„Wir gehen zu sorglos mit Ressourcen um!“
ORGÆNIC als Lebenstil. Was muss ein Friseur in sich tragen, um zu diesem Konzept zu passen? Petra Brockmann und Thomas Brockmann-Knödler haben schon vor über 20 Jahren ORGÆNIC Lifestyle erfunden – ein ganzheitliches Schönheitskonzept mit einer Community von Friseuren und Kunden, die wächst und wächst, mit mehreren Salons, einer Academy und einer eigenen Haarkosmetiklinie.
Es ist eine Haltung und ein Bewusstsein. Vor allem auch die Haltung zu sich selbst, die Erfahrungen in sich zu tragen und die Bereitschaft zu haben, sich auf Neues einzulassen und Altbewährtes loszulassen. Die visionären Friseurunternehmer haben eine Anlage bauen lassen, die speziell Abwasser in Friseursalons recycelt. Der Salon in Dresden ist Ihr Zuhause des Organischen: Ideenschmiede, das Labor jahrelanger Haarstudien und kreativer Kern der Unternehmensgruppe. Vordenkerin Petra Brockmann sagt im FMFM Interview, warum sie selbst seit zehn Jahren nicht mehr die Haare färbt und dass Friseurunternehmer flexibler werden sollten.
Petra Brockmann, Eure ORGÆNIC Philosophie „Leben und Lebendigkeit“ wurde in den vergangenen zwei Corona-Jahren und jüngst durch den Krieg in der Ukraine und die sichtbaren Folgen des Klimawandels auf ein anderes Level gehoben. Mit welchen Gefühlen ist dieses Credo heutzutage aufgeladen?
PETRA BROCKMANN: Wir messen unserem Handwerk, der Art und Weise wie wir arbeiten und wie wir mit den Ressourcen umgehen schon seit über 20 Jahren eine besondere Bedeutung zu. Denn wir arbeiten nicht daran, etwas opulenter, größer, übertriebener und undurchsichtiger zu machen, sondern unser Ansatz ist, die Dinge auf ihren Kern zu bringen. Vielleicht wird es deshalb so wahrgenommen, dass wir weit weg sind vom oberflächlichen Chichi, der unserer Branche immer nachgesagt wird.
Wir arbeiten an der Äußerlichkeit eines Menschen, aber die Äußerlichkeit zu bedienen bedeutet im Umkehrschluss, dass sie Wirkung auf das Innere des Menschen hat. Das ist das Credo unserer Arbeit. Wir schauen uns die Wahrhaftigkeit des Menschen an, der im Stuhl sitzt. Dafür nehmen wir uns die Zeit und dafür verlangen wir das Geld.
Der ORGÆNIC Lifestyle ist Minimalismus in seiner reinsten Form.
©Fotos: P. Bönhardt (Porträt), V. Kreidler
Seit 20 Jahren baut Ihr die ORGÆNIC Community auf? Wie viele Friseure arbeiten bislang nach Eurem Konzept?
PETRA BROCKMANN: Wir haben etwa 2500 aktive Friseurkunden, die sich über ganz Europa verteilen. Es gibt sogenannte ORGÆNIC Friends, die nach der organischen Philosophie arbeiten und die Techniken mit weiterentwickeln. Und es gibt diejenigen, die Produkte mit vorantreiben und auch an Haarschneide-Techniken arbeiten. Organischer Friseur wird man von innen, nicht von außen. Natürlich ist es eine Arbeitsumstellung, wenn man organischer Friseur werden will – man muss es mit dem Kopf und vor allem mit den Händen begreifen.
Ihr habt sogar eigene Produkte entwickelt und Haarpflege auf den Markt gebracht. Was können diese besser und anders als herkömmliche Industrieprodukte?
PETRA BROCKMANN: Das ist unser Betriebsgeheimnis. Am besten fragt ihr Friseure, die damit arbeiten. Und Endverbraucher, die mittlerweile schon fast ein Jahrzehnt diese Produkte benutzen. Am Anfang haben wir die Haarpflege nur für uns selbst gemacht, weil wir gemerkt haben, dass wir keine Haare schneiden können, wenn sie praktisch extreme Beläge haben. Es erfüllt uns mit extremer Dankbarkeit, dass wir eine so hohe Fangemeinschaft haben für die Produkte und unserer Arbeitsweise. Wir sind uns der Verantwortung bewusst und dieses Bewusstsein beschert uns jeden Tag eine Menge Arbeit. Ich glaube, der Industrie wäre das Ergebnis nicht lukrativ genug, für den Aufwand den es braucht. Wir machen keinen Mainstream – bei uns geht es um richtiges Handwerk, echte Arbeit. Und wir haben mit unseren Produkten ganz klare Werte, die wir ganz konsequent leben. Und ich glaube, das ist für eine Industrie absolut unsexy.
Was steckt hinter ORGÆNIC Lifestyle?
Einfach gesagt ist das Minimalismus pur. Wirklich freies und gründlich gepflegtes Haar macht unsere ganze organische Arbeit erst möglich. Vorher fangen wir gar nicht erst an. Das ist Teil unseres Wertebewusstseins. Deswegen gibt es unsere Produkte auch nur exklusiv über organische Friseure, die jahrelang mit uns geschult haben. Und auch nur für Kunden, die sich für den organischen Haarweg entschieden haben. Als wir unsere Haarpflege entwickelt haben, ging es uns um Performance, maximale Effizienz, um Ressourcenschonung. Eine schmale Produktlinie, die seit 2012 so ist, wie sie ist. Unverändert und auch unangefochten. Aber auch hier lautet die Einladung: Probieren Sie es aus! Sie müssen den Unterschied spüren dürfen. Viele Leute haben keine Ahnung, welche Kraft wirklich freies Haar hat. Sie fühlen dann hinein und können es nicht fassen.
Wie viel bedeutet Dir Freiheit?
PETRA BROCKMANN: Grundsätzlich fühle ich mich immer frei, denn Freiheit habe ich in meinem Kopf. Das habe ich gelernt. Es ist ein hoher Wert für mich. Das liegt sicherlich an meiner Geschichte mit einer scheinbaren Unfreiheit. Wie gesagt, die Freiheit habe ich in mir. Es ist eine Haltung.
„Organisch bedeutet grundsätzlich alles, was dem Leben dient.“
©Markus Schmidt
Euer jüngster Salon in Berlin, der zugleich auch Academy ist, wurde mit asiatischen Waschliegen, japanischen Toiletten und Spinden für die Kunden und Kundinnen ausgestattet. In welche Gefühlswelt wollt Ihr Eure Gäste reisen lassen?
PETRA BROCKMANN: Die Inhaberin des Salons in Berlin ist Jana Eichler. Mein Mann und ich sind dort Partner. Wir betreiben an dem Standort die Academy und der Salon ist ein Lizenz-Konzept. Und Jana Eichler ist praktisch Lizenznehmerin von uns. Das architektonische Konzept geht der Frage nach, wie man dort im Salon die Räume erlebt: das Wesentlichste, Organische, was wir dort bedienen ist der Mensch. Deshalb reduziert sich alles auf den Menschen selbst als organische Materie und Lebewesen. Alles ist darauf ausgerichtet, dass der Mensch sich als solcher erlebt und begreift und sich dessen bewusster wird – und dies angenehm und erlebbar wie möglich.
Ihr macht Euch um unsere natürlichen Resourcen Gedanken – Beispiel Wasserknappheit. Welche Lösung habt Ihr?
PETRA BROCKMANN: Da mein Mann und ich sehr global unterwegs sind, müssen wir immer mit Erstaunen feststellen, wie sorglos wir in Deutschland mit Wasser umgehen. Das Thema hat international einen ganz anderen Stellenwert. Und es gibt auch schon extrem innovative Wasserkonzepte auf dem Planeten, die praktiziert werden. Auch in Deutschland gibt es geniale Wasser-Innovationen, die aber nicht zum Tragen kommen, weil es ja die Wasserwirtschaft gibt. Wir haben ein sensationelles Konzept, wo es darum geht, ganz speziell Salon-Abwasser zu recyceln. Jeder, der daran interessiert ist, kann sich an uns wenden und kann so eine Wasseranlage bei sich installieren lassen. Empfehlenswert ist es das zu tun, wenn man einen Salonumbau oder einen Neubau plant. Man sollte sich als Salonbesitzer fragen: Wie viel Wasser brauche ich wirklich? Was passiert mit meinem chemischen Abwasser?
Kann Haarfärben überhaupt organisch und nachhaltig zugleich sein?
PETRA BROCKMANN: Organisch bedeutet grundsätzlich alles, was dem Leben dient. Ich bin davon überzeugt, dass so wie wir heutzutage Haare färben, es in zehn Jahren auf keinen Fall mehr so sein wird. Es muss halt das Bewusstsein wirklich einsetzen, was mit der Umwelt passiert. Wo landet das Abwasser der Salons, die mit viel Chemie arbeiten? Da beginnt das eigene echte ökologische Denken. Aber da haben wir noch einen Weg vor uns als Gesellschaft. Es geht nicht darum, dass wir das Haarefärben verbieten wollen. Wir können heute wesentlich ökologischer und zeitgemäßer Haare färben. Das zeigt ganz klar ORGÆNIC Haircoloring. Unsere Haarfarbe hält drei bis viermal so lange wie eine klassische Farbe. Genauso wie die Haarschnitte.
Warum ist das so?
Unsere Arbeit war bereits nachhaltig, bevor es wichtig wurde. Ganz einfach – oder auch nicht – weil sich unsere organische Haarschneide-Technologie und Haafärbemethoden den Wachstumsprinzipien der Natur unterordnen. Wir stülpen nichts über. Eben Handwerk statt Produktwerk. Das heißt: Die Qualität des Ergebnisses hängt davon ab, wie gut ich die Logik des Haares verstanden habe. Nicht davon, wie viel Haarspray etwa ich benutzt habe. Farbe und Schnitt wachsen also mit. Da lebt Nachhaltigkeit auf, in ihrer ganzen Langsamkeit. Von Mal zu Mal wird das spürbarer. Wir haben alles richtig gemacht, wenn unsere Kunden nur etwa dreimal im Jahr zu uns kommen. Je organischer der Kunde, desto weniger ist er auf den Friseur angewiesen.
„Generell brauchen wir Sinnhaftigkeit in der Arbeit.“
©Volker Kreidler
Wird ein Besuch beim Friseur in Zeiten der Inflation noch mehr zum Luxus?
PETRA BROCKMANN: Einen Friseurbesuch sehe ich nicht als Luxus an. Luxus ist es vielmehr, dass wir luxuriöse Ressourcen verschwenden. Ich glaube, dass es einfach ein anderes gesellschaftliches Bewusstsein braucht. Mit unserer Idee schaffen wir keinen künstlichen Bedarf. Ich möchte dem Verbraucher seine Wünsche erfüllen. Wir wollen den Kunden bewusst machen, dass sie ein wirklich nachhaltiges, langlebiges Produkt Frisur erhalten. Und diese Arbeit sollte angemessen werthaltig honoriert werden. Dadurch entsteht ein Austausch des Gebens und Nehmens, der authentisch und echt ist. Und dann ist das Ganze auch kein Luxus mehr, sondern dann ist es Natürlichkeit. Das ist unser Streben.
Wenn die Zeit des Färbens also bald vorbei ist – mit welchen Dienstleistungen können Friseur*innen in Zukunft Geld verdienen?
PETRA BROCKMANN: Ich persönlich habe mich vor zehn Jahren entschieden habe, meine Haare nicht mehr zu färben. Kunden färbe ich die Haare, wenn sie es wünschen. Ich bin überzeugt davon, dass wir sukzessive ganz neue und andersartige Friseurdienstleistungen anbieten werden, weil sie einfach notwendig sind. Ein Thema ist die Sauberkeit der Kopfhaut und des Haares. Dazu werden wir im Oktober in Wien auf der Messe berichten. Und in unserer Academy lernt man Dienstleistungen des Friseurs der Zukunft.
Wo geht die Branche hin?
PETRA BROCKMANN: Ich glaube, dass die Generation, die nachwächst, ganz andere Werte hat. Der Wandel zum Thema Arbeit wird nicht vor unserer Branche Halt machen. Generell brauchen wir Sinnhaftigkeit in der Arbeit. Das ist ganz wesentlich, damit die Menschen auch glücklich sind mit ihrer Arbeit. Wie möchte ich das, womit ich Geld verdiene, in meinen Lebensalltag einmodellieren? Es braucht dazu flexiblere Unternehmer.
Welche Ziele verfolgt Ihr für das kommende Jahr?
PETRA BROCKMANN: Wir haben große Ziele, aber die verrate ich noch nicht. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird sich ordentlich was bewegen. Und ich weiß, dass viele Friseure sich das gar nicht so richtig vorstellen können. In unserer Berufssparte denken nämlich noch viel zu viele: Wir sind ja NUR Friseure. Aus dieser Vorstellung müssen Friseure unbedingt heraus! Ich glaube, dass wir grundsätzlich mit unserem Handwerk gefragter sein werden denn je. Wenn wir es richtig anstellen und wir mit den Anforderungen mithalten können, die der Verbraucher an uns hat, glaube ich, dass wir eine ganz aufregende Zeit vor uns haben.
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