„Und dann kam zum Glück die Pandemie…“

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Hat durch die Corona-Auszeit zu sich selbst gefunden: Julia Kaya
Hat durch die Corona-Auszeit zu sich selbst gefunden: Julia Kaya

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Manchmal braucht das persönliche Glück zwei Anläufe. Bei Julia Kaya ging es im (Berufs-)Leben viele Jahre Schritt für Schritt bergauf. Mit im Gepäck: der Erfolg. Auf dem Weg nach oben leider verloren: das Glücksgefühl im Herzen. Bis Covid-19 auf den Plan trat. Julia erzählt ihre berührende Geschichte über die neu entdeckte Kunst des Weglassens.

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„Die Corona-Zeit hat bei mir sehr turbulent angefangen. Mit zwei Kindern an den Händen und einem neuen Team aus vier Vollzeitkräften, einer Auszubildenden und einer Aushilfe stand ich zu Beginn der ersten Covid-Welle gefühlt am Rande des Abgrunds. Dabei hatte ich damals viele Pläne. Einer davon war es, weiter zu expandieren. Und dann kam zum Glück die Pandemie. Ja richtig, zum Glück! Denn durch diese Vollbremsung ist mir Vieles klar geworden, was ich vorher vielleicht gedacht habe, aber vor lauter Arbeit nicht wirklich spüren konnte.

Aktionismus statt Genuss

Mein Leben lang fiel mir das Glück regelrecht vor die Füße: Ich war eine finanziell unabhängige Mutter, Ehefrau und Friseurunternehmerin. Was für eine schöne Kombination. Eigentlich. Obwohl ich alles hatte, war ich dennoch  rastlos und hungrig, immer wieder neue Projekte starten. Und das, ohne das bereits Erfolgreiche und hart Erarbeitete überhaupt mal genossen zu haben. Dieses Innehalten durch Corona hat mir vor Augen geführt, wie sehr ich mich über die Jahre von meinen Kunden und meiner eigentlichen Berufung entfernt hatte. Und das nur, um mehr wertgeschätzte Arbeitsplätze zu schaffen und die gesamte Friseurbranche für eine bessere Zukunft mitzugestalten. Warum eigentlich?

Unrealistische Vorbilder

Ich habe nachgedacht und bemerkt: Etwa 90% meiner Vorbilder, nämlich erfolgreiche (Friseur-)Unternehmer, sind männlich. Sie setzen und verfolgen Ziele, die für mich während meiner neunjährigen Selbstständigkeit mit parallelem Muttersein einschließlich Schwangerschaften nicht wirklich realistisch waren – und es bis heute nicht sind. Ich kam nicht mit – was sich nicht gut anfühlte. Und so geht es vermutlich vielen weiblichen Kolleginnen (vor allem denen mit Mutterfunktion!), die praktisch komplett im Hintergrund agieren. Wisst ihr was: Ich wünschte, ich hätte mehr Austausch mit Gleichgesinnten, mit Frauen, denen es geht wie mir. Vielleicht ist es für uns so schwer, weil weibliche Intuition nicht in Worte zu fassen ist und ein „nach Gefühl handeln“ nicht als unternehmerische Leistung gilt…

Das Glück im Kleinen

Was mich derzeit sehr erfüllt: Im zweiten Lockdown habe ich meine Kinder mehr schätzen gelernt und mit meiner „Kontra-Corona-Familie“ in Frieden Kontakt gehalten. Außerdem hatte ich viel Zeit für Gespräche mit Menschen außerhalb der Friseurszene. Und siehe da: Es gibt tatsächlich auch ein Leben neben der Arbeit *lach. Diese Gespräche mit unterschiedlichen Persönlichkeiten in Kombi mit tollen Online-Kundenberatungen haben mich wieder auf meinen bestehenden Kundenkreis und meine eigentliche Berufung hungrig gemacht. So sind für mich die ehrliche und individuelle Beratung, ein offenes Ohr und das komplexe Gebiet des Friseurberufs wieder mehr in den Vordergrund gerückt. Zum Glück. Ich spüre: Das sind Dinge, die MICH erfüllen.

Einfach loslassen

Für mich ist die Pandemie wie eine Pilgerfahrt – eine Reise zu mir selbst. Unterwegs habe ich einige „Last“ abgelegt: Das Personal reduziere ich auf zwei bereits eingespielte Vollzeitkräfte und meinen eigenen Einsatz. Mehr Platz kann im Salon auf unbestimmte Zeit sowieso nicht genutzt werden. Aber selbst da ist aus unternehmerischer Sicht viel Potenzial, nach dem Motto: „Viele Wege führen nach Rom“. Auch privat hat sich einiges verändert. Durch die friedliche Trennung von meinem Ehemann, der wöchentlich wechselnden Kinderbetreuung samt unserem baldigen neuen Zuhause (in demselben Objekt wie mein Salon), habe ich gefühlt soviel Zeit und Freiheit wie noch nie.

Ich begegne tollen Menschen (digital) und genieße wieder die Natur, den Kaffee und meinen Beruf. Durch die zahlreichen gebotenen Perspektiven, wie die endlich beantragbare Überbrückungshilfe 3 und unsere Wiedereröffnung, fühlt es sich an, als würde mir das Schicksal seine Hand reichen. Und ich hoffe sehr, in Zukunft mehr von den rund 90% weiblichen Beschäftigten in der Friseurbranche zu hören und zu lesen.“