Salons öffnen? Ja! Aber tatsächlich um jeden Preis?!?!?
„Ich werde singen, tanzen und eine Flasche Champagner köpfen, wenn wir wieder öffnen dürfen“, sagt Friseurunternehmer und FMFM Artist Ralph-Joachim Hoffmann. Und doch bleiben dem Heilbronner Zweifel, ob die sofortige Salonöffnung - derzeit sieht es ab dem 15.2. danach aus - um jeden Preis die richtige Entscheidung ist. Ein Kommentar zwischen Hoffnung und Sorge.
„Friseursalons sollen wieder geöffnet werden, um dem sich entwickelnden Schwarzmarkt entgegenzutreten – aber mit strengen Hygienekonzepten“, sagte Herr Seehofer vor einigen Tagen dem Magazin SPIEGEL. Wumms! Das sitzt! Haben wir Friseure etwa nicht bereits nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 bewiesen, dass wir (zumindest zum großen Teil) absolut schlüssige und durchgängige Hygiene-Konzepte haben? Ja, wir haben sogar jeden Preis für Hygienemaßnahmen aller Art bezahlt, um den bestmöglichen Schutz für unsere Mitarbeiter und Gäste zu gewährleisten! Dabei haben wir uns an Österreich orientiert. Die waren uns mit allem um zwei Wochen voraus. Vorgaben von der Politik, der Handwerkskammer, der Innung oder gar der BGW waren ja zeitnah nicht zu bekommen. Hätten wir damals einfach abgewartet, welche Regularien wir erfüllen müssen, wären zwei Drittel der Salons nicht pünktlich geöffnet gewesen. Warum: Weil das benötigte Material schlicht nicht mehr erhältlich gewesen wäre… Und dann jetzt diese Aussage von Herrn Seehofer!
Kurze Geschichte aus dem wahren Leben: Ich war vergangene Woche beim Arzt. Alles nett und freundlich. Man hat sich gefreut, mich wiederzusehen. Mundschutz, Plexiglas, kein Händeschütteln. Das war’s an Hygiene! Was es nicht gab: eine Aufforderung, mir die Hände zu desinfizieren (und ich habe auch keine Desinfektionsständer gesehen, die waren wohl gut versteckt). Niemand hat in 20 Minuten, die ich im Wartezimmer verbringen durfte, die Stühle der Patienten desinfiziert, die bereits ins Sprechzimmer gerufen wurden. Dazu standen die Stühle auch noch dicht an dicht! Keiner hat die Türklinke abgewischt. Hammer, oder? Völlig anders dagegen der Alltag in unseren Salons – schon lange vor dem 2. Lockdown: Bei uns darf keiner Warten. Es wird Fieber gemessen, jeder Gast muss sich die Hände desinfizieren. Jeder Gast bekommt einen frisch gewaschenen Umhang und Handtuch bevor er/sie sich auf dem von oben bis unten desinfizierten Bedienplatz setzen darf. Selbstverständlich desinfizieren wir jegliches benutztes Material nach jedem Gast. Wie immer! Wir haben Raumluftfilter installiert und lüften dennoch regelmäßig.
Herr Seehofer: Was mag da denn jetzt noch kommen? Natürlich sehne auch ich mich, wie die meisten Kollegen, geradezu danach, meinen Salon wieder öffnen zu dürfen. Lieber heute als morgen! Momentan sieht es ja so aus, als wäre der 15.2. tatsächlich realistisch. Mal abgesehen davon, dass ich das tägliche kreative Arbeiten im Salon, mein Team und die Nähe zum Gast vermisse, fehlt mir inzwischen auch schlicht und einfach das GELD! Zwischenzeitlich hatte ich auch ein starkes seelisches Tief, weil es keine rechte Perspektive gab und gibt. Das alles erzeugt Zukunftsangst pur! Wie soll denn bitte jetzt die Wiedereröffnung nach Herrn Seehofer aussehen? Schiele ich wieder nach Österreich, wird mir allerdings regelrecht schlecht. Die neuen österreichischen Regeln schreiben vor: Friseur und Gast mit FFP2-Maske. Friseur und Gast benötigen einen negativen Covid-19-Test, der nicht älter als 48 Stunden ist. Pro 20 qm ein Gast; inklusive Personal. Die neuen BGW-Regeln für Deutschland kündigen uns noch deutlich schlechtere Bedingungen an: 10 qm pro Mensch! Allein die Österreich-Variante würde für meinen Salon schon heißen: wieder bleibt ein Platz leer, an dem kann kein Umsatz generiert werden kann. Den ganzen Arbeitstag lang, fünf Tage die Woche. Trotz horrend gestiegener Kosten und bis heute drei Monaten Umsatzausfall… Wer zwei Rezeptionistinnen oder gar mehrere Azubis hat, hat weitere Probleme… Manche können bei der Quote nicht einmal alle Mitarbeiter gleichzeitig arbeiten lassen.
Aber zurück zu Österreich: Dort muss nun jeder Gast und Mitarbeiter eine FFP2-Maske tragen. Mal abgesehen vom erschwerten Atmen – mit dieser Maske müssen wir bereits nach 75 Minuten eine 30-minütige Pause einhalten! Wie soll denn das gehen? In der Praxis bedeutet sieht es doch so aus: Die Strähnen sind gerade fertig und müssen ausgewaschen werden. Lass ich den Gast dann einfach sitzen und geh in meine vorgeschriebene Pause? Wenn ich allein die Pausen auf unseren 8,5 Stunden-Tag rechne, verliere ich pro Mitarbeiter (neben dem einen Platz, der gar nicht besetzt werden kann) noch 2 Stunden an Arbeitszeit zusätzlich. Das ist also quasi ein ganzer Mitarbeiter pro Tag, der bezahlt werden will und keinen Umsatz bringen kann (hochgerechnet). Wie soll sich das rechnen? Hinzu kommt: Österreich hat 8,9 Millionen Einwohner. Dort sind die Test kostenfrei. Wir haben knapp 10 mal so viele. Mal angesehen vom Kostenfaktor. Wie lange wird es dauern bis der Gast, der kommen möchte, einen Termin zum Test bekommt? Wie will man da planen?
Versteht mich nicht falsch: Ich werde eine Flasche Champagner köpfen an dem Tag, an dem wir erfahren, wann wir wieder öffnen dürfen! Aus dem Keller, denn eine neue Flasche kann ich mir nicht leisten. Ich werde lachen, Freudentränen vergießen und Freudentänze aufführen. Aber ich möchte sichergehen, dass wirklich alle von uns verstanden haben, dass uns ein kurzsichtiger Re-Start nicht wirklich etwas bringt! Wir haben nichts davon, wieder für vier, sechs Wochen zu öffnen und dann wieder die Türen schließen zu müssen, weil die Zahlen wieder ansteigen. Wir müssen die Gewissheit haben, alles ist soweit im Griff ist und dass wir den Rest des Jahres weiter arbeiten können, um einigermaßen die Verluste zu kompensieren. Ich kenne viele Kollegen, die vor dem Aus stehen. Viel zu viele. Meine Befürchtung ist aber wirklich, dass wir zu schnell öffnen und der Schuss nach hinten losgeht. Die Zahlen gehen zu langsam und zu wenig runter, und die Mutationen sollen weit ansteckender sein als das ursprüngliche Virus.
Wie können wir sicherstellen, dass die Vorgaben, die wir zu erfüllen haben, uns auch das Überleben sichern? Das geht nicht, wenn für unabsehbare Zeit x Plätze im Salon unrentabel sind, weil sie nicht besetzt werden können. Das geht auch nicht, wenn jeder Mitarbeiter zwei Stunden pro Tag zusätzliche Pausen einhalten muss und damit Umsatz verhindert wird. Dann haben wir zwar geöffnet, aber es reicht uns hinten und vorne nicht. Ich will wieder öffnen und will für unsere Gäste da sein, für unsere Mitarbeiter die Arbeitsplätze und nicht nur ein „Überleben“ sichern. Bitte! Am Ende des Monats möchte ich meine privaten Kosten decken und mir auch zwei Wochen Urlaub im Jahr leisten können.
Wie können wir das sicherstellen? Ich habe keine Ahnung! Wir benötigen Strategien, die langfristig funktionieren und nicht trotz Herrn Spahns Aussage „Mit dem Wissen von heute hätten wir keinen Friseursalon schließen müssen und das wird auch nicht mehr passieren“ wieder zu neuen Schließungen führen werden. Die Betriebe brauchen schlüssige und umsetzbare Hygiene-Konzepte, die auch erfüllbar sind. Und es braucht starke Kontrollen, um schwarze Schafe schnellstmöglich aufzuspüren und in die richtigen Bahnen zu lenken. Das hilft uns allen, dauerhaft geöffnet zu bleiben. Wir machen ja in Sachen Schutz und Hygiene bereits heute schon mehr, als es z. B. in Arztpraxen der Fall ist. Wir müssen das kommunizieren! Der Gast muss wissen, spüren und sehen, was wir für seine Sicherheit alles machen. Und bis dahin brauchen wir unbedingt eine Politik, die uns versteht, die unsere Nöte sieht, umgehend, unbürokratisch und zielgenau finanziell unterstützt. Ich wünsche mir für uns alle, dass wir gemeinsam eine langfristige Perspektive im wohl schönsten Beruf der Welt haben.“