnliche Klamotte anzuziehen, den immer gleichen Arbeitsweg zu nehmen, neben dem Kollegen zu hocken, den du nicht magst, um dann montags schon zu denken, wann ist endlich Freitag, Wochenende? Und: Hoffentlich geht das nie vorbei. Ich frage mich stattdessen: Was habt ihr eigentlich falsch gemacht? Sorry. Wenn du nur am Wochenende lebst und sonst das Opfer bist… hallo? Dann ist dein Leben aber kurz. Da bin ich dann mal lieber der andere. Manchmal liegt deine Stärke aber auch in der Schwäche der anderen.
Das ist LIEBE
Zurück zum Thema: Damals wollte ich eben mehr. Der Salon reichte mir nicht. Ich wollte die Bühnen, hatte aber irgendwie verpasst, dass genau der Stuhl, hinter dem du täglich stehst, auch die Bühne des Lebens sein kann. Das Echte, das Ehrliche und das Bestehende. Deine Bühne, sobald du den Salon aufschließt und das Licht anknipst. Auf der du selbst der Regisseur, der Drehbuchautor und der Actor in einer Person bist. Wo du selbst entscheiden kannst, wie es läuft. Mit einem garantierten Honorar. Das ist doch alles echt! Deine Kund*innen sind deine größten Fans. Von Tag eins an kommen sie alle paar Wochen, lassen dich hochleben. Feiern dich und warten oft viel länger, als sie wollen und können, auf einen Folgetermin. Sie laufen zum Teil sogar wie ein zerrupftes Huhn rum, bis sie dann endlich mal drankommen, weil du so ausgelastet bist. Ist das nicht geil? Diese Treue zu uns über Jahre. Loyal und wie in einer Freundschaft. Da kann ich zurecht sagen: Manche Frauen sind mir treuer als ihrem Mann – manche Männer aber auch…
Salonleben
Das Komische ist, dass trotzdem auch die Routine im Salonalltag zur Langeweile mutieren kann, so war das immer mal wieder bei mir. Und das, obwohl unser Job doch einer der vielfältigsten da draußen ist. Die Arbeit hinter dem Stuhl ist kreativ, wenn du sie ernst nimmst, immer wieder anders, mit neuen Erfahrungen verbunden. Es ist Leidenschaft. Egal, was auch immer ich sonst drumherum gemacht habe – man darf den Salon nicht aus den Augen verlieren. Wenn du ihn richtig behandelst, kommt der Erfolg fast von alleine. Klar kannst du in unserem Job auf anderen Plattformen auch gut was reißen, aber das Ehrlichste, das Dauerhafteste und die Konstante in meinem Leben war rückblickend immer mein Laden ‚Déjà vu‘. Und hier wird die Kohle gebacken. Aber das wahre Honorar ist die Treue der Kund*innen über so viele Jahre. Irgendwie ist es wie in einer Beziehung. Es sind Liebe, Emotion, manchmal Verzweiflung. Freude, schöne Momente. Mit Lachen und Weinen. Es ist die viele Zeit, die du da verbringst. Die vielen Geschichten, die die Wände in sich halten. Es ist oft die Entscheidung des Lebens, die du damit triffst. Es ist einzigartig und es ist eben das, was es ist.
Es ist alles da
Für mich war es früher oft zu wenig. Ich finde keine Antwort dafür, warum es damals so war. Ich denke, es war schon immer so, dass der Engel und auch der Teufel auf meinen Schultern sitzen. Vielleicht ist es einfach das Älterwerden bei mir. Oder das Müdesein von den vielen Reisen. Der kaputte Body oder auch die Familie, die ich nun habe. Meine Frau und meine Kids. Das ist in einem Wort: Liebe. Da ändert sich was in mir. Und das fühlt sich so richtig gut an. Das bringt mehr Ruhe rein und sorgt für die Bodenhaftung. Im Job und in den Dingen, die immer über den Tellerrand hinaus gingen, fühlt es sich nach weniger an, aber weniger ist im echten Leben manchmal noch viel, viel mehr! Viel mehr von dem Echten, dem Richtigen und den Dingen, die das Herz zum Strahlen bringen.
Ich bin dankbar, dass ich so Vieles erleben durfte, aber noch viel dankbarer, dass es nun so ist, wie es ist.
Euer Andi