Ralf Steinhoff zur Mitarbeiterkrise: Dual ausbilden allein reicht nicht aus!

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Es ist zum Haare ausraufen: Ganz Friseurdeutschland braucht qualifizierte Mitarbeiter! Aber woher nehmen, wenn nicht stehlen? Reicht es aus, Jugendliche als künftige Mitarbeiter selbst auszubilden? Bei 4 von 5 Abbrecher-Azubis wohl kaum. Der Reutlinger Friseurunternehmer Ralf Steinhoff geht beim Thema Mitarbeitergewinnung ungewohnte Pfade. Mit FMFM sprach er über die Chancen seines neuen Recruitings.

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Sie sind in der Branche als Querdenker und Visionär bekannt, der gern die Fahne für qualifizierte Ausbildung im Friseurhandwerk hochhält. Jetzt beschäftigen Sie selbst in ihrem Reutlinger Salon Top Stylisten, die keinen Gesellenbrief haben. Wie ist das mit Ihrem Anspruch vereinbar, Dienstleistungen im Premium-Segment anzubieten?

Sehr gut! Wir sind, wie alle Kollegen der Branche, vom Fachkräftemangel gebeutelt. Derzeit beschäftigen wir 14 Mitarbeiter, aber weniger sollten und dürfen es auch nicht werden! Und das bei einem nahezu leergefegten Markt. Natürlich muss ich in einer Situation wie dieser mein Recruiting umstellen und nach einer unternehmerischen Lösung suchen, die funktioniert. Wir haben zum Beispiel eine Mitarbeiterin, die als Quereinsteigerin Top Stylistin wurde, weil es schon immer ihr Wunsch war, in diesem Berufsfeld zu arbeiten. Nach beruflichen Umwegen und nachdem sie zwei Kinder großgezogen hatte, entschied sie sich, einen Lehrgang an einer privaten Friseurakademie zu machen. Diese Frau kam überaus motiviert, voller Leidenschaft und Wissensdurst zu uns. Wir haben ihr unglaublich viel Weiterbildung ermöglicht und sie über die Zeit zu einer Top Stylistin aufgebaut. Mit dem Ergebnis, dass sie bereits nach 10 Monaten einen Jahresumsatz (auf 12 Monate hochgerechnet) von 120.000 Euro generiert. Und das auf allerhöchstem Niveau. Sie darf sich nur nicht Friseurin nennen. Ich frage mich also: Warum soll ich einen Menschen ohne Gesellenbrief nicht anstellen, wenn er bzw. sie alle Fähigkeiten mitbringt, die erforderlich sind – und noch viel mehr? Jemanden, der Kunden glücklich macht, eine gewisse Reife mitbringt, eine gute Allgemeinbildung hat und tolle Umsätze macht? Warum muss diese Mitarbeiterin einen Gesellenbrief haben? Nur für die Statistik?

 

Wenn das so ist: Bilden Sie dann überhaupt noch klassisch aus?

Ja, sicher! Das sehe ich als Salonunternehmer auch klar als meinen Auftrag der Branche gegenüber. Und ich bin überzeugt: Wenn ein junger Mensch eine Ausbildung macht, sollte am Ende möglichst der Gesellenbrief stehen. Dennoch muss die Friseur-Ausbildung in der Breite besser werden und andere Zugänge bieten.

Motivation durch Praxis

Wie genau sollte das aussehen?

Nicht alle Salonkonzepte sind in einen Ausbildungsgang pressbar. Da sollte man aus meiner Sicht mutiger werden. Wir sind bereits 2013 damit gestartet, unsere Azubis zusätzlich zur dualen Ausbildung auf einer privaten Berufsschule zum Hair & Beauty-Artisten weiterzubilden. Sie glauben es nicht: Da kommen begeisterte junge Menschen aus der Berufsschule, die das Gelernte im Salon sofort am Kunden anwenden können. Unsere Azubis können wir im 3. Lehrjahr nahezu voll im Salon einsetzen. Die Investition rentiert sich also. Zudem sind die jungen Leute sehr motiviert, weil sie viel lernen und am Kunden arbeiten dürfen. Wir sehen es doch alle an den vielen Ausbildungsabbrechern, die gelangweilt oder frustriert das Handtuch werfen. Im Branchendurchschnitt schmeißen 4 von 5 Azubis hin. Und selbst von denen, die die Lehre abschließen, bleiben oft nur wenige im Beruf. Eine junge Absolventin erzählte mir neulich, dass aus ihrer Berufsschulklasse von 20 Mitschülern nur 5 tatsächlich als Friseur arbeiten wollen. Der Berufsstand muss wieder attraktiv werden! Und das wird er nur, wenn wir ordentlich ausbilden, gute Löhne zahlen, Mitarbeiter gemäß ihren persönlichen Stärken weiterentwickeln und ihnen Aufstiegschancen bieten. Top Stylisten, die in einem tollen Umfeld deutlich mehr als 3.000 Euro plus Trinkgeld und Weiterbildung erhalten, haben dann keinen Grund, sich mit einem Ein-Mann-Betrieb selbstständig zu machen – sofern sie keine Unternehmer-Naturen sind.

Vieles muss anders werden!

Allem Engagement zum Trotz hat es Sie jedoch auch in diesem Jahr erwischt…

Ja, tatsächlich. Wir haben keine unserer 3 Absolventinnen im Salon halten können. Das war eine Keule für uns. Eine Junggesellin wollte nach der Lehre die Welt sehen und reisen. Die zweite denkt an eine weitere Ausbildung. Und die dritte passte einfach nicht zu uns. Aber so ist es derzeit eben überall: Selbst als anspruchsvoller Ausbildungsbetrieb hat man keine Garantie, dass man die Mitarbeiter aus den eigenen Reihen rekrutieren kann. Das Problem haben alle Ausbildungsbetriebe mit der Generation Z. Aber wissen Sie: Ich bin Unternehmer. Und das bedeutet: hinfallen, aufstehen, hinfallen, aufstehen! Ich lasse mich nicht entmutigen. Meine Aufgabe ist es vielmehr zu analysieren, was ich in der nächsten Generation anders machen muss, damit es besser läuft. Nicht mehr auszubilden kann und darf nicht die Lösung sein!

 

Was genau sind Ihre Lösungen?

Nicht zuletzt durch die überaus positiven Erfahrungen mit unseren Quereinsteigern haben wir erkannt, dass wir uns beim Recruiting breiter aufstellen müssen. Das bedeutet, dass wir neben der klassischen Ausbildung zum/zur Geselle/-in auch zwei weitere Gruppen ansprechen möchten. 1. Beauty-affine Menschen und 2. (meist) Frauen, die irgendwann mal den Friseurberuf gelernt haben und in den Beruf zurück möchten. Sie müssen ihr Know-how nur wieder auffrischen und auf den neuesten Stand bringen. Dabei können wir ihnen wunderbar behilflich sein. Diese beiden Zielgruppen sprechen wir nun direkt an und recherchieren derzeit, mit welchen Fördergeldern und Möglichkeiten wir sie unterstützen können.

Stylisten statt Friseure?

Wie genau gehen Sie da vor?

Es gibt tatsächlich einige Menschen, die immer schon mal in der Beautybranche arbeiten wollten, es aber aus irgendeinem Grund nie gemacht haben. Es sind auch Umschüler dabei. Die sind meist deutlich älter als klassische Azubis und wissen recht genau, was sie anstreben. Das sind hochmotivierte Leute, die gestandene Persönlichkeiten sind und einem sehr jungen Salonteams durchaus gut tun. Denen bieten wir in unserem Salon ein 4-monatiges Schnupperpraktikum an. In dieser Zeit finden wir gemeinsam heraus, ob wir a) zusammen passen, sie b) eher eine Beauty-Assistentinnen-Ausbildung machen möchten oder es c) Sinn macht, dass sie in Zusammenarbeit mit unserem Salon und einer privaten Berufsschule eine 9-monatige „Turbo-Ausbildung“ machen, um bei uns eine Laufbahn als Stylist oder Top Stylist einzuschlagen. Mit der Option, auf diesem Weg (leider erst) nach 4,5 Jahren einen Gesellenbrief zu erwerben…