„Wir Friseure haben Glück gehabt! Oder waren wir selbst die Glücksschmiede?“
Wie geht’s? Wer seinem Gegenüber derzeit diese Frage stellt, sollte auf lange Klagelieder gefasst sein. Oder? So ganz anders dagegen gestaltete sich ein Telefonat mit Friseurunternehmer Guido Paar. „Ich habe keine Zeit für schlechte Laune“, antwortet er voller Energie am Telefon. „Ich beschäftige mich mit der Zukunft. Das ist die beste Flucht aus dem Hier und Jetzt!“ Uuuuups? Nach einem gemeinsamen Lachflash erklärte sich Guido bereit, uns sein ganz und gar unbuddhistisches Corona-Mindset näher zu erläutern. Bitte sehr: Hier kommt sein wunderbarer Kommentar zur Lage der (Friseur-)Nation.
„Die Friseursalons in Deutschland bleiben geöffnet. So verstehen wir in diesen Tagen zumindest die Nachrichten und Gesetzesvorlagen aus Berlin. Um es mit den Worten von Wissenschaftlern zu sagen: „Die Friseursalons bleiben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Deutschland geöffnet.“ Doch obwohl wir Friseure derzeit zu den Einäugigen unter den Blinden gehören, mag sich in unserer Branche nicht so wirklich gute Laune oder ein gutes Gefühl ausbreiten. „Mütend“ ist derzeit ein viel benutztes Wort – eine Mischung aus müde und wütend. Verständlich, die letzten Monate haben viel Kraft gekostet und auch Netflix kann irgendwann anstrengend sein. Wir vermissen unseren Alltag wie er war, mit Strukturen und Stabilität.
War wirklich vorher alles gut?
Und dabei wir haben ganz vergessen, dass wir diesen Alltag, als er noch da war, oft gar nicht so toll fanden. Viele zumindest. „Immer mehr Verantwortung! Wo bleibe ich persönlich? Die Abgaben/Steuern werden immer größer! So vieles ist unfair! So geht es nicht weiter!“ Doch jetzt sehnen wir uns danach zurück. „Erinnerungsoptimismus“ nennen das die Psychologen. Der Begriff beschreibt eine Gabe des Geistes, die im Nachhinein alles romantisiert. Schulzeit, Ausbildung, Karriere, Partnerschaften und so weiter. Irgendwann schaffen wir es sogar, über Situationen zu lachen, bei denen uns in dem Aktionsmoment überhaupt nicht zum Lachen war. Schade, dass wir Menschen immer erst sehr spät einsehen, was wir vorher hatten. Können wir diese Einsicht nicht selbst beschleunigen, wenn wir anstatt auf „später“ zu warten, hier und jetzt schon nachhelfen? Nur damit eines klar ist: Ich möchte ehrlich gesagt nicht zu denjenigen gehören, die von den tollen Chancen dieser Pandemie sprechen. Aber ich suche natürlich nach einem Weg, damit mich die Krise nicht lähmt. Und dazu brauche ich unbedingt einen anderen Blickwinkel als den der breiten Masse. Also eben nicht den Blickwinkel: „alles sch….. im Moment“.
Auch jetzt Gutes sehen wollen
Also frage ich mich aktiv: Gibt es etwas, das nicht sch… ist im Moment? Und tatsächlich: ja, das gibt es! Ich hatte in den letzten 13 Monaten so viel Kontakt zu Kolleg:innen wie noch nie. In wunderbaren digitalen Treffen, zum Beispiel bei der Intercoiffure. Ich habe noch nie solch einen Zusammenhalt in der Branche verspürt wie in diesem Ausnahmejahr. Es gab kein Konkurrenzdenken. Stattdessen war es wichtig, sich gegenseitig zu unterstützen und wichtige Informationen miteinander zu teilen. Alle, die sich ausgetauscht haben, sind bisher besser und leichter durch diese Krise gekommen. Auch für die Seele war viel dabei. Und gemeinsam haben wir als Branche es geschafft, dass die Petition #nursicherbeimfriseur über 53.000 Unterschriften bekam. Das bedeutet, dass wir Friseure unserer Regierung aufgefallen sind! Durch die Petition und zahlreiche andere Aktionen ist es uns gelungen klar zu machen, dass geschlossene Salons zu Friseurdienstleistungen in privaten Räumen führen und somit zu mehr Infektionen – weil sie dort ganz ohne die Schutzmaßnahmen stattfinden, die in Salons selbstverständlich und wichtig sind. So haben wir gemeinsam erreicht, dass wir am 01.03. öffnen durften; andere Branchen folgten erst am 08.03. Offenbar wurde unser Argument verstanden und wir gehören heute nicht nur zufällig zu den wenigen, die – so die aktuelle Lage – künftig nicht mehr geschlossen werden. Außerdem haben wir es als Thema und in Persona in fast alle Talkshows geschafft. Keine Frage: Ich bedaure unendlich die Lage der Gastronomie, der Eventbranche, der Kulturszene und anderen. Dennoch darf ich erleichtert sein, dass wir Friseure weitermachen dürfen! Wenn auch unter neuen Regeln. Denn solange wir geöffnet sind, können wir Einfluss nehmen. Und darauf kommt es nun an.
Fokus verändern
Für uns alle stand aus gutem Grund der Salon lange Zeit im Mittelpunkt. Aber jetzt müssen es wieder die Kund:innen sein! Wir müssen kreativ sein, uns wieder auf Kund:innen konzentrieren. Deshalb ist es jetzt essentiell, sich erneut zu vernetzen um Ideen auszutauschen, besonders innerhalb des Teams. Ich gehe davon aus, dass unsere Umsätze noch einige Zeit Wellenbewegungen verzeichnen werden. Diese Wellen können wir nur durch Kundenfokussierung auf hohem Niveau flach halten. Plant Weiterbildungen, versteht die Dynamik der Zeit, aber konsumiert bitte nicht nur schlechte Nachrichten. Mal ehrlich, pfeifen wir uns nicht immer die gleichen Inhalte rein – nur von anderen Personen und Medien? Wie viele verschiedene neue Informationen haben wir von Herrn Lauterbach inzwischen gehört? Ich ziehe es vor, mich mit dem Morgen zu beschäftigen und zu überlegen, was wir in Zukunft besser können? Wie schaffe ich es, dass sich eine Dienstleistung, die heute 60 Euro kostet, schon morgen so anfühlt, als würde sie 80 Euro kosten? Was ich möchte, ist endlich wieder Aktion statt Reaktion. Allein dieses Gefühl, selbst zu handeln, selbst zu gestalten und innovativ zu sein, gibt uns Energie und lässt wenig Zeit, schlechte Nachrichten zu konsumieren. Und noch weniger Zeit, sich in überflüssige Schlägereien auf Facebook zu verstricken.
Nach vorn schauen
Liebe Kollegen, es ist Zeit für Optimismus! Wir hatten nicht nur zufällig Glück. Wir haben es gemeinsam geschmiedet! Die Früchte dieser gemeinsamen Kraftakte ernten wir jetzt, denn wir bleiben geöffnet! Nun aber geht das Schmieden des Glückes weiter. Wer jetzt aktiv wird, wer nach vorne schaut, den Kunden zum Mittelpunkt macht, der wird auch in Zukunft Glück haben. Wer sich ausschließlich weiter um den Salon und das Unternehmen kümmert, wird vermutlich kein Glück haben.
Ich bin sicher: diese schwere Zeit wird ein Ende haben. Das motiviert mich sehr. Und dass wir Friseur:innen ein Handwerk ausüben, das digital nicht zerstört werden kann, motiviert mich noch mehr. Es motiviert mich dazu, in den Vordergrund zu stellen, was nur ein Mensch leisten kann: ein warmes Kundenerlebnis. Wir haben Zukunft. Bleibt am Ball!
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