Testpflicht für alle? „Da brauchst du auf jeden Fall eigene Popelmeister!“

Testpflicht-fuer-alle-Da-brauchst-du-auf-jeden-Fall-eigene-Popelmeister-4653-1
Sieht bei Umsetzung der Testpflicht Luft nach oben: Andi Ehrle
www.ase.de
Sieht bei Umsetzung der Testpflicht Luft nach oben: Andi Ehrle

Anzeige

Anzeige

Anzeige

Anzeige

NOCH ist Tübingen nur Modellstadt, aber Friseurunternehmer und TV-Friseur Andreas Sebastian Ehrle ist überzeugt: Die Corona-Testpflicht beim Friseur wird deutschlandweit kommen – und sie wird uns lange erhalten bleiben!“ Warum die Tests an sich eine Bombenidee sind, die Umsetzung allerdings im Alltag (noch) nicht wirklich funzt und auf welche Hürden sich seine Friseurkollegen schon mal vorsichtshalber einstellen sollten – bei FMFM spricht Andi Klartext.

Anzeige

Anzeige

Andi, du hast deinen Salon in Tübingen. Ihr seid jetzt in der dritten Woche in „Sippenhaft“: Tübingen ist Modell-Teststadt und Bürgermeister Palmer verpflichtet euch dazu, nur noch Kunden mit negativem Test zu bedienen. Wie läuft‘s bei euch?

Zunächst mal bin ich brutal froh, hier in Tübingen zu leben und begrüße das Grundkonzept sehr! Es ist innovativ, mutig und zukunftsweisend. Aber das Ganze grundsätzlich gut zu finden und es dann im täglichen Business umzusetzen, sind zwei Paar Schuhe. Was fürs Shoppen, den Einzelhandel und auch die Außengastro funktionieren mag, kommt bei uns Friseuren mehr als an seine Grenzen.

Erzähl, woran hapert es in der Umsetzung?

Nach dem zweiten Lockdown haben wir ganz normal – wie in ganz Deutschland – den Salon geöffnet. Mit krassem Hygienekonzept, aber normal. Dann hieß es – wie es ja derzeit häufiger in der Politik passiert – von einem Tag auf den anderen: So, und jetzt sind wir Teststadt. Für Einzelhandel, Friseure & Co. gilt: Eure Kunden dürfen nur noch mit negativen Tests bedient werden. Wir haben im gesamten Stadtgebiet neun Teststationen. Wer sich dort testen lässt und ein negatives Ergebnis hat, bekommt ein Tagesticket ausgestellt, mit dem er oder sie dann normal im Einzelhandel shoppen oder auch den Außenbereich der Gastronomie nutzen darf. Der Test ist nur tagesaktuell, versteht sich. Heißt für unsere Kunden allerdings, dass sie die langen Wartezeiten in den Schlangen vor den Teststationen vor ihrem Besuch bei uns einplanen müssen. Der Hype mag sich lohnen, wenn man nach dem Friseurbesuch noch essen oder einkaufen gehen möchte; aber allein für einen Haarschnitt ist der Aufwand enorm. Zumal wir angeblich vergangene Woche schon den Effekt hatten, dass ganze Busse voller Münchner in die Stadt zum Einkaufsbummel gekommen sein sollen…

Ja, ich habe gehört, dass Tübingen dann nur noch 3.000 Tagestickets ausgestellt hat, um den Besucherstrom unter Kontrolle zu kriegen… 

Genau. Aber wir als Salon sind schon von Beginn an auf eigene Tests umgestiegen, die wir für unsere Kunden durchführen. Die bekommen wir kostenlos von der Stadt gestellt. Daher kann man das machen. Es hieß, die Tests dürften wir im Salon machen, aber ich habe von Anfang an für mich entschieden: In mein Geschäft kommt niemand ohne negativen Test! Mein Team und ich testen uns jeden Tag – da möchte ich absolut sauber und safe bleiben.

Was heißt das in der Umsetzung?

Das heißt zum Beispiel, dass ich bei schlechtem Wetter jeden Tag ein kleines Zelt vor meinem Laden auf- und abbaue, in dem wir unsere Kunden oder sie sich selbst testen – je nachdem. Diese Tests galten bislang nur für den Besuch bei uns im Salon und gewährten nicht die Freiheiten eines Tagestickets. Das soll sich aber vermutlich jetzt ändern und sie sollen doch als Tagesticket zulässig sein. Der Vorteil für unsere Kunden liegt auf der Hand: sie müssen nicht in der ewig langen Schlange anstehen. Fakt ist aber: Das Procedere kostet mich bei jedem Kunden mindestens 15 Minuten. Anfangs sogar weit mehr, weil manche den Test auch selbst machen wollten und am ersten Tag vier von sieben Kunden ein weißes, d.h. völlig ungültiges Testergebnis hatten. Also gab es einen zweiten Durchgang. Es ist eine Geduldsprobe! Unser Buch ist rapppelvoll, weil wir die ganzen Termine natürlich schon koordiniert hatten, als es noch keine Testpflicht gab. Und ganz ehrlich: Am Ende des Tages sind wir oft bis zu zwei Stunden im Verzug – das Ganze hat uns das Terminbuch komplett zerschossen. Es ist ja eine einfache Rechnung: Wenn du acht Kunden am Tag hast und jeder Test auch nur eine Viertelstunde dauert – Fehltests nicht mitgerechnet –, kommst du auf diese 120 Minuten. Minimum. Natürlich haben auch wir keine der vereinbarten Termine abgesagt – im Anschluss an die zweite Schließung können wir uns das finanziell gar nicht leisten! Nach zehn Wochen Lockdown sind wir an der Kante und auf jeden Kunden angewiesen.

Wie berechnet ihr diese Testzeiten?

Bislang gar nicht. Unsere Kunden bezahlen für ihre Farbe oder ihren Haarschnitt. Nicht dafür, dass sie getestet werden! Das will ich nicht noch preislich draufhauen. Aber Fakt ist auch: durch diese viele Zeit leiden die Hygienemaßnahmen im Laden selbst. Meine zwei Mitarbeiter und ich machen schon keine Mittags- oder Zigarettenpausen mehr und arbeiten oft 12 Stunden, weil wir es einfach nicht schaffen – und dann müssen wir nach jedem Kunden wieder alles wieder tipptopp hygienisch in Ordnung bringen. Klar machen wir das, aber es ist ein Ritt.

Das klingt nach Stress pur! Was sind deine Verbesserungsvorschläge – sollte sich die Testpflicht deutschlandweit durchsetzen?

Zu allererst müssen solche einschneidenden Schritte mit zeitlichem Vorlauf kommuniziert werden. Mein Team ist fast umgekippt, als ich ihm sagen musste, dass wir ab dem nächsten Tag auch noch testen müssen. Aber ok, das lief, weil ich sie überzeugen konnte, dass wir alle safer sind, wenn wir UND die Kunden getestet sind. Dennoch, man muss das zeitlich einplanen können. Daran denkt kein Politiker, weil sie nicht in unseren Unternehmerschuhen stecken! Außerdem würde es doch konzeptionell Sinn machen, wenn man z.B. für flexible Rein-Raus-Kunden mobile Testteams abstellen würde, die in coolen Hoodies Kund:innen testen, die nur kurz zum Friseur oder in einen einzigen Laden möchten. Das hätte sogar noch Event-Charakter und wäre lässig. Da es das (noch) nicht gibt, steht für mich fest: Wenn nicht bald ein dritter Lockdown kommt und die Testpflicht bei uns bleibt, dann brauchen wir einen eigenen „Popelmeister“, der diesen Test-Job bei uns vor dem Salon macht. Ich habe dafür schon eine Rentnerin im Auge, die sich angeboten hat, das zu übernehmen. Wir als Friseure können nicht mehr als arbeiten und machen uns kaputt, wenn das Tempo so bleibt. Doch es bleibt die Frage, wer den- oder die „Popeltester:in“ dann bezahlen soll? Wie dem auch sei, im Grunde habe ich nur einen Wunsch: dass wir alle – nicht nur wir Friseure – uns wirklich an alle Regeln halten, damit wir den Mist hier möglichst schnell und heil überstehen.

 

Wie steht es eigentlich um den Friseur-Beruf? Mehr zum Thema: „Traumberuf Friseur?“