Wenn der „Pilzkopf“ zuschlägt – für uns Profis ein Matchball!

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Andi Ehrle sieht die "Pilzkopf-Epidemie" als Chance, sich abzuheben
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Andi Ehrle sieht die "Pilzkopf-Epidemie" als Chance, sich abzuheben

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Sporenartig wie er selbst verbreitet sich das Thema in den Gazetten: Kopfhautpilz bei Barbern ist derzeit das neue (Sommerloch-)Lieblingsthema der Medien. Für die einen eine Katastrophe. Für Andi Ehrle die Gelegenheit, endlich mal den Profi-Matchball zu spielen.

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Hautpilz, Ringelflechte, Kopfpilz, Trichophyton tonsurans (zur Hölle?!), Kopfhautpilz, Undercut-Pilz – oder so nenne ich es: PILZKOPF. Die Medien sind voll davon. In den Socials kommen auch mehr und mehr Leute mit Videos, Stories und natürlich auch verarschendem, witzigen Zeug dazu. Oft leider auch nur Trittbrettfahrer, die das Wesentliche verfälschen. Manche nennen die Pilzwelle eine neue Epidemie. Das klingt für mich fast schon wie Corona und macht Angst. Dabei gab es das Wort „Epidemie“ ja schon lange davor; viele konnten damit nur nicht so wirklich was anfangen. Deutschland, das Land der Angstmache oder immer nah an der Realität? Übertreiben oder die Vorsicht in Person? Trash oder berechtigt?

Der Barbershop…

Ich möchte erstmal vorab was klarstellen: Das Wort „Barbershop“ ist ja bei vielen schon lange so eine umstrittene Sache. Der eine sagt: Das sind die 20-Euro-Buden: reinkommen, drankommen, derselbe Umhang, ohne waschen, ohne Rechnung, keine Hygiene – und am Ende sehen alle gleich aus. Seiten auf Kontostand und der nächste, bitte. Die andere meint, dass dort mit Hygiene, Termin im Voraus, einer Beratung, warmen Kompressen, Café, Whisky, Tattoos oder was auch immer schnell mal 60 Euro für einen Schnitt mit Bart bezahlt werden. Der selbst erlernte „Bartschneider“ versus bodenständig gutes Handwerk mit Meistertitel und Salonhistorie über Jahrzehnte hinweg. Klar und immer am selben Platz.

Die Meinungen spalten sich, und wisst Ihr was?! Ja. Beide haben Recht. Und beide Shop-Konzepte nennen sich ja auch so: Barbershop! Aber sieht denn die Presse den Unterschied zwischen Barber und Barbershop bei den Berichten über die Pilzinfektionen? Ich sage NEIN! Der Unterschied fehlt doch fast immer. Es wird dauernd vom Pilz im Barbershop gesprochen. Alle und alles wird über einen Kamm geschoren. Wenn Ihr ehrlich seid und mal ohne Blatt vor dem Mund das weitergebt, was die Menschen über die Barber erzählen, dann ist das meist nichts Gutes. Sehr oft höre ich da auch, dass die Läden in ausländischer Hand sind; es wird von Geldwäsche, Dönermafia oder Schlimmeren gesprochen. Aber woher wisst Ihr das denn? Das frage ich mich dann. Vorurteil oder die Berechtigung dazu?

Mein Freund, der Barber

Ich selbst habe einen Freund, der mir auch manchmal die Haare schneidet. In einem der günstigen Salons. Ich gehe zu Ihm, weil er ein super Haarschneider ist, der es besser hinbekommt als 95 Prozent der anderen, die ich kenne. Nicht deshalb, weil es da billig ist, und auch nicht, weil es da sauber ist. Das ist es nämlich nicht. Dazu gleich mehr… Ich komme wegen ihm!

Wenn er von seinem Urlaub mit der Familie spricht, dann sind das mal ein bis zwei Tage am Bodensee. Mit dem Zug hin. Mehr ist nicht drin, vom Geld her, und das macht mich traurig. Hey Leute, der Junge arbeitet sechs Tage die Woche und hat oft um die 40 Kunden am Tag. Wie geht das? Macht das mal und fragt euch abends mal, ob ihr noch wisst, wer heute alles da war?! Er ist vor ein paar Jahren über das Wasser gekommen. Alleine, nur er.

Das finde ich schon echt heftig, er gibt alles, ist immer gut gelaunt und dankbar und hat verdammt wenig, bekommt keinen Respekt, keine wirkliche Perspektive und Zukunft! Raus aus dem Angestelltensein, raus aus der „Ausnutzmasche“ und einen eigenen Salon aufmachen. Das ist sein Traum, und ja, ich verstehe es! Aber wie will er das schaffen, in einem Land, dessen Sprache er sehr schlecht spricht, in einem Land, wo Menschen anfangen, eine Partei wachsen zu lassen, die ihn bestimmt nicht duldet. Und das in einer Stadt wie Tübingen. Hier ist es noch sehr tolerant, sehr offen und ohne die vielen Probleme, die in Brennpunktstädten existieren. Bei uns ist die Blase zumindest noch blass pink, nicht schon braun, aber das wächst leider auch hier.

Ich würde ihn sofort zu mir holen, ich weiß nur nicht, ob meine Kunden ihn annehmen würden und ob seine Jungs in mein Salonkonzept passen, wo sie gut über das Doppelte zahlen müssen. Einen Versuch wäre es wert. Mal sehen, was noch kommt. Den Guten die Chance zu geben, sie aus dem Sumpf zu holen, wäre mal endlich an der Zeit! Und mir wird leider mehr und mehr bewusst, dass ich dort nicht mehr hingehen sollte. Und das, obwohl ich ihn mag! Warum? Das kann sich, glaube ich, jeder und jede selbst beantworten.

Tja, wie geht’s da ab? Na ja: Vier bis fünf Kunden in einer Stunde, und das dann oft mehr als neun Stunden am Tag. Pro Person. Rücken an Rücken wie Fließbandarbeit. Das ist schon richtig heftig. Da liegen dann die Haare auf dem Boden, auf den Stühlen, auf den Ablagen… Überall und alles ist voll. Klar, wir sind ja auch im Friseursalon. Da gehört das dazu? Als ob!?

Der Umhang stinkt nach einer Mischung aus Parfüm, Essengerüchen, Zigaretten und auch einfach nach Mensch. Nach allem, nur nicht nach mir! Die Maschine scheppert auf dem Kopf, sie ist heiß gelaufen und ungeölt. Das hört sich nicht gut an, das klingt kaputt. Der Junge hinter mir hämmert auf meinen Kopf ein. Setzt Fade nach Fade. Das kann auch weh tun. Das kann auch reizen. Die Übergänge nehmen Form an. Er zieht bei Schnupfen die Nase hoch. Krank sein ist hier, glaube ich, ein Fremdwort. Hand zur Nase, nächste Runde.

Nächster Aufsatz: Die Haare vom Vorgänger fallen auf meinen Kopf. Diesmal in Grau. Danke auch dafür. Beim Bart hoffe ich dann, dass es eine frische Klinge wird. Die nimmt er bei mir. Wow! Aber nimmt er die bei jedem frisch? Ich sage nein. Er macht es in einer Präzision, die ich selten so kenne. Das Ergebnis ist sauber. 10 Minuten sind rum. Die Arbeitshygiene aber ist eine einzige Katastrophe. Da musst du bzw. ich selbst doch Angst haben, was mitzunehmen, was nicht zu dir gehört. Die anderen Jungs nebenan schneiden alle um die Wette. Ohne Gespräch, ohne Sympathie. Jeder ist für sich in einem vollen Raum. Der Laden steppt. Es sitzen einige um uns herum. Im Nacken warten sie auf den nächsten freien Stuhl. Jeder hackt auf seinem Handy rum, ohne Getränk. Das wollte ich hier auch ehrlich mal nicht. Zumindest nicht aus einem Glas. Das Handtuch ist feucht, die Frage ist: Von was? Er benutzt es als Abputztuch, um die Haare aus dem Gesicht, eben von der Haut nach dem Schnitt zu rubbeln. Jeder nacheinander bekommt dasselbe Handtuch, ab ins Gesicht. Das finde ich dann schon fast am ekligsten. Bei mir zum Glück ohne Handtuch. Endlich fertig und runter vom Stuhl. 22 Euro zahlen, ein gutes Trinkgeld, das braucht er bei dem, was er bezahlt bekommt. Schnell raus und der nächste – ohne „bitte“. Selber Umhang, selbes Spiel.

Hygiene, Fremdwort oder keine Zeit?

Wie auch zur Hölle können wir da erwarten, dass es auch nur in irgendeiner Form die Sauberkeit oder Hygiene geben kann? Das klappt so nicht! Nicht in diesem Zeitdruck, nicht in diesen Salons. In einer 1a-Lage, wo es richtig Miete kostet. Da muss das Geld auch reinkommen. Da läuft die Uhr halt schneller. Aber genau das muss sich ändern. Denn das ist eine große Gefahr für alle Läden. Denkt doch mal: Einer mit Pilz kommt zu euch, er und ihr merkt es nicht – und ihr habt den Shit dann im Salon.

Ich selbst bin alle fünf Jahre ziemlich genervt, wenn ich das Berufsgenossenschafts-Seminar zum Thema Arbeitsschutz, Hygiene und Gefahrenbeurteilung, das, wie ich finde, „auch teuer zu bezahlen ist“, über ein paar Stunden meines Lebens besuchen „darf“. Das ist so vorgegeben, und so machen wir halt mit. Trocken, gleichbleibend, aber eben auch verdammt wichtig! Hey, wir alle machen da doch mit, ob wir wollen oder nicht. Das gehört halt dazu. Klar ist es ein gesetzliches „Muss“, so ähnlich wie das Zähneputzen am Morgen.

Ich finde das mal nun, ohne den schwarzen Humor in den Zeilen davor, schon richtig wichtig und ich fordere, dass genau jeder Salon, ob Meisterbetrieb, Barber, Uschis Lockenbude im Keller, die unter der 22 K Grenze bleibt, oder wer auch immer es machen muss! Jeder MUSS diese Seminare besuchen. Jeder sollte geschult und auch geprüft werden. Ob er es akzeptiert und versteht oder auch nicht – mir egal. Es gehört dazu und es baut uns auf. Nach außen wird es unseren Job professioneller darstellen. Dafür kämpfen wir doch. Mehr Ansehen und keine dreckigen News, die wieder nur Unruhe und Unmut in die Salons tragen. Ihr arbeitet auf dem Kopf, Ihr arbeitetet an Menschen und Ihr seht ja, was passiert, wenn der Pilzkopf zuschlägt.

Wahrheit oder Wahrnehmung

In meinem Hood kam gestern in der Tageszeitung ein großer Bericht drüber. Die Sache mit dem Pilz, wie und wo man ihn bekommt, und auch, was da so für Schäden entstehen können. Bis hin zu Haarausfall. Eigentlich ja super, dass hier aufgeklärt wird.

Leute, wir müssen das ernst nehmen. Auch wir, die es in der Berufsschule damals gelernt haben, und auch die, die es gerade lernen. Hygiene ist etwas, das jeder für sich selbst entscheidet. Das zählt aber nur im privaten Leben. Wenn Ihr in der Beautybranche arbeitet, und eben hier nicht sauber durchzieht, dann wird auch früher oder später mal der Pilz, die Laus oder was auch immer auf der Kopfhaut anklopfen. Das ist ein Appell an uns alle, ein Warnschuss und gleichzeitig die Chance, den Kampf gegen den Discounter erneut und vor allem anders aufzunehmen. Mit Argumenten! Diesmal haben wir den Elfmeter geschenkt bekommen. Nun haben wir die Chance, laut zu sein. Wir müssen den Kunden und auch darüber hinaus nach außen klarmachen, wieso es ein Handwerk ist, das wir gelernt haben. Wie wir Hygiene leben. Wir lernen durch das Machen, wir transportieren durch das Sprechen und wir können nun klarstellen, wo eben genau dieser Unterschied zwischen Barber und Barbershop sowie Meisterbetrieb und Brillenbügelregelung liegt. Oder auch der zwischen dreckig und schnell zu sauber und mit Zeit. Zwischen billig und gerechtfertigt. Ich bin selbst nicht preiswert, aber ich bin den Preis wert!  Es ist die Zeit, es ist unsere Zeit! Zusammen und direkt! Hier ist der Matchball!

Was meint Ihr? Kommentare, Ideen und Anregungen gerne wie immer im Feed.

Was ich mir wünsche!

BSE, die Schweinegrippe, Corona, Kopfpilz oder was auch immer. Am Ende verblasst es dann fast so schnell wieder, wie es gekommen ist. So ist es bei uns im Land eben, und das, obwohl alle diese Krankheiten dramatische Spuren hinterlassen.

Wacht auf! Seht endlich, wer wir sind, welche Chancen wir haben und welche Wege wir zusammen gehen können. Wir müssen die Worte, die Gedanken und unseren Unmut nun endlich zu Taten machen. Just do it!

Euer Andreas