„Wir müssen zum klassischen Handwerk zurück!“
Julia Beckers hat in der Friseurbranche eine beeindruckende Karriere hingelegt: So war sie nicht nur mit ihrem Salonlabel „Blondes Gift“ unglaublich erfolgreich, sondern hat es auch als Haarkünstlerin in den Olymp der internationalen Friseurelite geschafft und großen medialen Bekanntheitsgrad erlangt. Auch als Markenbotschafterin, Bühnenakteurin und Session-Stylistin ist sie sehr gefragt. Nun hat die 36-Jährige einen neuen Salon eröffnet. Stehen jetzt alle Zeichen auf Neuanfang? Über ihr neues Selbstverständnis, Spießigkeit und falsche Expert*innen hat die Friseurmeisterin und Make-up Artistin mit FMFM-Autorin Daniela Hamburger gesprochen – ganz entspannt während eines Spaziergangs mit ihrem Hund und „Partner in Crime“, Mr. Bond.
Liebe Julia, mit Deinem Label „Blondes Gift“ hast Du Dir bereits über Jahre einen Namen gemacht. Auch in internationalen Wettbewerben warst Du unglaublich erfolgreich, hast u. a. den Global Style Master und Avantgarde Shot of the Year International gewonnen, und bist so auch selbst zur „Marke“ geworden. Nun hast Du einen neuen Salon eröffnet und den Namen auf „Julia Beckers. Hairconcept“geändert. Gibst Du die erfolgreiche Marke „Blondes Gift“ denn nun auf?
„Aufgeben“ klingt für mich sehr negativ und endgültig. „Blondes Gift“ hat mir einen guten Start in meine Karriere ermöglicht und und mich 16 Jahre lang sehr weit getragen. Dennoch habe ich diesen Namen hauptsächlich mit meinen Daily Business verbunden. Er stand für meinen Salon in Aachen, für meine Region, für meine Arbeit hinter dem Stuhl. Meine künstlerisch-kreativen Tätigkeiten und die Teilnahme an Awards hingegen hingen immer mit meinem Namen Julia Beckers zusammen. Die Eröffnung meines neuen Salons ist für mich nun eine passende Gelegenheit, den eigenen Namen mehr in den Fokus zu rücken. Als ich „Blondes Gift“ gestartet habe, war ich 20 Jahre alt – jetzt bin ich 36. Ich fühle den Namen „Blondes Gift“ nicht mehr, bin quasi rausgewachsen. Trotzdem möchte ich „Blondes Gift“ nicht „loswerden“, nur weiterentwickeln – zu einem „Blonden Gift 2.0“, wenn man so möchte.
Noch exklusiver
Verfolgst Du mit dem neuen Salon denn nun ein anderes Konzept? Hast Du Dich von der Private Room Ausrichtung verabschiedet? Oder was war der Grund für den Neustart?
Ich habe lange nach passenden Räumlichkeiten gesucht, ich bin da sehr anspruchsvoll. Mit dem neuen Salon habe ich meine Fläche von 46 auf 110 Quadratmeter mehr als verdoppelt. Und die Location ist perfekt – das bin zu 100 % ich! Vom Private Room habe ich mich ganz und gar nicht verabschiedet, sondern das Konzept noch intensiviert: Hier biete ich meinen Kund*innen noch mehr High End Feeling, noch mehr Privacy, noch mehr Exklusivität. Die Räumlichkeiten erlauben es mir, meine Dienstleistungen deutlich zu erweitern, z. B. auch kleine Spa-Momente zu kreieren, wenn die Kund*innen auf einer Waschliege mit integrierter Shiatsu Airtec Massagefunktion liegen. Außerdem gibt es einen fantastischen Innenhof, der ganz neue Momente der Entspannung und des Austauschs ermöglicht. Außerdem kommen Design-Liebhaber*innen voll auf ihre Kosten.
Hast Du parallel zum Umzug denn auch Deine Preise angepasst?
Ich würde es für vermessen halten, meinen Kund*innen eine Preiserhöhung zuzumuten, nur weil ich jetzt auf der doppelten Fläche tanzen möchte. Preisanpassungen werden regelmäßig vorgenommen, diese haben aber nichts mit dem Umzug zu tun.
Der Albtraum: Ein wuseliger Salon mit vielen Bedienplätzen
Du warst (natürlich mit Mr. Bond an Deiner Seite) bislang erfolgreiche Einzelkämpferin. Hast Du denn jetzt Mitarbeitende? Diese könnten Dich bei der Arbeit am Stuhl doch sicher entlasten, während Du für TV-Produktionen oder als Bühnenakteurin unterwegs bist…?
Bis zur Pandemie waren wir im Salon zeitweise zu dritt. Außerdem habe ich auch lange eine Assistentin beschäftigt. Nun bin ich allerdings wieder alleine und fühle mich sehr wohl damit. Auch für meine Kund*innen ist das stimmig. Klar könnte ich durch Mitarbeitende mehr Kundschaft bedienen, doch die breite Masse anzusprechen, ist gar nicht mein Konzept. Damit möchte ich nicht bestimmte Personengruppen ausschließen – im Gegenteil, meine Kundschaft ist sehr vielseitig. Doch ich arbeite mit einer hochprofessionellen, exklusiven Ausrichtung, zu der „Masse“ einfach nicht passt. Bevor ich in die neuen Räumlichkeiten eingezogen bin, war dort auch schon ein Friseursalon – mit neun Bedienplätzen. Für mich ist das ein absoluter Albtraum. Trotzdem möchte ich Mitarbeitende nicht kategorisch ausschließen. Ich bin immer offen für Menschen, die meine Visionen teilen.
„Ein bisschen spießig“
Was müssten potenzielle Mitarbeitende denn mitbringen?
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich viel erwarte. Menschen, mit denen ich zusammenarbeiten möchte, brauchen schon Drive und Motivation. In der Beziehung verkörpere ich eindeutig die alte Schule und bin wohl auch ein bisschen spießig. Arbeit muss beiden Seiten Spaß machen. Es ist immer ein Geben und Nehmen. Aber am Ende zählt Leistung – und da gehört auch mal eine unbezahlte Überstunde dazu.
Künstlerische Kreativität braucht das Handwerk
Erzähl uns doch noch ein bisschen über die „neue“ Julia Beckers. Wie ist Dein Selbstverständnis – persönlich und auch als kreative Künstlerin?
Eine „neue“ Julia gibt es nicht. Man ist wie man ist. Dennoch macht man natürlich im Laufe des Lebens Erfahrungen, die einen prägen, die dazu führen, dass man sich verändert. Ich bin immer noch die Julia, die ich schon vor 16 Jahren war, auch wenn mein Konzept und ich als Frau reifer geworden sind. Mein persönliches Standing ist ein anderes, ich bin nun mehr bei mir selbst. Sich stetig weiter zu entwickeln ist so wichtig. Früher stand ich oft bis nachts im Salon, habe nie „Nein“ gesagt. Das hat sich eindeutig verändert, ich habe gelernt, mir meine „Me-Time“ zu nehmen. Meinen Ausgleich zu meinem intensiven Job an der Kundschaft finde ich nicht in der neuen Szene-Bar beim Gin, sondern im Sport und in der Natur. Das gibt mir wieder Energie.
Wichtig ist aber auch: Als kreative Künstlerin braucht man die Arbeit hinter dem Stuhl. Nur das Handwerk lässt uns kreativ sein. Wenn man da nicht auf dem Laufenden bleibt, ist man irgendwann kein guter Friseur, keine gute Friseurin mehr und folglich auch künstlerisch nicht mehr leistungsfähig.
„Unsere Branche ist unfassbar langweilig geworden“
Apropos guter Friseur: Mit welchen Herausforderungen hat die Branche Deiner Meinung nach derzeit zu kämpfen?
Ich finde, unsere Branche hat durch die letzten Jahre enorm an Individualität verloren, ist unfassbar langweilig und einseitig geworden. Zwar spricht jede*r über Individualität und Diversität, aber in Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall. Das Problem ist, um wirklich langfristig fit für die Zukunft zu sein, müssen die handwerklichen Basics stimmen. Ich sehe so viele Salons, die nur auf Instagram performen, die nicht mal mehr eine Website haben. Die können eigentlich nur eine bestimmte Dienstleistung, eine Färbetechnik. Doch die Herausforderung ist es ja gerade, nicht nur Curtain Bangs schneiden zu können und die jeder Kundin uniform aufzudrücken. Sondern die Individualität der Kundschaft sollte im Mittelpunkt stehen – und das auf einem qualitativ hohen Niveau.
„KI ersetzt keine handwerklichen Basics“
Aber wie können wir eine individuellere Ausrichtung denn erreichen, was braucht es dazu?
Dazu müssen wir zum klassischen Handwerk zurück! Ich sage, die Generation der heute 30- bis 50-Jährigen ist die letzte „richtige“ Friseurgeneration. Klar, die Inhalte der Friseurausbildung sind nicht mehr zeitgemäß, die müssen angepasst werden. Aber: Deswegen dürfen wir keinesfalls die Basics vernachlässigen. Für alles Kreative müssen die einfach perfekt sitzen. Wie gesagt, meine „Alte Schule“ hat mir meinen Weg geebnet. Wenn ich nicht weiß, in welche Richtung sich eine Welle bewegt, kann ich noch so moderne Tools haben, dann wird das nichts. Wenn ich online Friseur*innen mit Lockenstab oder Glätteisen sehe, weiß ich sofort, ob die über den Finger Papilloten drehen oder per Hand eine Wasserwelle legen können. Denn nur diese Grundtechniken vermitteln einem das Wissen, das es für die perfekte Welle braucht. Ohne die gibt es nicht mal gute Beach Waves. Die Basics müssen also unbedingt trainiert werden, das kann uns keine KI abnehmen!
„Weiblichkeit bietet alle Voraussetzungen für Erfolg“
Julia, Du bist gefragte Bühnenakteurin und sowohl als Female Entrepreneur als auch als Markenbotschafterin sehr erfolgreich on stage unterwegs. Was sind die Kernbotschaften, die Du auf der Bühne rüberbringen möchtest?
Was meine Arbeit für die Marke Wahl angeht: Ich bin Ambassador, obwohl ich absolut nicht in die klassische Barberschiene gehöre und da auch nicht hin möchte. Ich bekomme dadurch aber die Chance, die Arbeit mit Tools deutlich diverser und auch fachlicher machen. On stage zeige ich, wie auch mit Clippern Langhaarschnitte erarbeitet werden können. So möchte ich der Branche die Augen dafür öffnen, was möglich ist und die Professionalität anheben.
Mir geht es auf der Bühne nicht um Feminismus. Ich finde, es hat nichts mit dem Geschlecht zu tun, ob man seine Ziele erreichen kann. Der einzige Unterschied ist allerdings, dass viele Männer mit 30 % Know-how schon denken, das reicht, sich auf eine Bühne zu stellen. Frauen hingegen beherrschen manchmal 80 % und sagen, das genügt bei Weitem nicht, um mich als Expertin zu verkaufen. Ich möchte vermitteln, dass wir Frauen uns nicht verstecken müssen. Und dafür sorgen, dass wir vorbereitet sind. Denn meine Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Männern ist, dass sie leider oft nur lieb und freundlich sind, solange sie die Frau nicht als beruflich ebenbürtig, nicht als „Gefahr“ wahrnehmen. Sobald das eintritt, werden sehr schnell die Ellbogen ausgefahren. Da muss man als Frau einfach durch – unsere Weiblichkeit gibt uns alles, was wir brauchen, um uns durchzusetzen.
„Achtet darauf, von wem Ihr Euch Ratschläge holt“
Das bedeutet auch, man muss als Friseur*in aufpassen, welchen „Experten“ man glaubt, richtig?
Absolut. Gerade auf Facebook tummeln sich eine Menge schwarzer Schafe, die mit den Ärmsten unserer Branche Profit machen, sich als Spezialist*innen darstellen, obwohl sie wenig bis keine Ahnung haben. Sie bereichern sich an der Unwissenheit und Naivität mancher Berufskolleg*innen. Das hinterlässt bei mir mehr als einen faden Beigeschmack. Klar, keiner soll sich unter Wert verkaufen. Aber es ist nicht jeder Experte, der sich so darstellt. Selbstverständlich soll man sich Hilfe holen, wenn man business-technisch nicht mehr weiter weiß. Auch ich lerne nie aus. Aber achtet darauf, von wem Ihr Euch Ratschläge holt. Geht zum Beispiel lieber ganz konservativ zu einem Steuerberater, zu Dienstleistern mit studiertem Background als zu selbsternannten Experten.
Wie geht’s weiter mit Julia Beckers? Was sind Deine Visionen für die nächsten Jahre?
Eigentlich rede ich gar nicht so gerne über ungelegte Eier. Trotzdem möchte ich mit über 50 nicht mehr unbedingt selbst am Stuhl stehen. Ich könnte mir stattdessen vorstellen, mein Know-how weiterzugeben und meine Räumlichkeiten nach dem „Rent-a-Chair“-Modell für junge Friseur*innen zu öffnen. Natürlich mit einem hohen Qualitätsanspruch. Perspektivisch kommt auch eine Beschäftigung auf der anderen Seite des Business für mich in Frage, möglicherweise in der Industrie. Ich bin offen und freue mich auf das, was kommt.
Herzlichen Dank, liebe Julia, für das authentische Interview und Deine ehrlichen Einschätzungen!